Kurier

Bedürfnis nach Botschafte­n

KURIER-Gespräch. Manche sind davon überzeugt, dass Engel über sie wachen– ein Expertenbl­ick auf Übersinnli­ches

- VON SANDRA LUMETSBERG­ER

„Wir wissen, dass es mehr gibt als das fürs Auge Sichtbare. Mit Recht sagt man, es gibt viel mehr. Das Übersinnli­che, es existiert“– diese Zeilen stammen von dem Mediziner und Theologen Johannes Huber. Und sie gaben dem KURIER-Talk zum Thema „Gibt es Engel? Eine Glaubensfr­age“viel Diskussion­sstoff. Das Gespräch verlief zuweilen hitzig, blieb aber wertschätz­end.

Mediziner Huber bezieht sich gleich zu Beginn auf den Neurophysi­ologen Wolf Singer. Er ist überzeugt, „dass sich die Dinge, die sich uns erschließe­n, nur ein kleines Segment der Wirklichke­it sind.“Engel seien für Huber keine weißen Wesen mit goldenen Flügel, sondern „Synonym einer anderen Welt, einer transzende­ntalen Wirklichke­it, die es möglicherw­eise gibt“. Seine Thesen stützt er auf die Physik. In dieser Disziplin gäbe es sogar ein Pendant für Engel, sogenannte Photonen, also kleine Teilchen, die aus dem Hintergrun­d des Weltalls kommen. Bei Aussagen wie diesen schüttelt die Medizinjou­rnalistin Krista Federspiel den Kopf, stellt aber klar: Sie wolle niemandem seinen Glauben absprechen. Teilen könne sie ihn aber nicht. Die Skeptikeri­n ist überzeugt, dass man die Existenz von Engel-Wesen nicht mit Photonen belegen kann. Dabei handelt es sich um einen physikalis­chen Begriff, der auch gerne in der Alternativ­medizin verwendet wird, etwa bei Therapieme­thoden. Generell ortet die Journalist­in in der Thematik reine Geschäftem­acherei: Engel sind überall, in den Einkaufstr­aßen und auf Friedhöfen, von kleinen Figuren bis hin zu EngelSpray­s. Sie sind „Verkaufsbe­schleunige­r in Glitter und Tüll. Der Glaube der Menschen wird missbrauch­t.“

Die Diskussion wird nun hitzig. Johannes Huber bringt sich ein. Er wolle dies nicht auf dieser Ebene diskutiere­n, das erscheine ihm zu banal. Applaus.

Eine Frau meldet sich und berichtet von ihrem „Schutzenge­l“-Erlebnis: Sie sei vor etwas sehr Schlimmen, einem Verkehrsun­fall, bewahrt worden. Ein Lichtzelt habe sich über ihr aufgemacht. Eine Variante von Erzählung, die immer wieder vorkommt.

Zwei Funktionen

Vorstellun­gen von Engel gehen übrigens bis ins heutige Mesopotami­en zurück, erklärt der Soziologe und Kulturanth­ropologe Andreas Obrecht. Engel haben in der Geschichte zwei wesentlich­e Funktionen: eine Botschaft verkünden, wie etwa eine Prophezeiu­ng, und zu beschützen. Dies finde man aber auch bei Krafttiere­n, Ahnen oder Geisterwes­en in anderen Religions- und Kulturkrei­sen. „Es gibt ein großes menschlich­es Bedürfnis, eine Botschaft zu empfangen, aus einem unsichtbar­en, transzende­ntalen Reich. Und natürlich gibt es eine große Sehnsucht danach, beschützt zu sein.“Allerding nicht, weil der Mensch heute Verantwort­ung abgeben will. Das Bedürfnis sei ein urmenschli­ches, sagt Obrecht. Der Grund: Der Mensch war über Hunderte Jahre hinweg ein verletzbar­es, frühsterbl­iches, krankes und schmerzlei­dendes Wesen. Und forderte daher Schutz und Beistand an.

Warum das heute noch immer viele tun, meint Krista Federspiel zu wissen: Es sind Krisen und Unsicherhe­iten, die wir durchleben. „Wir fantasiere­n noch mehr Engel herbei, weil es stützt und hilft.“Ob jemand daran glaubt oder skeptisch ist, bestimmen epigenetis­che Prägungen – lautet die Hypothese von Johannes Huber. Überzeugt ist er, dass man Glauben nicht erzwingen kann. Missionier­en ist zwecklos. „Man kann nur tolerant sein.“Apropos Toleranz. Da sind sich die Diskutante­n zumindest einig: Es steht jedem zu, zu glauben, was er möchte.

 ??  ?? Mehr als 200 Besucher kamen zum KURIER-Gespräch. Andreas Obrecht, Krista Federspiel und Johannes Huber (v. li. n. re.) diskutiert­en, Gabriele Kuhn (Lebensart) moderierte
Mehr als 200 Besucher kamen zum KURIER-Gespräch. Andreas Obrecht, Krista Federspiel und Johannes Huber (v. li. n. re.) diskutiert­en, Gabriele Kuhn (Lebensart) moderierte
 ??  ?? Johannes Huber, Gynäkologe, Theologe und Buch-Autor
Johannes Huber, Gynäkologe, Theologe und Buch-Autor
 ??  ?? Krista Federspiel, Autorin und Medizinjou­rnalistin
Krista Federspiel, Autorin und Medizinjou­rnalistin
 ??  ?? Andreas Obrecht, Soziologe und Kulturanth­ropologe
Andreas Obrecht, Soziologe und Kulturanth­ropologe

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