Kurier

Die ewige Frage auf 2170 Seiten: Mensch, wer bist du?

Die Fahnen. Der kroatische Klassiker ist nach 50 Jahren erstmals übersetzt worden und in einem österreich­ischen Verlag erschienen

- – PETER PISA

Vermutet hatte es Miroslav Krleža, verehrt in ganz Jugoslawie­n als Dichter, linker Intellektu­eller und Tito-Freund, ja immer.

Aber als er einen ihm gut bekannten Journalist­en bat, er möge mit ihm gemeinsam etwas Erklärende­s über „Die Fahnen“(1967) schreiben, da musste der Journalist ein Geständnis ablegen:

Er hatte den äußerst dicken Roman nie gelesen.

Fortan war Krleža besessen davon: Niemand las sein großes Werk. Robert Musils „Mann ohne Eigenschaf­ten“, mit dem „Die Fahnen“mitunter verglichen werden, wurde immerhin von einigen wenigen gelesen ...

Warum soll man sich denn die 2170 barocken Seiten des Kroaten „antun“?

„Um mit Miroslav K. der verlorenen Zeit nachzuspür­en“, antwortet der Klagenfurt­er Verleger Lojze Wieser.

„Um das Echo des Jahrhunder­ts in einer weitgehend unbekannt gebliebene­n To- nalität einzufange­n. Um die durchdring­ende und präzise Erzählung der Wandlung von Menschen und Gesellscha­ften aufzunehme­n ... Miroslav K. lässt uns in die Welt von vor hundert Jahren eintauchen. Und er stellt die ewige Frage: Mensch,wer bist du?“

Die Idee einer Übersetzun­g geht aufs Jahr 1978 zurück. Der Autor ließ Wieser ausrichten, dafür sei er bereit, sein Werk auf 800 Seiten zu kürzen; noch weniger sei ihm unmöglich. Der damals erst 24-jährige Verleger war etwas überforder­t, und dann starb Krleža, dann starb die damals beste Übersetzer­in aus den jugoslawis­chen Sprachen, dann kamen Krieg und Frieden und andere Sorgen.

Aber jetzt ist es vollbracht, in fünf Bänden: eine Tragödie, die sich aus den kleinen Komödien der Menschen zusammen setzt.

Familienge­schichten aus dem blutigen Jahrzehnt 1912 bis 1922. Balkankrie­ge, Weltkrieg, die Monarchie zerfällt, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wird gegründet ...

Miroslav Krleža – der Salzburger Autor Karl-Markus Gauß erkannte es früh, hat der kroatische­n Kultur den Weg nach Europa gezeigt. Seine „Fahnen“wurden u. a. mit finanziell­er Unterstütz­ung Kroatiens und, das kam auch für Lojze Wieser überrasche­nd, des EUAbgeordn­eten Eugen Freund herausgege­ben.

Miroslav Krleža: „Die Fahnen“Wieser Verlag. Übersetzt von Gero Fischer und Silvija Hinzmann. 2170 Seiten in fünf Bänden. 75 €

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Besessen davon, „ungelesen“zu sein: Miroslav Krleža

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