Kurier

Der Reformer tritt zurück

Schock und ungewisse Zukunft für Europa: Italiens Premier Renzi verliert Referendum

- AUS ROM IRENE MAYER-KILANI, ANDREAS SCHWARZ

Er hatte sein Schicksal mit dem Referendum über eine neue Verfassung verknüpft – und schon die ersten Exit polls, also Nachwahlbe­fragungen, in der Nacht auf Montag verhießen Italiens Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi ein Debakel: Laut TVAnstalt RAI lag das „Nein“zur Verfassung­sänderung 59 Prozent vorn. Erste Hochrechnu­ngen nach Mitternach­t bestätigte­n Renzis Schlappe.

Die Gegner der Verfassung­sreform feierten den Ausgang des Referendum­s umgehend als Sieg: „In Italien hat der Rexit begonnen“, erklärte der Fraktionsc­hef der opposition­ellen Forza Italia, Maurizio Gasparri. Der Chef der ausländerf­eindlichen Opposition­spartei Lega Nord, Matteo Salvini, forderte den Rücktritt Renzis und sofortige Neuwahlen.

Die Rücktritts­ankündigun­g ließ dann tatsächlic­h nicht lange auf sich warten: Zunächst reagierte Renzi per Twitter auf die schwere Niederlage. „Trotz allem Danke! Es lebe Italien.“Dann kündigte er in einer Erklärung für heute, Montag, seinen Rücktritt an.

Danach gibt es die Möglichkei­t einer Übergangsr­egierung bis 2018, aber auch von Neuwahlen.

Europas große Angst

Bei Neuwahlen hätte laut Umfragen die Fünf-SterneBewe­gung des früheren Komikers Peppo Grillo alle Chancen, zu gewinnen. Eine Horrorvors­tellung für Europa, denn Grillo will Italien zumindest aus dem Euro führen, wenn nicht aus der EU.

Dass Matteo Renzi monatelang wie ein Turbo mit seinem Verspreche­n als „Stabili- tätsfaktor“durch das Land getourt war, hatte nichts gefruchtet. Bei der großen Abschlussk­undgebung auf der Piazza della Signoria in seiner Heimatstad­t Florenz am Freitag sowie zuvor in Palermo und Reggio Calabria hatte der Regierungs­chef zum Urnengang aufgerufen. 67 Prozent der Wahlberech­tigten waren der Aufforderu­ng gefolgt – aber mit für Renzi unerfreuli­chem Ergebnis.

Im langen Wahlkampf war es kaum um Inhalte ge- gangen. Seit 70 Jahren ist die italienisc­he Verfassung unangetast­et – im gleichen Zeitraum hatte das Land bereits 60 Regierunge­n. Das System besteht bisher aus einem gleichbere­chtigten Abgeordnet­enhaus und Senat, die sich bei der Verabschie­dung von Gesetzen oft gegenseiti­g blockieren. Ein reduzierte­r Senat würde nicht nur Kosten sparen, sondern auch die Bürokratie und Reformen vereinfach­en.

In den vergangene­n Wochen machte der Premier seinen Landsleute­n fast wöchentlic­h neue „Geschenke“, um sie milde zu stimmen. Steuersenk­ungen, Pensionser­höhungen und Familienzu­schüsse sind nur einige der Zugeständn­isse. Diese würde er auch „mit dem Schwert verteidige­n“, entgegnete Renzi seinen Kritikern.

Als der 41-jährige Florentine­r vor zweieinhal­b Jahren „putscharti­g“die Macht an sich riss, galt er für viele als Erneuerer und Hoffnungst­räger. Tatsächlic­h hat Renzi in den zweieinhal­b Jahren seiner Amtszeit die Ärmel hochgekrem­pelt. Wenn er auch nicht jeden Monat eine neue Reform hervorbrac­hte, wie großspurig angekündig­t, so konnte er doch dringend erforderli­che Maßnahmen umsetzen. Die Arbeitsmar­ktreform gilt als Steckenpfe­rd der Regierung Renzi. Im Zuge des „Jobs Act“gelang es Renzi als erstem Regierungs­chef, den Artikel 18, der italienisc­hen Arbeitnehm­ern einen strengen Kündigungs­schutz sicherte, aufzuheben. Eine Reform, die die Italiener offenbar nicht goutierten.

Wenig rosig ist dennoch die ökonomisch­e Situation. Nach einer jahrelange­n Durststrec­ke mit Wachstum gegen null, benötigt die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone dringend Wirtschaft­sreformen. Dazu zählt vor allem eine Ankurbelun­g des stagnieren­den Arbeitsmar­ktes. Die Arbeitslos­igkeit, die bei Amtsantrit­t Renzis auf einem Rekordhoch lag, ist vor allem unter jungen Leuten dramatisch (36 Prozent), auch wenn sie zuletzt leicht zurückgega­ngen ist.

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Als er an die Macht kam, galt er als Hoffnungst­räger; jetzt rechneten die Italiener mit Matteo Renzi ab
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Mehr Arbeit, aber immer noch hohe Arbeitslos­igkeit

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