Der Reformer tritt zurück
Schock und ungewisse Zukunft für Europa: Italiens Premier Renzi verliert Referendum
Er hatte sein Schicksal mit dem Referendum über eine neue Verfassung verknüpft – und schon die ersten Exit polls, also Nachwahlbefragungen, in der Nacht auf Montag verhießen Italiens Ministerpräsidenten Matteo Renzi ein Debakel: Laut TVAnstalt RAI lag das „Nein“zur Verfassungsänderung 59 Prozent vorn. Erste Hochrechnungen nach Mitternacht bestätigten Renzis Schlappe.
Die Gegner der Verfassungsreform feierten den Ausgang des Referendums umgehend als Sieg: „In Italien hat der Rexit begonnen“, erklärte der Fraktionschef der oppositionellen Forza Italia, Maurizio Gasparri. Der Chef der ausländerfeindlichen Oppositionspartei Lega Nord, Matteo Salvini, forderte den Rücktritt Renzis und sofortige Neuwahlen.
Die Rücktrittsankündigung ließ dann tatsächlich nicht lange auf sich warten: Zunächst reagierte Renzi per Twitter auf die schwere Niederlage. „Trotz allem Danke! Es lebe Italien.“Dann kündigte er in einer Erklärung für heute, Montag, seinen Rücktritt an.
Danach gibt es die Möglichkeit einer Übergangsregierung bis 2018, aber auch von Neuwahlen.
Europas große Angst
Bei Neuwahlen hätte laut Umfragen die Fünf-SterneBewegung des früheren Komikers Peppo Grillo alle Chancen, zu gewinnen. Eine Horrorvorstellung für Europa, denn Grillo will Italien zumindest aus dem Euro führen, wenn nicht aus der EU.
Dass Matteo Renzi monatelang wie ein Turbo mit seinem Versprechen als „Stabili- tätsfaktor“durch das Land getourt war, hatte nichts gefruchtet. Bei der großen Abschlusskundgebung auf der Piazza della Signoria in seiner Heimatstadt Florenz am Freitag sowie zuvor in Palermo und Reggio Calabria hatte der Regierungschef zum Urnengang aufgerufen. 67 Prozent der Wahlberechtigten waren der Aufforderung gefolgt – aber mit für Renzi unerfreulichem Ergebnis.
Im langen Wahlkampf war es kaum um Inhalte ge- gangen. Seit 70 Jahren ist die italienische Verfassung unangetastet – im gleichen Zeitraum hatte das Land bereits 60 Regierungen. Das System besteht bisher aus einem gleichberechtigten Abgeordnetenhaus und Senat, die sich bei der Verabschiedung von Gesetzen oft gegenseitig blockieren. Ein reduzierter Senat würde nicht nur Kosten sparen, sondern auch die Bürokratie und Reformen vereinfachen.
In den vergangenen Wochen machte der Premier seinen Landsleuten fast wöchentlich neue „Geschenke“, um sie milde zu stimmen. Steuersenkungen, Pensionserhöhungen und Familienzuschüsse sind nur einige der Zugeständnisse. Diese würde er auch „mit dem Schwert verteidigen“, entgegnete Renzi seinen Kritikern.
Als der 41-jährige Florentiner vor zweieinhalb Jahren „putschartig“die Macht an sich riss, galt er für viele als Erneuerer und Hoffnungsträger. Tatsächlich hat Renzi in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit die Ärmel hochgekrempelt. Wenn er auch nicht jeden Monat eine neue Reform hervorbrachte, wie großspurig angekündigt, so konnte er doch dringend erforderliche Maßnahmen umsetzen. Die Arbeitsmarktreform gilt als Steckenpferd der Regierung Renzi. Im Zuge des „Jobs Act“gelang es Renzi als erstem Regierungschef, den Artikel 18, der italienischen Arbeitnehmern einen strengen Kündigungsschutz sicherte, aufzuheben. Eine Reform, die die Italiener offenbar nicht goutierten.
Wenig rosig ist dennoch die ökonomische Situation. Nach einer jahrelangen Durststrecke mit Wachstum gegen null, benötigt die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone dringend Wirtschaftsreformen. Dazu zählt vor allem eine Ankurbelung des stagnierenden Arbeitsmarktes. Die Arbeitslosigkeit, die bei Amtsantritt Renzis auf einem Rekordhoch lag, ist vor allem unter jungen Leuten dramatisch (36 Prozent), auch wenn sie zuletzt leicht zurückgegangen ist.