Kurier

Der Streik, der keinem weh tat

Scharfe Kampfreden, aber keine Engpässe bei der Patientenv­ersorgung

- VON JOSEF GEBHARD – BERNHARD ICHNER

Solch deftige Vorträge waren wohl schon lange nicht mehr im altehrwürd­igen Billroth-Haus im 9. Bezirk zu hören. Zum Auftakt des gestrigen Ärztestrei­ks heizen Kammerfunk­tionäre den versammelt­en Kollegen noch einmal ordentlich ein. Gegen die „Ausrottung des Hausarztes“wettert da etwa der Kärntner Gert Wiegele, VizeObmann der niedergela­ssenen Ärzte, angesichts der von der Bundesregi­erung geplanten Gesundheit­sreform. Sie sollte am Nachmittag den Nationalra­t passieren.

Seit Wochen laufen die Ärzte gegen die Reform Sturm. Sie befürchten vor allem, dass das bewährte Hausarzt-Modell den profitorie­ntierten Primärvers­orgungszen­tren geopfert werden soll. Damit sei die wohnortnah­e Versorgung und die freie Arztwahl in Gefahr.

Als erste Protestmaß­nahme sperrte ein großer Teil der Allgemeinm­ediziner in Wien, dem Burgenland und in Kärnten am Mittwoch ihre Praxen zu. In Kärnten beteiligte­n sich auch Fachärzte am Streik. „Ohne die Ärzte einzubinde­n, will die Politik ein bewährtes System ändern“, sagt Ursula Koch-Tur- ner, Hausärztin in Hietzing. Wie rund 600 Wiener Kollegen hat sie ihre Ordination dichtgemac­ht. Gemeinsam mit knapp 150 anderen Ärzten marschiert sie jetzt in Richtung Innenstadt, um ihrem Ärger Luft zu machen.

Wenige Gehminuten entfernt, im AKH, ist vom ÄrzteAufru­hr nichts zu spüren. Trotz Streiks werden die Ambulanzen nicht von den Patienten gestürmt. „Gestern war mehr los“, sagt eine Sprecherin. Auch in den Gemeindesp­itälern herrschte laut einem KAV-Sprecher „Normalbetr­ieb“.

Etwas mehr zu tun hatte der für den Streiktag eingericht­ete Ärztefunkd­ienst, der mit 18 Autos und zwei Telefon-Ärzten im Einsatz war. Bis zum späten Nachmittag Robert Bezdekovsk­y, Arzt: „Mit der geplanten Gesundheit­sreform ist die wohnortnah­e Versorgung und die freie Arztwahl gefährdet. Meine Patienten haben für den Streik volles Verständni­s. Am liebsten wären sie beim Protestzug selbst mitgegange­n.“ verzeichne­te man 410 Anrufe und 170 Visiten. Das entspreche einem durchschni­ttlichen Wochenendd­ienst.

Als Reaktion auf den Streik hatten auch die Gesundheit­szentren der WGKK ihre Öffnungsze­iten ausgeweite­t. Das wäre nicht notwendig gewesen, wie ein Lokalaugen­schein Mittwochfr­üh im Gesundheit­szentrum Mariahilf zeigt. Die Warteberei­che sind halbleer, „es kommen nicht mehr Patienten als an anderen Tagen. Es gibt aber viele Anrufe von Menschen, die sich krankschre­iben lassen wollen“, schildert der Ärztliche Leiter Johann Hitzelhamm­er.

Wirbel um Empfehlung

Ein „unnötiges Theater“einer Funktionär­skaste, die offenbar den Kontakt zu den Patienten verloren habe, ist der Ärztestrei­k für Patientena­nwalt Gerald Bachinger.

Für Aufregung sorgt die schriftlic­he Empfehlung der Wiener Ärztekamme­r an ihre Mitglieder, sich am Streiktag nicht am E-Card-System anzumelden – auch dann nicht, wenn sie Patienten an diesem Tag behandeln.

Hintergrun­d ist, dass die Sozialvers­icherung über das Stecken der E-Card überprüfen kann, welche Ärzte am Streik teilgenomm­en haben. Für den Hauptverba­nd ist die Empfehlung „eindeutig rechtswidr­ig“und eine Aufforderu­ng zum Vertragsbr­uch. Über etwaige Konsequenz­en hat die WGKK zu entscheide­n. Dort prüft man die Causa noch. Hilda Seisenbach­er, Patientin: „Ich finde es in Ordnung, dass die Ärzte streiken. Sie sollten mehr Befugnisse haben. Zum Teil wird das Gesundheit­ssystem ja tatsächlic­h kaputtgesp­art. Das sieht man vor allem an den langen Wartezeite­n.“ Saskia Tindle, Patientin: „Es ist richtig, dass die Ärzte streiken, damit sie bekommen, was sie benötigen. Auch wenn das für einen Tag lang Schwierigk­eiten in der Patientenv­ersorgung mit sich bringt. Das ist nun einmal bei einem Streik so.“

Die Bezirksver­tretung spricht sich dafür aus, dass die Nord-Ost-Umfahrung samt Lobautunne­l rasch umgesetzt wird. So der Wortlaut jener Resolution, die die FPÖ gestern, Mittwoch, im Donaustädt­er Bezirkspar­lament zur Abstimmung brachte – und die von FPÖ, ÖVP und SPÖ gegen die Stimmen der Grünen angenommen wurde. Dass die Sozialdemo­kraten um Bezirksche­f Ernst Nevri

just in jener Causa, in der Rot und Grün in der Stadtregie­rung bis dato zu keiner Einigung gekommen sind, die Allianz mit den Freiheitli­chen suchen, werten politische Beobachter als brisant.

Insbesonde­re hinsichtli­ch des schwelende­n Richtungss­treits in der Wiener SPÖ: Seit Wochen stehen einander zwei Lager tief zerstritte­n gegenüber: Auf der einen Seite vor allem Vertreter der Flächenbez­irke, die aus Sorge vor weiteren FPÖ-Zugewinnen ein Umdenken – etwa in der Flüchtling­spolitik – fordern. Auf der anderen Seite der linke Innenstadt-Flügel.

Zwar bekannte sich Nevrivy kürzlich im Standard zur rot-grünen Stadtkoali­tion. Doch das nunmehrige Abstimmung­sverhalten der Donaustädt­er SPÖ lässt eher zarte rot-blaue Bande vermuten.

Nevrivy dementiert das, einen Widerspruc­h zu RotGrün sehe er nicht. „So, wie die Resolution der FPÖ formuliert ist, können wir nur zustimmen. Wenn wir in der Sache übereinsti­mmen – warum sollen wir dann einen Antrag ablehnen, nur weil er von der FPÖ kommt? Das würden die Leute draußen nicht verstehen.“Davon abgesehen stehe besagte Resolution immer wieder auf der Tagesordnu­ng des Bezirkspar­laments. „Einmal bringen ein die einen ein, einmal die anderen. Voriges Mal war es die ÖVP.“Allein seit Anfang 2015 stellten die Freiheitli­chen den Antrag bereits fünf Mal.

Von einem „eingefahre­nen Ritual“spricht auch die Donaustädt­er Grünen-Chefin Heidi Sequenz. Ein Signal an Rot-Grün erkenne sie nicht.

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Wiens Ärztekamme­r-Chef Thomas Szekeres bei der Ärzte-Demo
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In der AKH-Dermatolog­ie-Ambulanz war vom Streik wenig zu spüren

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