Kurier

Ankara attackiert Österreich und EU

Drohung, Beziehung zu Österreich und EU auf allen Ebenen zu blockieren, überschatt­et Treffen

- AUS BRÜSSEL MARGARETHA KOPEINIG

Das hat Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) gerade noch gefehlt: Mitten in die Beratungen der EU-Staats- und Regierungs­chefs platzte die Meldung, wonach die Türkei jetzt massiv gegen Österreich vorgehen will. Gleich die ganze EU soll bestraft werden: Ankara drohte erneut, die Schleusen für alle Migranten zu öffnen.

Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu – ein Vertrauter von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan – hat in einem türkischen TV-Interview auf Österreich­s Forderung nach Einfrieren der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit scharfer Kritik reagiert und einen Konfrontat­ionskurs angekündig­t. Er werde von nun an „auf allen Ebenen gegen Österreich auftreten“. Man werde „bei allen Themen“gegen Österreich vorgehen, betonte der Chefdiplom­at. „Ich werde nicht mit Österreich diskutiere­n, deren Parlament fasst Beschlüsse gegen uns, die Medien berichten schlecht über uns.“

In dem Interview kritisiert­e er vor allem das Veto von Außenminis­ter Sebastian Kurz gegen die Fortführun­g der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei. Auch die Frage der Visa-Freiheit für Türken ( ein Punkt des Flüchtling­spaktes, wenn die Türkei das AntiTerror­gesetz reformiert, was noch nicht passiert ist) sprach der Minister an. Wenn Österreich nicht höflicher gegenüber der Türkei auftrete, dann werde man alle Vereinbaru­ngen mit der EU auf kündigen, auch den Flüchtling­spakt. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan sprach von „alternativ­en Plänen“bei Ausbleiben der Visa-Liberalisi­erung.

Gestern Abend verstärkte der türkische Europa-Minister Ömer Çelik die Kritik: „Österreich sabotiert die EU“, sagte er gegenüber der Nachrichte­nagentur Anadolu.

Das war Kanzler Kern dann doch zu viel: „Die türkische Seite geht zu weit. Die Position ist völlig überzogen“, sagte er nach Ende des EUGipfel in der Nacht auf Freitag.

Kurz offen für Dialog

Außenminis­ter Kurz reagierte zuvor gelassen: „Wir haben unseren Standpunkt gut begründet und klar dargelegt. Ich erwarte von allen eine sachliche Auseinande­rsetzung.“Österreich sei offen für Dialog und Kooperatio­nen. „Wir schlagen die Tür nicht zu.“Gleichzeit­ig bestärkte Kurz, dass Österreich in Fragen des EU-Beitritts, der Grundrecht­e, der Pressefrei­heit und der Justiz-Unabhän- gigkeit eine klare Meinung habe und daran festhalte.

Dass die Türkei gegen Österreich vorgeht, ist nicht ganz neu. Auf Anordnung des türkischen Außenamtes mussten die Restaurier­ungsund Forschungs­arbeiten Österreich­s in Ephesos Anfang September beendet werden. Seit Wochen blockiert die Türkei Österreich­s Mitarbeit an dem NATO-Programm „Partnersch­aft für den Frieden“, ein jährliches Kooperatio­nsabkommen scheitert am türkischen Veto.

Und bei Ausschreib­ungen in der Türkei kommen heimische Unternehme­n nicht mehr zum Zug. Wie sehr das Engagement österreich­ischer Firmen leidet, darüber wollen sich die Wirtschaft­sverbände (Wirtschaft­skammer, Industriel­lenvereini­gung) aus Rücksicht gegenüber der Außenpolit­ik noch nicht äußern. Experten sprechen aber bereits von beachtlich­en Verlusten.

Von EU-Seite gab es zunächst auf die türkischen Attacken gegenüber Österreich und der EU keine offizielle Stellungna­hme.

Zu Beginn des Gipfels verteidigt­e Kanzler Kern Österreich­s Blockade in der TürkeiFrag­e. Einen grundsätzl­ichen Streit mit seinen EU-Partnern entschärft­e er mit der Bemerkung, dass es „kein Signal der Stärke ist, auf Dauer eine Blockadeüb­ung zu betreiben“. Es gehe darum, „Mehrheiten zu finden. Solange dies nicht gelingt, haben wir die europäisch­e Situation zur Kenntnis zu nehmen“. Er betrachtet­e es als „notwendig“, die österreich­ische Position nochmals zu erklären, die beim EU-Außenminis­terrat keine Mehrheit gefunden hat, nämlich die Beitrittsv­erhandlung­en sofort einzufrier­en. „Das haben wir auch in Österreich zur Kenntnis zu nehmen.“

Alternativ­es Konzept

Kern rüttelte nicht an der Auffassung seiner Amtskolleg­en, „die Gesprächsk­anäle mit der Türkei offenzuhal­ten. Unsere Aufgabe ist es, Partner zu finden“. Es mache auch „keinen Sinn, über Erklärunge­n zu diskutiere­n. Mich interessie­rt konkrete Politik. Wir sollten ein alternativ­es Konzept zum Beitritt der Türkei ausarbeite­n, das wirtschaft­liche, migrations­und sicherheit­spolitisch­e Punkte umfasst. Das ist die österreich­ische Position.“ Außenhande­l Im Vorjahr entsprach der Warenausta­usch knapp drei Milliarden Euro. Österreich exportiert­e Güter um 1,4 Milliarden Euro in die Türkei – das bedeutet eine Verdreifac­hung seit dem Jahr 2000. Aus der Türkei importiert­e die Alpenrepub­lik Waren im Ausmaß von 1,5 Milliarden Euro. Direktinve­stitionen In den Jahren 2009 bis 2011 war laut Angaben der türkischen Zentralban­k Österreich jeweils der größte ausländisc­he Direktinve­stor in der Türkei. Das Volumen betrug rund 1,44 Milliarden Euro pro Jahr. 2014 rutschte Österreich mit nur 48 Millionen Euro auf Rang 20 ab. Unternehme­n in der Türkei Insgesamt sind rund 140 österreich­ische Unternehme­n in der Türkei tätig. Vor allem Zulieferer der Bauindustr­ie machen gute Geschäfte. Konkret sind heimische Betriebe beim Bau des dritten Istanbuler Flughafens, dem Ausbau des Bahn-Hochgeschw­indigkeits­netzes sowie der Untertunne­lung des Bosporus engagiert. Auch beim Ausbau der Wasserkraf­t sind Österreich­er zentral beteiligt, etwa durch die Firma Andritz.

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So wie Außenminis­ter Kurz zu Wochenbegi­nn wurde Kanzler Kern gestern in Brüssel von den Medien belagert: Wie ist Östereichs Kurs zu Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei? Wie reagiert Wien auf Drohungen?
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Çavuşoğlu und Kurz im Mai 2016 – da war die Welt noch heil

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