Ankara attackiert Österreich und EU
Drohung, Beziehung zu Österreich und EU auf allen Ebenen zu blockieren, überschattet Treffen
Das hat Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) gerade noch gefehlt: Mitten in die Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs platzte die Meldung, wonach die Türkei jetzt massiv gegen Österreich vorgehen will. Gleich die ganze EU soll bestraft werden: Ankara drohte erneut, die Schleusen für alle Migranten zu öffnen.
Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu – ein Vertrauter von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan – hat in einem türkischen TV-Interview auf Österreichs Forderung nach Einfrieren der EU-Beitrittsverhandlungen mit scharfer Kritik reagiert und einen Konfrontationskurs angekündigt. Er werde von nun an „auf allen Ebenen gegen Österreich auftreten“. Man werde „bei allen Themen“gegen Österreich vorgehen, betonte der Chefdiplomat. „Ich werde nicht mit Österreich diskutieren, deren Parlament fasst Beschlüsse gegen uns, die Medien berichten schlecht über uns.“
In dem Interview kritisierte er vor allem das Veto von Außenminister Sebastian Kurz gegen die Fortführung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Auch die Frage der Visa-Freiheit für Türken ( ein Punkt des Flüchtlingspaktes, wenn die Türkei das AntiTerrorgesetz reformiert, was noch nicht passiert ist) sprach der Minister an. Wenn Österreich nicht höflicher gegenüber der Türkei auftrete, dann werde man alle Vereinbarungen mit der EU auf kündigen, auch den Flüchtlingspakt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sprach von „alternativen Plänen“bei Ausbleiben der Visa-Liberalisierung.
Gestern Abend verstärkte der türkische Europa-Minister Ömer Çelik die Kritik: „Österreich sabotiert die EU“, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu.
Das war Kanzler Kern dann doch zu viel: „Die türkische Seite geht zu weit. Die Position ist völlig überzogen“, sagte er nach Ende des EUGipfel in der Nacht auf Freitag.
Kurz offen für Dialog
Außenminister Kurz reagierte zuvor gelassen: „Wir haben unseren Standpunkt gut begründet und klar dargelegt. Ich erwarte von allen eine sachliche Auseinandersetzung.“Österreich sei offen für Dialog und Kooperationen. „Wir schlagen die Tür nicht zu.“Gleichzeitig bestärkte Kurz, dass Österreich in Fragen des EU-Beitritts, der Grundrechte, der Pressefreiheit und der Justiz-Unabhän- gigkeit eine klare Meinung habe und daran festhalte.
Dass die Türkei gegen Österreich vorgeht, ist nicht ganz neu. Auf Anordnung des türkischen Außenamtes mussten die Restaurierungsund Forschungsarbeiten Österreichs in Ephesos Anfang September beendet werden. Seit Wochen blockiert die Türkei Österreichs Mitarbeit an dem NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“, ein jährliches Kooperationsabkommen scheitert am türkischen Veto.
Und bei Ausschreibungen in der Türkei kommen heimische Unternehmen nicht mehr zum Zug. Wie sehr das Engagement österreichischer Firmen leidet, darüber wollen sich die Wirtschaftsverbände (Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung) aus Rücksicht gegenüber der Außenpolitik noch nicht äußern. Experten sprechen aber bereits von beachtlichen Verlusten.
Von EU-Seite gab es zunächst auf die türkischen Attacken gegenüber Österreich und der EU keine offizielle Stellungnahme.
Zu Beginn des Gipfels verteidigte Kanzler Kern Österreichs Blockade in der TürkeiFrage. Einen grundsätzlichen Streit mit seinen EU-Partnern entschärfte er mit der Bemerkung, dass es „kein Signal der Stärke ist, auf Dauer eine Blockadeübung zu betreiben“. Es gehe darum, „Mehrheiten zu finden. Solange dies nicht gelingt, haben wir die europäische Situation zur Kenntnis zu nehmen“. Er betrachtete es als „notwendig“, die österreichische Position nochmals zu erklären, die beim EU-Außenministerrat keine Mehrheit gefunden hat, nämlich die Beitrittsverhandlungen sofort einzufrieren. „Das haben wir auch in Österreich zur Kenntnis zu nehmen.“
Alternatives Konzept
Kern rüttelte nicht an der Auffassung seiner Amtskollegen, „die Gesprächskanäle mit der Türkei offenzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, Partner zu finden“. Es mache auch „keinen Sinn, über Erklärungen zu diskutieren. Mich interessiert konkrete Politik. Wir sollten ein alternatives Konzept zum Beitritt der Türkei ausarbeiten, das wirtschaftliche, migrationsund sicherheitspolitische Punkte umfasst. Das ist die österreichische Position.“ Außenhandel Im Vorjahr entsprach der Warenaustausch knapp drei Milliarden Euro. Österreich exportierte Güter um 1,4 Milliarden Euro in die Türkei – das bedeutet eine Verdreifachung seit dem Jahr 2000. Aus der Türkei importierte die Alpenrepublik Waren im Ausmaß von 1,5 Milliarden Euro. Direktinvestitionen In den Jahren 2009 bis 2011 war laut Angaben der türkischen Zentralbank Österreich jeweils der größte ausländische Direktinvestor in der Türkei. Das Volumen betrug rund 1,44 Milliarden Euro pro Jahr. 2014 rutschte Österreich mit nur 48 Millionen Euro auf Rang 20 ab. Unternehmen in der Türkei Insgesamt sind rund 140 österreichische Unternehmen in der Türkei tätig. Vor allem Zulieferer der Bauindustrie machen gute Geschäfte. Konkret sind heimische Betriebe beim Bau des dritten Istanbuler Flughafens, dem Ausbau des Bahn-Hochgeschwindigkeitsnetzes sowie der Untertunnelung des Bosporus engagiert. Auch beim Ausbau der Wasserkraft sind Österreicher zentral beteiligt, etwa durch die Firma Andritz.