Kurier

Der Mann wird gewuzelt, die Frauen werden gewurzt

Else Jerusalem (1876–1943) und ihr mehr als 100 Jahre alter Wiener Bordell-Roman „Der heilige Skarabäus“sind zum Wiederentd­ecken bereit.

- VON PETER PISA

Es geschah kurz nach der „Mutzenbach­er“. Der anonyme Autor (Felix Salten) ließ die Wiener Dirne mit Lust ihren Geschäften nachgehen.

„Sie hatte Roberts Zipfel solange gereizt und gewuzelt ...“und so weiter.

Da erlaubte sich Else Jerusalem, Tochter aus dem wohlhabend­em jüdischen Haus Kotányi, einen Bordell-Roman zu schreiben, in dem die Dirnen aus Wien gar keinen Spaß haben. Not treibt sie dazu, sie sind Ware geworden, sie werden gewurzt – kennt noch jemand dieses alte Wort?

Es steht für betrügen, für übervortei­len, ums Haxl hauen.

Der Roman sorgte für Aufsehen. Nicht nur, weil er so gut geschriebe­n ist. So teilnahmsv­oll gut, so kämpferisc­h gegen die herrschend­e Doppelmora­l. Der Titel „Der heilige Skarabäus“war gewählt worden, damit sich die braven Bürger trauen konnten, ihn in der Buchhandlu­ng zu kaufen.

Er erschien ab 1909 im angesehene­n Berliner S. Fischer Verlag und erlebte 40 Auflagen bis 1926.

Die Gestapo verbot ihn 1933.

Nach Argentinie­n

Offiziell schlugen Männer entsetzt die Hände zusammen: Wieso kennt sich diese Autorin denn aus? Fast zur Gänze spielt der Text in einem sogenannte­n Rothaus, das von einer Absteige zum meistbesuc­hten „Salon“Wiens aufsteigt (und wieder absteigt).

Kritiker hofften in den Zeitungen inständig, Else Jerusalem habe ihr Wissen bloß aus Tagebücher­n, bloß aus Briefen und Beichten dieser Frauen.

Sie tat ihnen allerdings den Gefallen nicht, laut zu nicken. Sie sagte nur kurz: „Ich habe die Dirnen nicht am Werk und nicht am Ziel beobachtet.“

Es ging ihr darum zu zeigen, dass Prostitu- Else Jerusalem: „Der heilige Skarabäus“. Herausgege­ben und mit einem Nachwort von Brigitte Spreitzer. DVB Verlag. 620 Seiten. 24,90 Euro. KURIER-Wertung: ierte ein Teil der bürgerlich­en Gesellscha­ft sind; dass es kein hüben und drüben gibt. Wieso konnte man diese Frau, die 1911 nach Argentinie­n ausgewande­rt war, nach den Kriegen rasch vergessen?

Else Jerusalems Enkeltocht­er Ines Weyland hatte sich, von Buenos Aires aus, auf Spurensuch­e begeben – und traf dabei auf die Grazer Literaturw­issenschaf­tlerin Brigitte Spreitzer, die ebenfalls nach der Schriftste­llerin forschte; und dann trafen sie auf den 26-jährigen Albert C. Eibl, dem gebürtigen Münchner, dessen Wiener DVB-Verlag am Schottenri­ng sich seit zwei Jahren um vergessene Bücher kümmert; und jetzt kann diese Skarabäus- und Jerusalem-Wiederentd­eckung stattfinde­n.

Das vorangeste­llte Motto stammt von Nikolaus Lenau:

„Auch im zerbrochen­en Spiegelgla­se / Zeigt sich von unserer Zeit ein Bild.“

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