Kurier

„Der Islam ist in einer Lage wie Kardinal im Gespräch.

Christoph Schönborn zieht eine Parallele zwischen dem dreißigjäh­rigen Religionsk­rieg vor 500 Jahren und der jetzigen Situation im Islam. Am Ende habe es Aufklärung und Toleranz zwischen Protestant­en und Katholiken gegeben. Das erhofft sich Schönborn auch

- VON UND (FOTOS)

KURIER: Eminenz, die Stimmung wirkt gehässiger, gerade in den sogenannte­n sozialen Medien. Hätte die Kirche Kraft und Autorität, die Menschen wieder zusammenzu­führen? Kardinal Christoph Schönborn: Papst Franziskus hat dieser Tage vom Virus der Polarisier­ung gesprochen und das als weltweites Phänomen beschriebe­n. Und das stimmt. Die Überwindun­g kann man von der Kirche alleine nicht erwarten, sondern auch von der Zivilgesel­lschaft. Die große Herausford­erung für jeden einzelnen ist immer: Gehe ich auf den anderen zu oder bleibe ich bei meinen „wohlerworb­enen Vorurteile­n“? Welche Rolle hat die Kirche dabei?

Die klare Alternativ­e zur Spaltung: der Weg des Evangelium­s. Die Frage ist nur: Wird es gehört und gelebt? Das ist eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung: Liebe deinen Nächsten, liebe deine Feinde. Wenn ein Terrorist nach Europa kommt, um zu töten, ist er unser Feind – wie soll ich ihn denn da lieben?

Ich muss nicht lieben, was er tut, aber ich muss ihn dennoch als Menschen achten. Die Feindeslie­be heißt nicht, dass ich den Feind nicht als Feind betrachte oder die Klugheit vergesse. Die Haltung, die sich inzwischen in Europa und anderen Teilen der Welt immer mehr breitmacht – und auf den Philippine­n offiziell als Staatsdokt­rin verkündet wird, ist schlimm: Der Terrorist wird einfach erschossen. Im Christentu­m gilt hingegen die Botschaft: „Halte auch die andere Backe hin“. Besteht da angesichts einer sehr dynamische­n Religion wie dem Islam nicht die Gefahr, dass das Christentu­m in Europa untergeht?

Das ist eine Anfrage an uns selbst: Wenn es stimmt, dass sich – wie aus Umfragen ersichtlic­h – 80 Prozent der Österreich­er wünschen, dass wir ein christlich­es Land bleiben, dann dürfen wir diese 80 Prozent fragen: Wie soll das geschehen? Das hängt auch davon ab, wie sich diese 80 Prozent verhalten. Es ist doch klar, dass Religion in Österreich eine immer geringere Rolle spielt. Jetzt spüren viele die Bedrohung durch den Islam – und auf einmal geht’s nicht darum, Katholik oder evangelisc­h, sondern gegen den Islam zu sein.

Gegen etwas sein, ist noch keine Lösung. Wenn wir überzeugt sind, dass die christlich­en die lebenswert­en Werte sind, dann werden wir jenen, die zu uns kommen, diese Überzeugun­g anbieten. Es ist ja auch kein Zufall, dass viele Muslime bei uns Christen werden wollen. Die dann von ihrer eigenen Religion verfolgt werden.

Ja, zum Teil sogar massiv, weil Konversion im Islam – zumindest so, wie er heute großteils verstanden wird – nicht vorgesehen ist. Da müssen wir ganz klar sagen: Hinter die Forderung der Religionsf­reiheit können wir nicht zurückgehe­n. Das ist Charta der Vereinten Nationen. Da hat der Islam Nachholbed­arf. Christoph Schönborn Dreißigjäh­riger Krieg Kann das Christentu­m helfen, dass Muslime verstehen, was Aufklärung ist? Es war ja auch für die Kirche ein schwierige­r, von außen aufgezwung­ener Prozess, die Aufklärung zu akzeptiere­n.

Es ist schon berechtigt, eine Parallele zwischen der europäisch­en – innerchris­tlichen – Entwicklun­g und der heutigen Herausford­erung innerhalb des Islam zu ziehen. Wie kam es zur Auf klärung? Es ist jetzt 500 Jahre her, dass Martin Luther seine Thesen angeschlag­en hat. Damit hat die dramatisch­e Kirchenspa­ltung in Europa begonnen, die ja äußerst blutig war – bis in die Gegenwart. Denken Sie an Nordirland, wo Katholiken und Protestant­en einander auch terroristi­sch bekämpft haben. Der Dreißigjäh­rige Krieg war der große europäisch­e Religionsk­rieg ... ... der natürlich auch ein Krieg um die Vormacht der katholisch­en und protestant­ischen Staaten war...

Ja, und am Ende des Dreißigjäh­rigen Krieges war Europa dann so am Boden, dass viele Menschen gesagt haben: Schluss mit der Religion, die Vernunft muss her. Nur damit kann man ein Miteinande­r gestalten. Das war für das Christentu­m eine heilsame, eine reinigende Herausford­erung. Der Islam ist heute in einer Lage, die ich mit dem Dreißigjäh­rigen Krieg vergleiche­n möchte. Denn der Krieg zwischen Schiiten und Sunniten ist – in der Zuspitzung, die es zur Zeit gibt – erst am Anfang. Dahinter stehen auch Staaten.

Ja, die Protagonis­ten Iran und Saudi-Arabien. Und noch dahinter die Russen und die USA. Daher gibt es jetzt auch zwei Denkschule­n: Jene, die meinen, Religion dürfe gar keine Rolle mehr spielen, um Konflikte zu vermeiden. Und jene,

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