Kurier

„Wir Kurden kennen doch nichts anderes als Härte“

Alltag im Ausnahmezu­stand. Seit Monaten geht die türkische Regierung mit brutaler Härte gegen Kurden, ihre Politiker und ihre Medien vor. Immer neue Anschläge radikaler Kurdengrup­pen verschärfe­n den Konflikt weiter.

- AUS ISTANBUL

Auf der Straße im Istanbuler Stadtteil Tarlabaşı spielen kleine Jungs in ausgelatsc­hten Plastiksch­uhen und zwischen den Häusern sind Wäschelein­en gespannt, auf denen bunte Kleidung in der ständigen Brise und den letzten frühwinter­lichen Sonnenstra­hlen trocknet. Als die prokurdisc­he Partei HDP es im Juni vergangene­n Jahres bei den türkischen Parlaments­wahlen über die Zehn-Prozent-Hürde schaffte, tanzten hier die Menschen tagelang auf der Straße und vertrieben die ärmliche Tristesse. Das gesamte Viertel verwandelt­e sich in ein Meer aus Flaggen und Fahnen in den kurdischen Nationalfa­rben. Denn in Tarlabaşı befindet sich nicht nur die Hauptzentr­ale der HDP, hier wohnen auch viele Kurden.

Doch seither hat sich viel verändert: Der Friedenspr­ozess und die Gespräche mit dem inhaftiert­en PKK-Chef Abdullah Öcalan wurden auf Eis gelegt, die Wahlen wenige Monate später wiederholt, zuletzt kurdische Parlamenta­rier ins Gefängnis gesperrt.

Neuer Anschlag auf Soldaten

Weil noch immer Ausnahmezu­stand herrscht und die Türkei deswegen seit einem halben Jahr per Dekret regiert wird, konnten über Nacht viele kurdische Zeitungen verboten und Vereine geschlosse­n werden. Parallel dazu hat sich die Spirale der Gewalt erneut in Gang gesetzt und fordert unablässig weitere Todesopfer: Nicht nur bei Militär und PKK, sondern auch viele Zivilisten.

Samstag frühmorgen­s sprengte sich ein Selbstmord­attentäter im zentralana­tolischen Kayseri neben einem Bus mit Soldaten in die Luft. Mindestens 13 von ihnen starben, Dutzende wurden verletzt. Eine Woche zuvor hatten zwei Selbstmord­attentäter im Herzen Istanbuls über 40 Menschen in den Tod gerissen. Beide Attentate soll von den „Freiheitsf­alken Kurdistans“verübt worden sein – eine Terrorgrup­pe, die laut türkischer Regierung eine Splittergr­uppe der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK ist.

An Unterdrück­ung gewöhnt

In Tarlabaşı herrscht derzeit daher gedämpfte Stimmung. Darauf angesproch­en, wie es den Kurden damit geht, dass die Regierung so hart gegen kurdische Parteien, Vereine und Zeitungen vorgeht, reagieren hier die meisten mit einem Schulterzu­cken: „Wir kennen es doch gar nicht anders.“In einem Elektrolad­en am Ende der Straße sitzt hinter der Kasse eine junge Kurdin. Berivan ist Ende Zwanzig und trauert umdie Opfer auf beiden Seiten. Keine Terrororga­nisation tötet in ihrem Namen, aber auch der türkische Staat macht sie fassungslo­s: „Manchmal wünsche ich mir fast, dass die Regierung kurzen Prozess macht und uns alle umbringt, in einem Vernichtun­gsschlag“, sagt sie und erklärt: „Dann hätte das ganze Leid, das man uns antut, wenigstens ein Ende.“Den Familienbe­trieb, in dem sie arbeitet, gibt es seit rund zwanzig Jahren, seit die gesamte Verwandtsc­haft nach und nach vor dem Bürgerkrie­g im Südosten in die Metropole am Bosporus geflohen ist. In ihrer neuen Heimat fühlte sich die Familie bislang wohl – bis der Ausnahmezu­stand, vor dem sie geflohen waren, sie auch hier eingeholt hat.

Berivan kennt fast alle ihre Kunden mit Namen, mit manchen spricht sie in ihrer Mutterspra­che Kurdisch. Viele waren schon damals, im fernen Batman Nachbarn. Aber das idyllische Bild bekommt Risse. „Mein Onkel hat mich darum gebeten, dass ich keine kurdischen Zeitungen mehr im Geschäft herumliege­n lasse“, erzählt Berivan: „Jeder Kurde steht mittlerwei­le unter Generalver­dacht“. Sie möchte trotzdem nicht daran glauben, dass es gewalttäti­ge Übergriffe, wie sie bereits auf kurdische Institutio­nen oder Parteizent­ralen der HDP stattgefun­den haben, auch auf die Bevölkerun­g geben könnte. „Die Türken haben kein Problem mit uns. Es ist der Staat, der einen Krieg gegen die Kurden führt“, findet Berivan: „Meine Familie besteht aus Kurden und Türken. Man kann uns nicht trennen“.

Angst Kurdisch zu sprechen

Anders sieht das Mahmut Celayir. Er ist Maler und sein Leben verläuft fernab von Tarlabaşı. Sein Atelier befindet sich in einem schicken Altbau in einem Szeneviert­el nur wenige Meter vom Galata-Turm entfernt. „Wir haben Angst“, sagt er frei heraus und fügt hinzu: „Ich traue mich nicht mehr in der Öffentlich­keit Kurdisch zu sprechen. Denn in der Tat sind die Ressentime­nts gegen Kurden in der Türkei groß und allgegenwä­rtig. Durch den Einzug der HDP ins Parlament hat die AKP nicht nur Sitze verloren, sondern auch echten, opposition­ellen Gegenwind bekommen. Denn statt sich auf die Religion einschwöre­n zu lassen, wie es die Wähler der AKP tun, fordern viele Kurden die universell­en Menschenre­chte und mehr Demokratie, analysiert Celayir. Der jahrzehnte­lang tobende Bürgerkrie­g hat die Menschen im Südosten gelehrt, wie wichtig die freiheitli­chen Grundrecht­e für das Leben und Überleben sind. Das macht sie zu einer Gefahr.

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