Dr. Universalgenie ermittelt Gerichtsmedizin.
Der Fall Aliyev rückt einen Beruf ins Licht, der durch TV-Fiktion verfremdet wurde
Da steht der Gerichtsmediziner im Labor, analysiert Schlamm vom Schuh des Toten, vergleicht mit der Blutanalyse, schießt auf eine Melone, hat einen Geistesblitz und − voilà, Fall gelöst. Episode aus.
„Im Fernsehen sieht man ein idealisiertes Bild“, mahnt Uni-Professor Walter Rabl von der MedUni Innsbruck. „In vielen Serien ist der Gerichtsmediziner ein Universalgenie: Er ist am Tatort, verhaftet Verdächtige, sichert Spuren, wertet sie aus.“Fiktion, zuweilen weit hergeholt: Die gezeigten Arbeitsmethoden gibt es zwar tatsächlich, aber sie werden von mehreren Personen durchgeführt. Das dauert länger als 50 TVMinuten, und überhaupt: Gerichtsmediziner vernehmen Verdächtige schon gleich einmal überhaupt nicht. „Das ist fern der Realität“, betont auch Gerichtsmedizinerin Edith Tutsch-Bauer von der Uni Salzburg und schmunzelt dabei.
Beruf im Blickfeld
Rund 30 Gerichtsmediziner gibt es in Österreich. Ihr Berufsstand rückte diese Woche durch den Fall Rakhat Aliyev schlagartig ins Licht: Der deutsche Rechtsmediziner Bernd Brinkmann erstellte nämlich ein Gutachten über den Tod des kasachischen ExBotschafters in dessen Zelle in Wien, um festzustellen, dass es sich dabei um „eine Tötung durch fremde Hand“handle. Mord also, nicht Suizid, wie dies Wiener und Schweizer Gerichtsmediziner im Vorjahr bewerteten.
Drei Mediziner, drei Meinungen? „Unterschiedliche Gutachten sollten oder dürften nicht sein“, kommentiert Tutsch-Bauer. „Wir haben ja Befunde, wir haben Hämatome, Stichwunden, Schädelbrüche, Leberverfettungen. Die Fälle sind dann manchmal ganz klar, manchmal auch schwierig.“Manches Mal müsse man dann eben auch interpretieren. Ihr Innsbrucker Kollege Rabl sieht das ähnlich. „Der erste Teil, der Befund, ist unveränderlich. Ein blauer Fleck bleibt ein blauer Fleck. Die zweite Sache ist, wie man den blauen Fleck interpretiert – und das hängt von allen Zusatzinformationen und auch der eigenen Erfahrung ab.“
Rabl vergleicht: Laborbefund, drei Promille Alkohol im Blut. „Aber das sagt mir nichts darüber, ob der Betroffene fast gestorben ist, weil es seine erste starke Alkoholisierung war. Oder ob es ein Alkoholkranker ist, der auch so einparken kann, ohne das Auto zu beschädigen.“
Seziersaal oder Tatort
Bedingt durch TV-Serien hat sich aber ein falsches ein Bild des Gerichtsmediziners etabliert: Er ist entweder im Seziersaal oder draußen am Ort des Verbrechens. „Tatortarbeit ist Sache der Kriminalpolizei“, wehrt Tutsch-Bauer solche Vorstellungen gleich einmal ab. „Dort sind die Spurensicherer, die sind hoch qualifiziert. Da mischen wir uns nicht ein.“
Doch keine Regel ohne Ausnahme: Wurde am Tatort nichts verändert, also et- wa die Leiche noch nicht bewegt, dann können auch die Ärzte anrücken. „Komplexe Fälle“nennt das etwa Rabl. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft agieren die Gerichtsmediziner dann. Falls es nötig ist, zwischen Unfall oder Verbrechen zu unterscheiden: „Wenn jemand über eine Treppe gefallen ist, dann kann die Rekonstruktion vor Ort schon bedeutend sein“, erläutert Tutsch-Bauer. „Wie steil ist sie, welche Biegung hat sie? Wenn etwas aus Obduktionsbefunden allein nicht erklärbar ist, dann kann man schon noch rausgehen.“Sogar Schussversuche seien möglich, sagt TutschBauer.
Arbeit mit Lebenden
Das Arbeitsumfeld ist also breit. Unter das Dach der Gerichtsmedizin gehören toxikologische Untersuchungen – etwa bei Verdacht auf Medikamenten- oder Drogeneinfluss – ebenso wie DNA-Analysen. „Die Tätigkeit mit Verstorbenen macht maximal fünf Prozent der Arbeitszeit aus“, rechnet Rabl vor. „Zum Großteil haben wir es mit Lebenden zu tun.“Erst kürzlich sei er auf der Intensivstation eines Spitals gewesen und habe einen Mann untersucht − um herauszufinden, woher denn dessen Stichwunden stammen könnten.