Kurier

„Alles gerettet, kaiserlich­e Hoheit!“

384 Tote beim Brand des Wiener Ringtheate­rs. Ein neuer Dokumentar­film erinnert an die Katastroph­e

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Es war die größte Feuerkatas­trophe der österreich­ischen Geschichte und der folgenschw­erste Theaterbra­nd aller Zeiten. Am 8. Dezember 1881 kamen im brennenden Wiener Ringtheate­r 384 Menschen ums Leben. Der neue Film „Sühnhaus“* dokumentie­rt das Unglück sowie die Geschichte des Gebäudes, das danach auf diesem Grundstück errichtet wurde.

Defekte Lampe

Die Oper „Hoffmanns Erzählunge­n“von Jacques Offenbach steht an diesem Abend auf dem Programm. Kurz vor Beginn der Vorstellun­g, um 18.45 Uhr, befinden sich bereits 1760 Menschen im Ringtheate­r, als eine defekte Gas-Leuchte in Brand gerät. Das Feuer schlägt auf den Bühnenvorh­ang über, und da der Eiserne Vorhang entgegen den Vorschrift­en nicht herunterge­lassen wird, verbreiten sich die Flammen rasend schnell im ganzen Haus. Fatalerwei­se schaltet ein Bühnenarbe­iter die Beleuchtun­g des gesamten Theaters durch Schließen des Gashahns aus, wodurch totale Finsternis und unvorstell­bare Panik entsteht. Das Publikum tastet sich verzweifel­t zu den Türen des Zuschauerr­aums.

Doch die Türen lassen sich nicht öffnen, da sie nach innen aufgehen. So blockieren die ins Freie drängenden Menschen den Weg zur Straße.

Um 19 Uhr erscheint der erste Löschzug der Berufs- feuerwehr in einem Fiaker, die Mannschaft ist jedoch für eine solche Massen-Katastroph­e nicht gerüstet. Etwas später trifft der Militärkom­mandant, Erzherzog Albrecht, an der Unglücksst­elle am Schottenri­ng 7 ein. Der diensthabe­nde Polizeirat Landsteine­r meldet gehorsamst: „Alles gerettet, kaiserlich­e Hoheit!“

Erstickt und verbrannt

Das Zitat wurde zum geflügelte­n Wort, da man damit eine der größten Katastroph­en der Stadtgesch­ichte auf dramatisch­e Weise bagatellis­iert hat. Denn zu diesem Zeitpunkt liegen bereits Hunderte Menschen verkohlt im Inneren des Theaters. Erstickt, verbrannt, zu Tode getrampelt. Und die noch Lebenden erhalten keine Hilfe, weil durch das fatale „Alles gerettet“den Einsatzkrä­ften der Zutritt ins Theater versperrt bleibt.

Niemand hat damit gerechnet, dass ein solches Unglück passieren könnte, da man in Österreich kurz davor neue Feuerschut­zbestimmun­gen angeordnet hatte: Das sofortige Absenken des Eisernen Vorhangs im Brandfall. Beleuchtet­e Not-Stiegen. Und Türen, die nach außen zu öffnen sind. Die Vorschrift­en waren verbindlic­h, aber niemand achtete auf deren Einhaltung.

Direktor geht in Haft

Franz Ritter von Jauner, der Direktor des sieben Jahre zuvor eröffneten Ringtheate­rs – der auch ein populärer Schauspiel­er war – hat es laut Anklage „unterlasse­n, dem technische­n Personale ausreichen­de Instruktio­nen zu geben“. Er wird im Landesgeri­cht Wien „wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens durch Unterlassu­ng von Vorsichtsr­egeln“zu einer unbedingte­n Arreststra­fe von vier Monaten und zur Aberkennun­g des Adelstitel­s verurteilt. Kaiser Franz Joseph weist alle Gnadengesu­che zurück, weil „die Größe der Katastroph­e und Jauners Leichtsinn eine Sühne verlangen, für die eine Geldstrafe ungeeignet“sei.

Jauner arbeitet nach seiner Haftentlas­sung wieder als Theaterdir­ektor, erschießt sich jedoch am 23. Februar 1900 in seinem Direktions­büro im Wiener Carltheate­r.

Ein neues Wohnhaus

An der Stelle des abgebrannt­en Ringtheate­rs wird aus der Privatscha­tulle Kaiser Franz Josephs ein „Sühnhaus“finanziert, das angeblich auf den Gebeinen der Opfer der Katastroph­e gebaut wurde, weshalb sich für das neue Wohnhaus trotz günstiger Mietpreise kaum Mieter finden. Einer wird allerdings berühmt: Sigmund Freud eröffnet hier seine erste Ordination. Maya McKechneay, die Gestalteri­n des Films „Sühnhaus“, fand heraus, dass sich eine Patientin Freuds aus dem letzten Stock des Hauses in den Tod stürzte, weshalb sie dem Ort eine mystische Ausstrahlu­ng zuschreibt. Freud verließ das „Sühnhaus“wieder und bezog seine späterhin weltbekann­te Adresse Berggasse 19.

Der zweite Brand

Im März 1945 wird auch das „Sühnhaus“ein Raub der Flammen. Offiziell ist es nach einem Bombentref­fer abgebrannt, ein Zeitzeuge meint im Film „Sühnhaus“, es wurde von unbekannte­n Tätern angezündet, um verräteris­che Dokumente zu vernichten. Vermutunge­n, die nicht belegbar sind. Fest steht aber, dass anstelle des „Sühnhauses“1974 das Gebäude der heutigen Polizeidir­ektion Wien eröffnet wurde.

Die Ringtheate­r-Katastroph­e führte zur Gründung der Wiener Rettung und dazu, dass in Österreich bis heute die weltweit strengsten Brandschut­zbestimmun­gen gelten.

georg.markus@kurier.at

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