Die Rockgeschichte hängt am Gurt
Analyse. Ob die Gitarre hoch oder tief hängt, sagt viel. Ein Wissenschafter untersuchte die Symbolik
Sag mir warum hängt die Gitarre so weit oben? Häng sie doch um Als hätt’st du sie grad aufgehoben Das sieht sonst dumm aus und alles andere als schön Mach die Gitarre runter Wir woll’n deinen Sack nicht sehn Eigentlich weiß es jeder Rockfan: Wie sich Gitarristen und Bassisten – von den Frauen reden wir später – ihr Instrument umhängen, ist nicht egal. Ob die Gitarre lässig auf Hüfthöhe baumelt oder knapp an die Brust geschnallt ist, beeinf lusst nicht nur das Spiel und damit den Klang der Musik – nein, die Gurtlänge prägt vor allem das Erscheinungsbild und damit den kulturellen Typus des Gitarristen ganz allgemein.
Es mutet also nur auf den ersten Blick kurios an, dass dem Gitarrengurt nun auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil wird: Der Wiener Soziologe und Musikwissenschaftler Roman Duffner widmete seine Master-Arbeit an der Uni Wien einer „,musikund techniksoziologischen Untersuchung des Gitarrengurtes“– und fand dabei heraus, dass an dem Gürtel mehr Pop-Geschichte hängt, als man gemeinhin annimmt.
So entstanden die asymmetrischen Gitarrenformen, die sich an der 1954 eingeführten „Stratocaster“der Firma Fender orientieren, überhaupt erst als Reaktion auf den Gurt – frühere, an der klassischen Gitarrenform orientierten Instrumente hatten noch den sitzenden Gitarristen im Blick.
Hängt sie tiefer!
Bis in die 1960er hängten die meisten Musiker ihr Instrument eher auf Brusthöhe, erklärt Duffner, der u. a. den Beatle George Harrison als Beispiel nennt. Afroamerikanische Musiker wie Bo Diddley oder Chuck Berry hatten die Gitarre damals schon nach unten transferiert. Und es war als Botschaft gemeint: „Mit der Verweigerung tradierter, musikerzieherischer Spielkonventionen lehnen sich Musiker und Musikerinnen gegen bürgerlich-spießige Erwartungen auf “, so Duffner.
Die Tendenz zum „Tieferhängen“sei bis in die 1990er-Jahre fast kontinuierlich zu beobachten, sagt der Wissenschaftler, der zahllose Bildbelege aus der Musikgeschichte auswertete.
Zum einen ging es den Rockern ( ja, den Männern) um die sexuelle Symbolik: „Eine Gitarre sollte als integrierter Körperteil (das Wort Penisverlängerung drängt sich mit Recht auf) aus der Lende herauswach-
CHeads, die optisch wie musikalisch einen Gegenpol zum breitbeinigen Rock der 1970erJahre darstellten, durfte die Gitarre wieder höher hängen. Zugleich bemächtigten sich Musikerinnen – von Rocklady Suzi Quatro bis zu den PunkBands der Riot-Grrrl-Bewegung in den 1990ern – der tiefen Instrumentenhaltung und stellten deren Macho-Symbolik auf den Kopf. Gitarristen wie Tom Morello von Rage Against The Machine oder Albert Hammond Jr. von The Strokes bewiesen in den 1990er- und 2000er-Jahren, dass eine hohe Gitarre der Coolness nicht unbedingt Abbruch tut. Rivers Cuomo , als Frontman der populären Indie-Band Weezer Prototyp eines neuen, hornbrillentragenden Rockertyps, setzte eine ironische Geste, indem er einen Gurt mit silbernem Blitz-Symbol benutzte: Ein solcher war auch Markenzeichen des KISS-Gitarristen Ace Frehley gewesen. „Die Stereotypen sind weitgehend gebrochen“, resümiert auch Wissenschaftler Duffner. Im Stilkosmos des Rock ist der Gitarrengurt trotzdem weiterhin ein aussagekräftiges Utensil. Und für die Forschung sind noch nicht alle Fragen geklärt: Wer etwa weiß, warum Neil Young das Peace-Zeichen auf seinem Gitarrengurt verkehrt herum trägt?