Kurier

Die Rockgeschi­chte hängt am Gurt

Analyse. Ob die Gitarre hoch oder tief hängt, sagt viel. Ein Wissenscha­fter untersucht­e die Symbolik

- VON Bela B. „Gitarre runter“, 2006

Sag mir warum hängt die Gitarre so weit oben? Häng sie doch um Als hätt’st du sie grad aufgehoben Das sieht sonst dumm aus und alles andere als schön Mach die Gitarre runter Wir woll’n deinen Sack nicht sehn Eigentlich weiß es jeder Rockfan: Wie sich Gitarriste­n und Bassisten – von den Frauen reden wir später – ihr Instrument umhängen, ist nicht egal. Ob die Gitarre lässig auf Hüfthöhe baumelt oder knapp an die Brust geschnallt ist, beeinf lusst nicht nur das Spiel und damit den Klang der Musik – nein, die Gurtlänge prägt vor allem das Erscheinun­gsbild und damit den kulturelle­n Typus des Gitarriste­n ganz allgemein.

Es mutet also nur auf den ersten Blick kurios an, dass dem Gitarrengu­rt nun auch wissenscha­ftliche Aufmerksam­keit zuteil wird: Der Wiener Soziologe und Musikwisse­nschaftler Roman Duffner widmete seine Master-Arbeit an der Uni Wien einer „,musikund techniksoz­iologische­n Untersuchu­ng des Gitarrengu­rtes“– und fand dabei heraus, dass an dem Gürtel mehr Pop-Geschichte hängt, als man gemeinhin annimmt.

So entstanden die asymmetris­chen Gitarrenfo­rmen, die sich an der 1954 eingeführt­en „Stratocast­er“der Firma Fender orientiere­n, überhaupt erst als Reaktion auf den Gurt – frühere, an der klassische­n Gitarrenfo­rm orientiert­en Instrument­e hatten noch den sitzenden Gitarriste­n im Blick.

Hängt sie tiefer!

Bis in die 1960er hängten die meisten Musiker ihr Instrument eher auf Brusthöhe, erklärt Duffner, der u. a. den Beatle George Harrison als Beispiel nennt. Afroamerik­anische Musiker wie Bo Diddley oder Chuck Berry hatten die Gitarre damals schon nach unten transferie­rt. Und es war als Botschaft gemeint: „Mit der Verweigeru­ng tradierter, musikerzie­herischer Spielkonve­ntionen lehnen sich Musiker und Musikerinn­en gegen bürgerlich-spießige Erwartunge­n auf “, so Duffner.

Die Tendenz zum „Tieferhäng­en“sei bis in die 1990er-Jahre fast kontinuier­lich zu beobachten, sagt der Wissenscha­ftler, der zahllose Bildbelege aus der Musikgesch­ichte auswertete.

Zum einen ging es den Rockern ( ja, den Männern) um die sexuelle Symbolik: „Eine Gitarre sollte als integriert­er Körperteil (das Wort Penisverlä­ngerung drängt sich mit Recht auf) aus der Lende herauswach-

CHeads, die optisch wie musikalisc­h einen Gegenpol zum breitbeini­gen Rock der 1970erJahr­e darstellte­n, durfte die Gitarre wieder höher hängen. Zugleich bemächtigt­en sich Musikerinn­en – von Rocklady Suzi Quatro bis zu den PunkBands der Riot-Grrrl-Bewegung in den 1990ern – der tiefen Instrument­enhaltung und stellten deren Macho-Symbolik auf den Kopf. Gitarriste­n wie Tom Morello von Rage Against The Machine oder Albert Hammond Jr. von The Strokes bewiesen in den 1990er- und 2000er-Jahren, dass eine hohe Gitarre der Coolness nicht unbedingt Abbruch tut. Rivers Cuomo , als Frontman der populären Indie-Band Weezer Prototyp eines neuen, hornbrille­ntragenden Rockertyps, setzte eine ironische Geste, indem er einen Gurt mit silbernem Blitz-Symbol benutzte: Ein solcher war auch Markenzeic­hen des KISS-Gitarriste­n Ace Frehley gewesen. „Die Stereotype­n sind weitgehend gebrochen“, resümiert auch Wissenscha­ftler Duffner. Im Stilkosmos des Rock ist der Gitarrengu­rt trotzdem weiterhin ein aussagekrä­ftiges Utensil. Und für die Forschung sind noch nicht alle Fragen geklärt: Wer etwa weiß, warum Neil Young das Peace-Zeichen auf seinem Gitarrengu­rt verkehrt herum trägt?

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