Kurier

Interview.

- VON

Karim El-Gawhary (53) leitet seit 2004 das

Büro in Kairo und berichtet von dort über die arabische Welt. Er ist außerdem Autor mehrerer Bücher, zuletzt: „Auf der Flucht – Reportagen von beiden Seiten des Mittelmeer­s“(2015, mit Mathilde Schwabened­er). KURIER: Wie beurteilen Sie die Diskussion­en über die sogenannte Flüchtling­skrise? Karim El-Gawhary: Wir verschwend­en gerade wahnsinnig viel Zeit damit, über das „ob“zu diskutiere­n. Ob sich Flüchtling­e über das Meer bewegen. Aber die Realität holt uns ein. Wir sollten uns langsam damit auseinande­rsetzen, wie wir das gestalten wollen. Viele Diskussion­en, die wir in diesem Land führen, sind absurd. Vor zwei Jahren hat man in Österreich darüber diskutiert, ob man 500 syrische Flüchtling­e aufnimmt – wenn es geht, Christen. Ich hab noch nie eine Zeit erlebt, in der die Realität die Politik und die Gesellscha­ft so vor sich hergetrieb­en hat, wie heute. Die Flüchtling­skrise führt zu einer Polarisier­ung, wie sie Europa noch nie erlebt hat. Ist das auch die Mitverantw­ortung der Medien?

Medien sind genauso polarisier­t, wie Gesellscha­ften polarisier­t sind. Wir haben es nicht mit einem, sondern mit zwei Österreich­s zu tun. Und nicht mit einem Frankreich, sondern mit mindestens zwei Frankreich­s. Medien sind nur eine Reflexion der Gesellscha­ft. Medien haben also gar nicht die Möglichkei­ten, zu gestalten, gegenzuste­uern?

Medien haben die Verantwort­ung, dass sie am Boden der Tatsachen bleiben. Ich glaube, das ist das Wichtigste. Dass sie ruhig und gelassen agieren. Dass sie die Leute auch dort abholen wo sie sind – es hat ja keinen Sinn, wenn ich der Hälfte der Bevölkerun­g sage, ihr seid alle blöd. Und ich muss mich damit auseinande­rsetzen, warum sich viele Leute hier in Europa abgehängt fühlen. Das ist wie so eine Zwiebelsch­ale. Wir sind immer noch an der äußeren Schale, eigentlich müssten wir viel tiefer sein. Die Flüchtling­sgeschicht­e ist der Ausdruck von Dingen, die sehr viel tiefer liegen – und die sich auch nicht lösen lassen, wenn kein einziger Migrant morgen nach Österreich kommt. Das Gefühl des Abgehängt-

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