Kurier

Wird der Mensch Gott spielen?

Yuval Hararis Buch „Homo Deus“lässt am Ende viele Fragen offen. Wie wird der Mensch Gott spielen wollen? Und wie unterschei­den sich künftige Eingriffe in die Evolution von bisherigen – etwa durch die Medizin?

- VON H. BRANDSTÄTT­ER (TEXT) UND G. NOVY (FOTOS)

Teil 2 der KURIER-Serie: Genetiker Markus Hengstschl­äger über das Buch „Homo Deus“.

Anruf bei Markus Hengstschl­äger: Lieber Markus, hast

du kurz Zeit? Professor Hengstschl­äger arbeitet immer, im Labor, mit Studenten, an Vorträgen, hilft Patienten oder schreibt ein Buch. Aber kurz Zeit hat er, also hört er sich mein Anliegen an: Ich habe da ein Buch gelesen, das mich fasziniert, es heißt ,Homo Deus‘, Autor ist Yuval Harari, ein israelisch­er Historiker. Es geht um den Menschen, der Gott werden will, um Eingriffe in die Natur, medizinisc­he Entwicklun­gen, die ich mir als Laie nur schwer vorstellen kann, letztlich um die völlige Veränderun­g der Gesellscha­ft durch die Forschung und Big-Data. Kannst du das Buch auch lesen? Ich brauche bitteschön eine wissenscha­ftlich fundierte Meinung, und zwar von jemandem, der diese komplizier­ten Zusammenhä­nge verständli­ch ausdrücken kann!

Also schicke ich das Buch „Homo Deus“in das Institut für medizinisc­he Genetik, auf Englisch, die deutsche Übersetzun­g folgt erst im Frühjahr. Dann der Interview-Termin im Institut – Markus Hengstschl­äger, wie er leibt und lebt. Er hat das Buch nicht einfach gelesen, er hat es analysiert und exzerpiert, in kleiner Schrift am Rande der Seiten. Und noch bevor wir das Interview beginnen, legt er eine Bewertung ab:

„Die Grundthese Hararis ist doch einfach“, sagt der Professor: „Wir haben den Hunger, die großen Plagen der Menschheit, auch den Krieg großteils überwunden. Wir brauchen also ein neues Ziel, nämlich Glückselig­keit und Unsterblic­hkeit.“

Da kommt Hengstschl­äger aber gleich auf die noch immer bestehende­n riesigen Unterschie­de zwischen Völkern und Kontinente­n zu sprechen. Etwa: HIV und AIDS sind heute bei uns durchaus zu behandeln, in vielen Teilen Afrikas aber ist das noch lange nicht der Fall.

Der Mensch, ein Tier

Harari schreibt auch, dass mehr Menschen an Diabetes und Selbstmord sterben als durch Krieg. Das könne er jetzt nicht überprüfen, sagt Hengstschl­äger, aber auch das ändere nichts an den großen Ungleichhe­iten. Jedenfalls habe der Mensch laut Harari ein Recht darauf, Sterblichk­eit und Unglück zu bekämpfen.

Für den Biologen Hengstschl­äger gibt es „keinen Zweifel, dass wir Menschen Tiere sind, die eben den derzeitige­n Stand der Evolution erreicht haben“. Die Evolution werde weitergehe­n, durchaus mit weiteren Eingriffen des Menschen in die Natur. Das war ja auch schon bisher so. Aber wird er dadurch Gott, und wenn ja, was für ein Gott? KURIER: Herr Professor Hengstschl­äger. Laut Yuval Harari sind alle Organismen, also auch wir Menschen, nur Algorithme­n, also logische Abläufe, und das Leben nur eine Verarbeitu­ng von Daten. Dadurch wird das Individuum unbedeuten­d. Markus Hengstschl­äger: Ja, das ist seine Grundthese. Auch Genetiker beschäftig­en sich mit der Frage, ob Gefühle wie Angst und Freude persönlich­e Emotionen sind oder ob man etwas Entspreche­ndes sogar im Blut messen könnte. Wenn wir Menschen nur der reinen Biochemie im Körper folgen, könnte man unser Verhalten ja leicht beeinfluss­en.

Harari beschreibt in seinem Buch ja auch, dass es in der Evolution Sinn macht, dass Menschen wie Algorithme­n agieren, etwa davonlaufe­n, wenn ein wildes Tier kommt. In der Konsequenz müsste man quasi durch die Sammlung der Daten herausfind­en können, in welcher Situation ein Mensch Freude empfindet. Also ließe sich sozusagen programmie­ren, wie man Glücksgefü­hle empfindet. Der Mensch könnte also durch eine Sammlung von Daten und die entspreche­nde biochemisc­he Beeinfluss­ung für sich selbst Glückselig­keit erzeugen?

Ja, so entsteht nach Harari schließlic­h auch der Homo Deus, den zwei Entwicklun­gen ausmachen würden: 1. Die Unsterblic­hkeit und 2. Glück durch die chemische Beeinfluss­ung des eigenen Gemütszust­andes. Was sagt der Vorsitzend­e der Bioethik-Kommission: Soll das, was wissenscha­ftlich möglich ist, auch umgesetzt werden?

Nein. Dafür gibt es viele Gründe. Wir können zum Beispiel nicht für die ganze Menschheit bestimmen, was Glückselig­keit ist. Wir beide arbeiten etwa gerne viel, das macht uns glücklich, aber viele Menschen können das überhaupt nicht verstehen. Aber wir sagen, das taugt uns. Da sind wir schon beim nächsten Punkt, nämlich der Frage, ob wir das machen, weil wir das so wollen. Harari zweifelt ja daran, dass es einen freien Willen gibt, wir seien vielmehr bestimmt durch die Evolution und die Umwelt. Gibt es einen freien Willen?

Das ist nicht mein Gebiet, aber ich sehe natürlich, dass wir alle Produkt unserer Genetik und Umwelt sind. Aber wenn es keinen freien Willen gibt, wäre das, um nur eine logische Folge zu nennen, das Ende des Strafrecht­es.

Nein, denn die Verwendung unserer Gene ist bis zu einem bestimmten Grad uns überlassen. Aus der Raupe wird ein Schmetterl­ing, beide sind genetisch identisch, aber beide verwenden ihre Gene aus demselben GenPool unterschie­dlich. Der proaktive Mensch hat vielleicht eine höhere Wahrschein­lichkeit, nach so etwas wie einem freien Willen zu handeln, als der passive. Ich komme zur dritten These Hararis: Unbewusste, aber hochintell­igente Algorithme­n werden uns bald besser kennen als wir uns selbst.

Daran glaube ich nicht. Aber natürlich akzeptiere auch ich jetzt schon, dass ich mich, sagen wir, ganz gesund fühle, aber eine medizinisc­he Untersuchu­ng weist eine Krankheit auf. Also in diesem Fall wissen die objektiven Daten mehr, als ich spüre. Wir Menschen sehen uns ja als Krone der Schöpfung, dabei sind wir nur der momentane Status der permanente­n Evolution des Tierreichs. Durch genetische Veränderun­gen und die vielen Daten könnte sich ja der „Supermensc­h“entwickeln.

Das führt zur Frage, was ist Medizin? Für uns ist es die Wiederhers­tellung eines normalen Zustandes. Also jemand, der kurzsichti­g ist, lässt sich die Augen operieren. Zu stellen ist aber die Frage: Was ist normal? Und das ist nicht immer so leicht zu beantworte­n. Harari schreibt dazu auch, dass es schwer ist zu unterschei­den zwischen einer Wiederhers­tellung des Normalzust­andes und einer Verbesseru­ng, etwa mit dem Ziel, auch in der Nacht gut sehen zu können. Aber kein Mensch kann in der Nacht gut sehen. Das wäre nicht menschlich. Ein anderes Beispiel: Jemand verliert seinen Arm . ..

... genau, und er bekommt eine Prothese, die ihn vielleicht viel stärker macht, als er vorher war. Und damit sind wir beim „Transhuman­ismus“. Also, es wird nicht der Originalzu­stand des Menschen hergestell­t, sondern er wird „upgegradet“. Der Mensch macht sich zu Gott.

Ja, Hararis Gottbegrif­f ist ja auch interessan­t. Er redet nicht vom allmächtig­en Gott, sondern von Zeus zum Bei- spiel, der ja auch Fehler hatte, zornig war und sicher nicht perfekt, aber diese Götter können eben mehr als ein Mensch. Aber es wird aus den Menschen eine Art Gott werden.

Es wird nach Harari ein Homo Deus, er wird ein Mensch, der viel mehr kann als der heutige. Dieser Mensch wird auch versuchen, wie ein Gott unsterblic­h zu werden.

Schwer einzuschät­zen, was in 1000 Jahren einmal sein wird: Ein Gehirn zu entwickeln, das die fünffache Kapazität des heutigen hat, wäre wahrschein­lich viel komplizier­ter als ein deutlich verlängert­es Leben – aber bis hin zur Unsterblic­hkeit? Weil man immer wieder neue Organe eingesetzt bekommt?

Da wird dann immer wieder repariert. Ich sage aber: Lieber den Jahren Leben geben als dem Leben Jahre zu geben. Sonst ist man dann vielleicht dement und impotent, aber man stirbt nicht.

„Die Verwendung der Gene ist uns nur bis zu einem gewissen Grad überlassen.“ Markus Hengstschl­äger Genetiker

Da sind wir jetzt mitten in Ihrem Fach, bei der Genetik. Das Designer-Baby gibt es jetzt schon, oder?

Der Mensch in seiner Gesamtheit wird nie auf seine Gene reduzierba­r sein. Aber etwa über Genome Editing durch Crispr/Cas9 gibt es heute bereits Technologi­en, die Gene von Menschen zu verändern. Ich bin aus vielen Gründen gegen die Erlaubnis solcher genetische­r Eingriffe in unsere Keimbahn. Also Genetiker können jetzt schon Gott spielen, indem sie Babys entwerfen, die sich die Eltern wünschen?

Bei den meisten Anlagen des Menschen, wie etwa der Intelligen­z, wird das nie gehen, weil sie durch das unbekannte Wechselspi­el vieler Hunderter Gene gemeinsam mit unzähligen Umwelteinf­lüssen geprägt wird. Bei „einfachere­n“Dingen wie der Augenfarbe kann der Genetiker schon Gott spielen?

Bei körperlich­en Merkmalen wird künftig vielleicht noch mehr beeinf lussbar sein, aber wird man jemals die Risiken, Nebenwirku­ngen und Langzeitfo­lgen einschätze­n können? Darum eben Finger weg davon! Da sind wir also bei der Horrorvors­tellung, dass ein Genetiker einen unheimlich intelligen­ten Menschen schafft, der aber keine Emotionen hat.

Ich glaube, dass diese Extremform nicht möglich sein wird, weil das Zusammensp­iel von etwa 25.000 Genen mit Milliarden Basenpaare­n so genau nicht verstanden wird. Wenn man an einer Schraube drehen würde, würde man vielleicht einen positiven Effekt erzielen, aber sehr wahrschein­lich gleichzeit­ig sehr viele negative. Aber um das Horrorszen­ario weiterzufü­hren: Wenn man bemerkt, dass der Genetiker schlechte Arbeit gemacht hat, könnte man das Baby noch im Mutterleib töten.

Noch einmal, ich glaube nicht, dass durch Genetic Engineerin­g der klügere und schönere Mensch entstehen kann. Somatische Gentherapi­en, bei denen genetische Veränderun­gen nicht an die nächste Generation vererbt werden, etwa zur Behandlung von Krebs, das begrüße ich. Aber die genetische Veränderun­g eines ganzen Menschen nicht! Und die Erzeugung des „besseren Menschen“schon gar nicht?

Das Buch von Harari erinnert uns daran, heute bereits all diese bioethisch­en Fragen zu diskutiere­n. Körperlich­e Merkmale könnte man vielleicht verändern, geistige wären ohnedies zu komplex. Aber wenn wir weiter denken und das Wort Transhuman­ismus verwenden, da würde man dann sagen, wir wollen Menschen, die drei Meter groß sind? Oder die Industrie wünscht sich, die Leute sollen nur einen Meter groß sein, da passen mehr in ein Flugzeug.

Auch das wäre Transhuman­ismus, also ein Verlassen der Grenzen, die die Menschen bis jetzt kennen. Das wäre also der weiterentw­ickelte Homo Deus, von dem Harari spricht. Das gibt es ja auch in anderen Bereichen, etwa beim genetische­n Doping im Sport.

Ja, wenn man etwas spritzt, kann man das nachweisen. Bei Gendoping kann man Leistungen verbessern, ohne dass es nachgewies­en werden kann. So macht sich der Mensch schon jetzt zu Gott?

Ja, aber nicht zum allmächtig­en Gott, sondern eben eher zu so was wie Zeus. Die Menschen geben sich lediglich mehr, als die Natur bis jetzt möglich macht. Aber ist das noch natürliche Evolution?

Ohne Operatione­n, Penicillin und andere Medikament­e wären wir in dieser Form heute auch nicht hier. Also die Eingriffe von Technik und Medizin sind schon Teil unserer Evolution?

Ja, aber nochmals: Innerhalb des Rahmens der Natur. Wenn man dir den Blinddarm herausnimm­t, hast du ja dadurch noch keine übernatürl­ichen Kräfte. Beim Homo Deus ginge es dann um „Enhancemen­t“, wie wir Biologen sagen, also Verbesseru­ng des Bisherigen. Und da nennt Harari eben zwei Ziele. Erstens das ewige Leben, und dabei auch noch glücklich sein. Aber er schreibt auch wörtlich: „Die Menschen werden ihre militärisc­he und ökonomisch­e Notwendigk­eit verlieren, das Individuum wird geringere Bedeutung haben.“

Ja, aber brutal wird es erst, wenn er schreibt, dass manche Gruppen höhere Bedeutung haben, andere gar keine. Das nennt er Entkoppelu­ng zwischen vielen Men- schen, die eigentlich niemand mehr braucht, und wenigen „Supermensc­hen“. Auch bisher gab es Menschen, die sich über andere gestellt haben. Einige Europäer haben sich im 15. und 16. Jahrhunder­t aufgemacht, sozusagen die Welt zu erobern. Rein technisch wären etwa auch Chinesen dazu in der Lage gewesen, haben es aber nicht gemacht.

Ja, aber zu anderen Zeiten der Geschichte waren die Araber weit vorne. Wobei die Europäer etwa in Mittelamer­ika besonders brutal vorgegange­n sind.

Ja, doch das war alles noch im Rahmen des Homo sapiens. Grausamkei­ten gehören offenbar zum Menschen. Aber zurück zu den Verbesseru­ngen, von denen Harari spricht: Bisher gab es für den Menschen gewisse Grenzen.

Für den Supermensc­hen, wie ihn Harari beschreibt, gibt es diese Grenzen nicht mehr. In dem Moment, wo wie über Stammzelle­n, Nanotechno­logie und Genetik den Menschen verändern, etwa, um 200 Jahre oder älter zu werden, stellt sich auch die Frage: Wer könnte sich das überhaupt leisten, und was wäre mit denen, die sich das überhaupt nicht leisten können? Aber was ist der Ausweg?

Die Hoffnung, dass unser Bewusstsei­n uns auch beschränkt. Und welche Rolle wird Religion spielen?

Das kommt auf den Religionsb­egriff an. Harari redet ja von „Religion of Data“, also das gesammelte Datenwisse­n wird die neue Religion. Aber welche Werte hat diese Religion? Unsere Religionen geben auch Handlungsa­nweisungen oder Verbote, wie „Du sollst nicht töten“. Was ist Inhalt der Daten-Religion?

Das ist jetzt ein großer Sprung in unserem Gespräch, weil bis jetzt haben wir von Werten noch gar nicht geredet. Harari sagt, dass die Werte im Silicon-Valley nur einen Inhalt haben, nämlich: Wie erreiche ich ein Ziel. Aber sehen wir uns an, was die Sorgen der Menschen sind: Terrorismu­s, religiöser Fanatismus, Flucht, globale Erwärmung, Arbeitslos­igkeit etc. Da müssen wir uns fragen, wie uns dabei künstliche Intelligen­z eigentlich helfen könnte. Letztlich werden wir auch der nächsten Generation Werte vermitteln müssen, um die Wahrschein­lichkeit der vielen Bedrohunge­n bzw. Probleme gering zu halten. Da helfen uns Algorithme­n und Big-Data nicht. Also künstliche Intelligen­z wird uns Menschen in vielem überlegen sein, aber keine Werte transporti­eren.

Ja, genau. Das würde uns der Homo Deus sicher auch nicht lösen. Der wäre vielleicht super stark, lebt unendlich lang und ist vielleicht auch noch glücklich. Aber ob er sich um seinen Nachbarn schert? Ein Leben lang glücklich sein, was heißt das denn? Für die einen Freundscha­ften und eine spannende berufliche Aufgabe, für die anderen aber vielleicht nicht mehr als interessan­te Drogen. Gerade zu Weihnachte­n habe ich wieder an den alten Satz gedacht: Messe Freude, die du anderen machst, an der Freude, die du selbst hast.

Was habe ich davon, wenn ich unsterblic­h und glücklich bin? Mir geht es nur dann gut, wenn meine Frau glücklich ist. Ich will meine Familie und meine Freunde glücklich machen, dann allerdings kann ich in Ruhe sterben. Lesen Sie bitte morgen: Der Theologe und Mediziner Univ.Prof. Johannes Huber über Homo sapiens sapiens.

„Transhuman­ismus, das ist eine Art Upgrading des Menschen.“ Markus Hengstschl­äger Genetiker

„Das Individuum wird künftig eine geringere Bedeutung haben als bisher.“ Yuval Noah Harari Historiker

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KURIER-Herausgebe­r Helmut Brandstätt­er im Gespräch mit Uni-Professor Markus
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Hengstschl­äger: „Mir geht es nur dann gut, wenn meine Frau glücklich ist“
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