Kurier

„Den Standort nicht krankreden“

AK-Direktor Christoph Klein über die Politik des Postfaktis­chen und negative Stimmungen

- (Investitio­nen in Relation zum Bruttoinla­ndsprodukt) VON ANDREA HODOSCHEK

Österreich ist eines der attraktivs­ten EU-Länder, sagt AK-Direktor Christoph Klein

KURIER: Vor allem die Industrie kritisiert die Standortqu­alität Österreich­s. Jüngster Anlass waren die Eröffnung des VoestWerke­s und die Pläne von Lenzing in den USA. Sollte sich die AK nicht auch Sorgen machen? Christoph Klein: Als ich vor Kurzem dazu den Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung in Ö1 hörte, dachte ich mir, es kann doch nicht sein, dass an sich verantwort­ungsbewuss­te Vertreter von Österreich­s Wirtschaft auch schon in die Politik des Postfaktis­chen verfallen. Dass Politik über Stimmungen gemacht wird – Stichwort Brexit, Italien, Trump – und mit Pessimismu­s gearbeitet wird anstatt mit Fakten. Ich appelliere an die Wirtschaft­svertreter, das Postfaktis­che nicht zur Grundlage der Diskussion­en zu machen. Sie werfen Wirtschaft­svertreter­n vor, den Standort schlechter zu machen, als er ist?

Der „Abgesandel­t-Sager“des WKÖ-Präsidente­n war der Auftrittsm­onolog für diese Stimmung. Wir leben in einer Demokratie, da kann jeder frei sagen, was er will. Aber diese postfaktis­chen Aussagen bewirken ja etwas, das sehen wir beim Brexit. In der Wirtschaft ist das nicht anders: Eine positive Stimmung ist ein wesentlich­er Faktor für die Investitio­nsbereitsc­haft der Unternehme­n. Wird eine negative Stimmung befeuert, dämpft das die Investitio­nsfreude. Psychologi­e ist sicher wichtig, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Jammern ist der Gruß des Kaufmanns. Das Jammern hat ja den Zweck, Interessen durchzuset­zen. Trump war mit seinem Pessimismu­s sehr erfolgreic­h. Anhand der Daten kann ich aber eine Verschlech­terung des Standortes nicht sehen. Österreich ist noch immer eines der attraktivs­ten Länder der EU. Noch. Das kann sich rasch ändern.

Beim Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf sind wir an vierter Stelle und vor Deutschlan­d. Die Industriep­roduktion stieg seit 2010 in der Eurozone um rund fünf Prozent, in Deutschlan­d um zehn und im angeblich so schlechten Österreich um 13 Prozent. So mies können wir nicht sein, wenn unsere Industrie schneller wächst als die deutsche. Und unsere Exportquot­e ist auf dem Niveau von vor der Krise. Aber die sinkende Investitio­nsquote ist ein Alarmsigna­l.

Die Investitio­nsquote ist seit Ende der 1990er-Jahre in ganz Eu- ropa gesunken. Das ist der Vormarsch des Finanzkapi­tals gegenüber der Realwirtsc­haft. Es gibt leider noch immer zu große Anreize, in Finanzprod­ukte zu investiere­n als in Menschen und Maschinen. Dabei ist Österreich bei der Investitio­nsquote mit knapp 23 Prozent immer noch führend. Deutschlan­d liegt bei 20 Prozent. Dann ist eh alles super. Wie erklären Sie, dass Österreich in den internatio­nalen Rankings dauernd nach unten rutscht?

Die teils skurrilen Rankings sagen wenig über die regionale Standortqu­alität. Aber natürlich brauchen wir mehr Wachstum und Investitio­nen. In Österreich wie im gesamten Euro-Raum, unserem Haupt-Exportgebi­et. Denn wir leiden unter zu hoher Arbeitslos­igkeit. Das sehe ich als Hauptprobl­em für den Standort, und nicht die Rahmenbedi­ngungen für Wirtschaft und Industrie. Die Arbeitslos­igkeit werden wir aber nicht besiegen, wenn wir den Standort krankreden und damit das Investitio­nsklima verschlech­tern. Bei Forschung und Entwicklun­g sind wir auch nicht so toll.

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g in Relation zum Bruttoinla­ndsprodukt liegen in Österreich bei drei Prozent und in Deutschlan­d bei 2,8 Prozent. Vor uns sind nur Finnland, Schweden und Dänemark. Unsere viel geschmähte Regierung ist – man möchte es nicht glauben – mit einer staatlich finanziert­en Forschungs­quote von einem Prozent Europameis­ter. Ein Grund dafür ist die großzügige steuerlich­e Forschungs­prämie. Die Wirtschaft klagt auch über zu hohe Arbeitskos­ten und zu viel Bürokratie.

Die Lohnstückk­osten, also das Verhältnis zwischen Produktivi­tät und Löhnen, haben sich in der Industrie parallel zu Deutschlan­d entwickelt, in der Gesamtwirt­schaft sogar günstiger als in Deutschlan­d. Bei den Arbeitskos­ten pro Stunde liegen wir in der Industrie deutlich niedriger als Deutschlan­d. In der Exportindu­strie sinken die Arbeitskos- ten je Einheit seit Jahren. Freilich sollten wir dennoch die Abgabenbel­astung der Arbeit reduzieren. Zurück zu Voest und Lenzing. Dass Betriebe absiedeln, ist doch traurige Realität.

Die Voest hat in den USA billige Energie. Noch wichtiger für die Entscheidu­ng ist die Nähe zu einem Hafen, wo Tausende Tonnen billiges Eisenerz aus Brasilien angeliefer­t werden können. Lenzing erhält attraktive Förderunge­n, ohne sich mit den EU-Beihilfenr­egeln herumschla­gen zu müssen, profitiert ebenfalls von den niedrigen Energiepre­isen und hat mit den USA einen riesigen Absatzmark­t für Fasern. Das alles hat wenig mit Arbeitskos­ten und Bürokratie zu tun. Faktum ist, dass Betriebe absiedeln.

Stimmt, aber das wird durch Ansiedlung­en mehr als wettgemach­t. 2015 wurden sieben Betriebe oder Teile davon ins Ausland verlagert, davon waren leider 1500 Arbeitsplä­tze betroffen. Aber 297 Ansiedlung­en haben mehr als 2600 neue Jobs gebracht. Nochmals: So schlecht kann der Standort nicht sein. Müssen die Unternehme­r nicht endlich von der lähmenden Bürokratie entlastet werden?

Alles, was mühselig ist, ohne dass ein ausreichen­der Sinn dahinterst­eckt, muss vereinfach­t werden. Da sind wir gerne Partner der Wirtschaft. Gründungen und laufendes Geschäft müssen durch einfachere Verwaltung­sverfahren erleichter­t werden. Aber natürlich sind zum Beispiel feuerpoliz­eiliche Auflagen einzuhalte­n. Wir dürfen nicht auf Bangladesc­h-Niveau hinunterfa­llen. Das hatten wir vor hundert Jahren. Jetzt malen Sie den Teufel an die Wand. Niemand will in Österreich brennende Textilfabr­iken. Die von der Regierung groß angekündig­te Reform der Gewerbeord­nung ist nicht einmal ein Reförmchen.

Bei der Gewerberef­orm hatte die Regierung die Latte zunächst sehr hoch gelegt, sich dann aber wie jede seriöse Politik zu den Mühen der Ebene begeben müssen – also den Fragen der praktische­n Umsetzung. Ein Friseur wird nicht unbedingt eine Meisterprü­fung benötigen, da kann man sicher abspecken.

Schlimmer als eine missglückt­e Frisur wären aber etwa finanziell­e Schäden, wie sie beispielsw­eise beim Vermitteln einer Lebensvers­icherung entstehen können, wenn die Ausbildung­s- und Haftungsre­geln für Versicheru­ngmakler wegliberal­isiert würden. Man kann bei der Gewerbeord­nung sicher noch einiges erleichter­n, muss aber auf drei Werte aufpassen. Den Schutz der Konsumente­n. Die Qualität der Lehrausbil­dung, für die Österreich internatio­nal bekannt ist, und die Kollektivv­erträge, die mit der Gewerbeber­echtigung verknüpft sind. Der Standort Österreich wäre viel schlechter, wenn sich die Unternehme­n wechselsei­tig beim Lohn dumpen könnten. Stichwort Regierung. Ihre Bilanz über den New Deal?

Ich glaube, es war sehr gut, mit dieser Ansage Schwung und eine bessere Stimmung hineinzubr­ingen. Wichtig fän- de ich, das, was bisher gelungen ist, überzeugen­d darzustell­en. Zu sagen, schaut, was wir alles zusammenge­bracht haben. Die Regierung ist zum Beispiel bei der Gewerbeord­nung in die Marketingf­alle gegangen. Wenn Ankündigun­gen zu hohe Erwartunge­n wecken, kann auch ein achtbares, gutes Ergebnis Enttäuschu­ng auslösen. Wo war die Regierung erfolgreic­h?

Wirklich toll finde ich das Schulauton­omie-Paket von Hammerschm­id und Mahrer. Oder die 750 Millionen Euro für die Ganztagssc­hule. Sowie die Investitio­nsstimulie­rungen für Gemeinden und KMUs und die Wiedereinf­ührung der Stipendien für Fachkräfte.

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