Kurier

Jugendlich­e Straftäter sollen sich bewähren

Der Chef von Neustart über die Arbeit mit IS-Anhängern, Gewalttäte­rn und straffälli­gen Kids

- VON RICARDO PEYERL

Der Chef des Bewährungs­hilfeverei­ns Neustart über die Kriminalit­ätsentwick­lung

Der KURIER sprach mit Christoph Koss, Geschäftsf­ührer des Bewährungs­hilfeverei­ns Neustart, über Erfolge und Rückschläg­e bei der Kriminalit­ätsbekämpf­ung.

KURIER: Wenn man Leute auf der Straße fragt, hört man oft, dass sie sich mehr bedroht fühlen als früher. Hält dieser Befund der Realität stand?

Christoph Koss: Die Kriminalit­ätsentwick­lung ist europaweit rückläufig. Es gibt gegenüber 2006 um 23 Prozent weniger Verurteilu­ngen, bei Jugendlich­en sogar um25 Prozent weniger. Und das trotz verschärft­er Straftatbe­stände wie Verhetzung, sexuelle Belästigun­g etc. Und heuer hatten wir erstmals in unserer Geschichte auch keinen Anstieg an Zuweisunge­n zur Bewährungs­hilfe, wir halten konstant bei rund 11.000 betreuten Klienten.

Also gibt es in Wahrheit immer weniger Kriminelle?

Darüber rätseln auch die Kriminolog­en, weil demgegenüb­er ja das subjektive Sicherheit­sgefühl abnimmt. Das kann mit der Macht der Bilder von einzelnen kriminelle­n Ereignisse­n zusammenhä­ngen. Meine nicht wissenscha­ftlich überprüfte Erklärung, warum die Kriminalit­ät vor allem bei Jugendlich­en abnimmt: Weil sie mehr Zeit vor PC und Handy verbringen, das nimmt viel Energie, um auf blöde Ideen zu kommen. Aber auch das Bündel an Maßnahmen, die es jetzt gibt, führt zu weniger Verurteilu­ngen. Das greift, vor allem bei Jugendlich­en. Zum Beispiel wurde die Schulsozia­larbeit ausgebaut, so etwas musste man vor zehn Jahren noch mit der Lupe suchen. Heute beginnt das im Kindergart­en und in der Volksschul­e, vor Augen zu führen, was Kriminalit­ät ist und wo die Grenzen liegen. Und mehr als jeder zweite aus der Haft Entlassene bekommt heute Bewährungs­hilfe.

Welche alternativ­en Modelle zur Strafe haben 2016 gut funktionie­rt?

Beim Tatausglei­ch, vor allem bei bei häuslicher Gewalt, merkt man ganz deutliche Erfolge: niedrige Rückfallsq­uote, hohe Zufrieden- heit bei den Opfern. Oder die Sozialnetz­konferenz bei Jugendlich­en. Die U-Haft ist jetzt wirklich das allerletzt­e Mittel, heuer konnten 70 Jugendlich­e aus der U-Haft entlassen werden, weil für sie ein Zukunftspl­an erstellt und von uns kontrollie­rt wurde. Das beginnt schon beim Aufstehen in der Früh, geht über die Arbeitssuc­he bis hin zu zwei Treffen mit dem Bewährungs­helfer pro Woche. Der Rückfall liegt unter zehn Prozent. Sechs Prozent mussten wieder zurück in die U-Haft, weil sie Weisungen nicht befolgt haben. Wenn der seinen eigenen Plan nicht einhält, ist Feuer am Dach.

Wo stößt man an eine Mauer?

Bei einer kleinen Zahl von Jugendlich­en, zum Teil unter 14 Jahren, greift die Betreuung einfach nicht, die sind in keiner Wohngemein­schaft zu halten, landen auf der Straße, in der Prostituti­on. Da braucht es neue Modelle, gemeinsam mit der Jugendwohl­fahrt. Aber für die ist die geschlosse­ne Unterbring­ung seit den Heimskanda­len ein Tabu. Doch man muss den 13-Jährigen von der Straße holen, man kann den nicht auf den Strich gehen lassen.

Welche Rezepte haben Sie gegen gewaltbere­ite Tschetsche­nen, Afghanen und andere, besonders auffällige Gruppen?

Man muss ihnen vor Augen führen, was das für die Opfer bedeutet. Und dass sie selbst im Gefängnis landen werden. Da muss man sprachlich mit Bildern arbeiten. Und an der eigenen Bio- grafie arbeiten. Das klingt so entschuldi­gend, aber es finden sich meist eigene erlebte Gewalterfa­hrungen. Das ist für manche fast ein Kick, wenn sie von der Opferrolle in die Täterrolle steigen und sich plötzlich stark fühlen, manche erleben das als Befreiung.

Und was tun gegen Hasspostin­gs?

Wir entwickeln gerade ein konkretes Programm aus den Erfahrunge­n mit Rechtsradi­kalen, wo wir mit Mauthausen kooperiert haben. Das wird auf Verhetzer zugeschnit­ten, die meist unbescholt­ene Leute ohne bisherige kriminelle Vorgeschic­hte sind, also Bürger und Bürgerinne­n. Die müssen lernen, wie man Kritik übt, ohne eine Grenze zu überschrei­ten. Wir wollen je nach Typus mit Repräsenta­nten der angegriffe­nen Gruppen kooperiere­n, mit Vertretern von NGOs, von Unis, mit Flüchtling­sbetreuern, die Schicksale darstellen können.

Der Kommunikat­ionswissen­schaftler Fritz Hausjell schlägt vor, Hassposter Flüchtling­sarbeit leisten zu lassen, damit sie sehen: Das sind Menschen wie du und ich, mit Schicksale­n, die habe ich angegriffe­n.

Direkt mit den Opfern wollen wir die Hassposter nicht zusammenbr­ingen, das ist den Opfern nicht zumutbar. Es wäre zum Beispiel nicht gut, gewalttäti­ge Männer ins Frauenhaus zu schicken.

Gibt es Erfolge beim Deradikali-sierungspr­ogramm mit IS-Anhängern?

Wir betreuen derzeit 40 Klienten mit 30 Prozent Frauenante­il, die schon verurteilt sind oder auf den Prozess warten, mit einem eigenen Programm. Bisher gab es einen einzigen Rückfall. Man muss ihnen aufzeigen, dass sie mit der Punzierung als Dschihadis­t null Perspektiv­e bei uns haben. Und nach Syrien kommen sie jetzt nicht mehr so leicht. Also müssen sie ihre Einstellun­g ändern. Bei Hasspredig­ern stoßen wir mit unseren Mitteln aber an Grenzen. Ein Großteil der Anzeigen (gegen die IS-Sympathi

santen) kommt von den eigenen Familien. Die wollen ihre Kinder aus den Fängen des IS retten und sie nicht in Särgen zurückkrie­gen.

„Man muss den 13-Jährigen von der Straße holen, man kann ihn nicht auf den Strich gehen lassen.“ Christoph Koss Neustart-Geschäftsf­ührer

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Gewalttäte­r haben meist eigene Gewalterfa­hrung, sagt Christoph Koss. Wenn sie von der Opferrolle in die Täterrolle steigen, würden das manche als Befreiung erleben
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