Kurier

In den Élysée-Palast

Frankreich. Der neue Präsident/die neue Präsidenti­n könnte die Zukunft der EU mitentsche­iden. Ein Überblick

- AUS PARIS

In vier Monaten werden die Franzosen ihr neues Staatsober­haupt wählen und dabei auch eine Schicksals­entscheidu­ng für die EU treffen. Umfragen haben zwar ein immer kürzeres Ablaufdatu­m, aber nach jetzigem Stand hätte Marine Le Pen, die Frankreich aus der EU führen möchte, gute Aussichten in die Stichwahl zu gelangen. Allerdings würde Le Pen, wiederum laut aktuellen Umfragen, bei diesem Abschluss-Duell entweder auf den Konservati­ven François Fillon oder den liberalen Reformer Emmanuel Macron stoßen und in beiden Fällen unterliege­n. Aber all diese Prognosen, denen ohnehin kaum mehr jemand traut, können noch über den Haufen geworfen werden.

Ende Jänner finden erst einmal die von den Sozialiste­n organisier­ten Vorwahlen zur Nominierun­g des SP- Kandidaten statt. Vier Bewerber stechen hervor: – Manuel Valls, der als Premiermin­ister zurückgetr­eten ist, um seine Kampagne zu führen. Der vor 54 Jahren in Barcelona geborene Valls kann seine entschloss­ene Vorgangswe­ise geltend machen. Er hat aber kaum Ausstrahlu­ng und wirkt ziemlich hölzern.

Da er am rechten Flügel der SP angesiedel­t ist und sich als Freund der Unternehme­r geoutet hat, wurde er zum Buhmann für viele linke Wähler. Zuletzt peitschte er im Parlament mit einem Sonderpara­grafen eine Liberalisi­erung des Arbeitsrec­hts gegen den Widerstand eines beträchtli­chen Teils der SP-Parlamenta­rier und der Gewerkscha­ften durch. Seit er wahlkämpft ist er aber wieder um ein linkeres Image bemüht. – Vincent Peillon, vormals Unterricht­sminister, ist hingegen darauf bedacht, die 35- Stundenwoc­he zu verteidige­n, er teilt die Kritik der Linken am neuen Arbeitsges­etz und warnt vor zu starkem Druck gegen die Muslime. Er gilt als Kompromiss-Kandidat zwischen den verschiede­nen Flügeln der SP. Er ist aber in der Öffentlich­keit wenig bekannt und war zwei Jahre lang als Philosophi­eProfessor und Krimi-Autor politisch auf Tauchstati­on. – Arnaud Montebourg, Ex-Finanzmini­ster, ist ein wortgewalt­iger Berufsanwa­lt. Er ist einer der Vertreter des linken Parteiflüg­els, wobei er für Wirtschaft­sprotektio­nismus und gegen die EU-Sparvorgab­en plädiert. – Benoît Hamon, Ex-Unterricht­sminister, ist ein weiterer Repräsenta­nt der linksökolo­gischen Strömung in der SP. Wer auch immer die SP-Vorwahlen gewinnen mag, wird im anschließe­nden ersten Durchgang der Präsidente­nwahlen im April auf zwei weitere Kandidaten stoßen, die aus der Linken kommen, aber nicht an den SP-Vorwahlen teilgenomm­en haben: – Jean-Luc Mélenchon, ein mitreißend­er Tribun und vormaliger SP-Spitzenpol­itiker, der einen großen Teil der linksalter­nativen Kräfte in einer neuen Bewegung „La France insoumise“(„Das ungebeugte Frankreich“)bündelt, aber durch cholerisch­e Anfälle abschreckt. – Emmanuel Macron, vormals Banker, Vertrauter von Präsident François Hollande und zuletzt Finanzmini­ster. Macron hat sein Amt in der SP-Regierung zurückgele­gt und eine parteiunab­hängige Bewegung „En Marche“(„In Bewegung“) gegründet.

Zehntausen­de, vor allem jüngere und gebildete Aktivisten, die sowohl aus dem Umkreis der SP als auch des bürgerlich­en Zentrums kom- men, haben sich ihm angeschlos­sen. Er hält Frankreich­s Polit- und BehördenSy­stem für unheilbar verkrustet. Er plädiert für eine weitere Deregulier­ung des Arbeitsmar­kts und eine radikale Vereinfach­ung der sozialen Gesetzgebu­ng, befürworte­t aber auch wohlfahrts­staatliche und anti-Diskrimini­erungs-Maßnahmen. Er ist ein vehementer Befürworte­r der EU und der einzige Kandidat, auf dessen Versammlun­gen die Europa-Flagge geschwenkt wird. Seine Bewegung ähnelt den österreich­ischen „Neos“. Schafft es weder Macron, noch Melenchon, noch der SP-Kandidat in die Stichwahl, käme es zu einem Abschluss-Duell zwischen dem Konservati­ven Fillon und der Nationalis­tin Le Pen: – François Fillon hat bei den bürgerlich­en Vorwahlen, an denen sich vier Millionen Franzosen beteiligte­n, triumphal gesiegt. Seither gilt der konservati­ve Hardliner, der sich durch sein Phlegma auszeichne­t, vielen Beobachter­n bereits als künftiger Sieger. Allerdings könnte sich Fillons Stärke bei den bürgerlich­en Vorwahlen, nämlich sein radikales Sparprogra­mm, bei allgemeine­n Wahlen als Schwäche entpuppen. Er ist daher bereits von einigen seiner härtesten Ansagen, etwa bezüglich seiner Absicht, die öffentlich­e Krankenver­sicherung einzuschrä­nken, abgerückt. – Marine Le Pen hat keine derartigen Sorgen. Sie verspricht den Beibehalt, wenn nicht Ausbau der Staatsstru­kturen und Sozialvers­orgung – alles angeblich finanziert durch Einsparung­en bei Migranten, nationale Schutzzöll­e und den Austritt aus der EU und dem Euro. Dieser staatslast­ige Kurs ist in ihrer Partei aber nicht unumstritt­en.

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