Alles mit links: Die übersehene Minderheit
Ungefähr 15 Prozent der Weltbevölkerung sind betroffen. In Österreich plagen sich mindestens 1,2 Millionen in einer rechts dominierten Welt. Viele fordern mehr bedienungsneutrale Produkte.
„Sehen Sie, es gibt Bankomaten, bei denen man sich den Arm verrenken muss, um die Plastikkarte in den Schlitz zu schieben“, erzählt Anil Üver. Die Frau mit der roten Strickjacke und Pudelmütze zeigt vor, dass die Anti-SkimmingModule bei Geldautomaten – zum Schutz vor illegaler Daten-Übertragung – eine Barriere für Linkshänder sind. Bei einem Rundgang durch die Wiener City führt die Büroangestellte den KURIER von einem Problem zum nächsten. „Auch bei jedem Ticketautomat ist das Bedienungsfeld ganz rechts angebracht, dass man entweder umständlich umgreifen oder daneben stehen muss.“
Was für „Rechtshänder selbstverständlich ist, kann für uns eine große Hürde sein. Meistens brauchen wir für die gleichen Tätigkeiten mehr Zeit, Kraft und Energie, was negative Auswirkungen haben kann“, sagt Üver. Auch Hosen, Instrumente, Elektronik-, Haushalts- und Arbeitsgeräte sind – technisch gesehen – fast nur für rechtshän- dige Personen normiert. Daher trägt Üver die notwendigsten Utensilien immer in einer Umhängetasche bei sich, um die Welt der Rechtshänder mit links zu meistern.
Da künftig mit noch mehr Linkshändern zu rechnen ist, fordern Initiativen und Politiker in Österreich endlich ein Umdenken der Designer und Hersteller zu bedienungsneutralen Produkten.
„Ah, du bist Linkshänder?“Diese Frage hört Üver regelmäßig und deutet an, dass Linkshänder in der Gesellschaft nach wie vor als außergewöhnliche Spezies gelten. Selbst Promis wie USPräsident Barack Obama, Schauspielerin Angelina Jolie, Sängerin Lady Gaga und Modeschöpfer Karl Lagerfeld gehören zu jenen 15 Prozent der Weltbevölkerung, die Linkshänder sind und tatsächlich mit der linken Hand schreiben und arbeiten. Diese Gruppe wäre noch viel größer, wenn Linkshänder früher nicht gezwungen worden wären, mit der „schönen Hand“– sprich Rechten – zu schreiben. Auch Nachahmung und Anpassung führen dazu, dass viele linksbegabte Kinder in ihren ersten drei Lebensjahren nach wie vor unbewusst zu Rechtshändern werden. „Die Folgen können Lern- oder Leseschwächen sein“, sagt Andrea HayekSchwarz, Obfrau des Vereins „Linke Hand“
Auch wenn der „Rechtsdrill“längst vorbei ist, finden sich mindestens 1,2 Millionen Linkshänder in Österreich nur mit Mühe zurecht. Im Alltag sind oft viele kleine Umwege nötig, um das zu schaffen, was Rechtshänder ohne umgreifen, übergreifen und zurecht rücken erreichen. Laut einer Studie brauchen Linkshänder dafür zirka 30 Prozent mehr Hirnenergie, was Müdigkeit und Fehleranfälligkeit verursachen.
Die Krux an der Sache – aus Sicht der Linkshänder ist so gut wie alles verkehrt her- um angeordnet: Etwa der Ziffernblock auf PC-Tastaturen, Klingenschliff auf Messern, der Auslöser auf Fotokameras, die Skala auf Messbechern oder das Münzfach im Geldbörsel. Selbst das Hosentürl lässt sich bei Jeans meistens nur mit rechts öffnen.
Schriftbild
Noch schwieriger ist es, leserlich zu schreiben, weil sich Linkshänder oft ihr Schriftbild verschmieren. „Selbst eine spezielle Füllfeder konnte das bei mir nicht kompensieren“, erzählt SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder dem KURIER, der – Jahrgang 1969 – in der Schule nicht mehr umlernen musste. Was er als besonders störend empfindet ist, dass es in der Gastronomie Kaffeetassen mit speziell geschwungenen Henkeln und Fischmesser gibt, die das Konsumieren als Linkshänder zum akrobatischen Balanceakt machen. „Ein Umdenken der Erzeuger ist dringend notwendig. Die Frage ist auch, ob dieses Thema in der Ausbildung überhaupt behandelt wird. Den Produkten nach zu schließen eher nicht“, sagt Schieder.
Zwar gibt es bereits spezielle Produkte wie Scheren, Füllfedern, Tastaturen, Lineale, Schreibblöcke oder Geldbörsen für Linkshänder, doch die sind teurer. „Das ist genauso diskriminierend wie das schmale Schreibpult auf der rechten Seite der Seminarsessel“, sagt Hayek-Schwarz.
Obwohl es viele Negativ-
„Was für Rechtshänder selbstverständlich ist, kann für uns eine große Hürde sein.“ Anil Üver Büroangestellte, Wien
beispiele gibt, könne man im Allgemeinen nicht von einer Diskriminierung der Linkshänder sprechen, sagt Sozialanwalt Erwin Buchinger, da es im Regelfall zu keiner Erschwernis an der Teilhabe am täglichen Leben komme: „Im Einzelfall wäre das jedoch zu prüfen und eine Diskriminierung nicht ausgeschlossen.“
Arbeitswelt
Wirklich heikel ist für Linkshänder die Arbeitswelt. Weil Motor- oder Handkreissägen, Fräsmaschinen und viele Küchengeräte rechtshändig konstruiert sind, lassen sie sich von Linkshändern nur mit der schwächeren Hand bedienen. Da Notaus-Knöpfe rechts zu finden sind, ist das Unfallrisiko für Linkshänder höher als bei Rechtshändern. „Gerade bei unseren Tischlerlehrlingen sehen wir, wie schwer sie sich beim Umgang mit den Geräten tun“, sagt Bruno Bereuter, Berufsschullehrer und Chef des „Linkshändershops“in Vorarlberg. „Während die Linkshändigkeit in den USA im Alltag angekommen ist, hinkt Europa deutlich hinterher. Da die Kinder jetzt von klein auf gefördert werden, hat die Linkshändigkeit jetzt noch mehr Relevanz“, sagt Bereuter, der genauso wie Hayek-Schwarz einen Appell an die Hersteller richtet, stärker auf die Bedienungsneutralität zu achten.
Mit seinem (Online)Shop will Bereuter nicht nur das Leben der Linkshänder vereinfachen, sondern auch das Bewusstsein schärfen. Seine Verkaufsschlager sind Scheren, Brotmesser, Kartoffelschäler und ergonomisch geformte Füllfedern – alles für Linkshänder.