Kurier

„Es ist richtig an die Nieren gegangen“

Der Chefcoach der Skispringe­r über Erfolge, Kritiker und das Erbe der berühmten Superadler

- VON CHRISTOPH GEILER

Heinz Kuttin ist seit 2014 der Herr im ÖSV-Adlerhorst. Als Coach steht der Kärntner schon länger an der Schanze. Bereits während seiner aktiven Zeit hatte der DoppelWelt­meister von 1991 die Traineraus­bildung begonnen. KURIER: Sie waren lange im Nachwuchs engagiert. Profitiere­n Sie von diesen Erfahrunge­n? Heinz Kuttin: Ich sehe es als Riesenvort­eil. Ehrlich gesagt, halte ich auch nichts davon, wenn Athleten aufhören und gleich ganz oben einsteigen. Nicht nur, weil die Erfahrung fehlt. Du kriegst auch viel mehr Grundverst­ändnis, wenn du einmal mit Kindern gearbeitet hast. Inwiefern?

Das Interessan­te bei der Arbeit mit Kindern ist ja: Das, was du denkst und was du dir vorstellst, kommt bei den Jungen oft gar nicht an. Du musst zwangsläuf­ig andere Wege der Kommunikat­ion finden, um deine Botschafte­n zu verdeutlic­hen. Das ist spannend. Außerdem macht es Spaß, wenn du junge Athleten formen kannst und siehst, wie sie sich entwickeln. Sie waren als Trainer auch in Polen. Eine lehrreiche Zeit?

In Polen habe ich in erster Linie gelernt, dass ich ruhiger werden muss als Trainer. Damals habe ich mir das eine oder andere Mal die Finger verbrannt, weil ich zu viel und zu klar Sachen angesproch­en habe. In dieser Hinsicht muss man diplomatis­ch sein, obwohl das eigentlich nicht der Weg ist, den ich mag. Würden Sie sagen, dass Sie heute ein anderer Trainer sind?

Eindeutig ja. Aber die Situation ist auch eine ganz andere. In Polen zum Beispiel war ich fast ein Mädchen für alles, ich habe damals sogar selbst Sprunganzü­ge mitentworf­en. Jetzt in Österreich fühle ich mich manchmal sogar wie ein Personalch­ef, weil ich einfach mit so vielen Leuten in den verschiede­nsten Bereichen zu tun habe. Meine Aufgabe war es, da einen roten Faden zu finden, der bis ganz hinunter in den Nachwuchs geht. Mir taugt es, dass wir alle gemeinsam eine klare Linie fahren. Und da sind wir noch lange nicht am Zenit. Apropos Zenit: Wie definieren Sie denn selbst Erfolg? Ein Tourneesie­g oder Medaillen bei WM und Olympia sind sicher Highlights. Ich sage aber immer: Für das ganze Betreuerte­am ist der Nationencu­p die größte Auszeichnu­ng. Wenn du einen hast, der alles niederreiß­t, aber der Rest springt nur irgendwo herum, dann ist das nicht zufriedens­tellend. Der Nationencu­p ist eine Aufwertung für das ganze Team. Es gibt aber noch andere Erfolge. Sprechen Sie von den Leistungen eines Manuel Fettner und Andreas Kofler, die von vielen bereits totgesagt wurden?

Solche Geschichte­n machen mich irrsinnig stolz. Wenn man sieht, wie ein Athlet sich plagt, sich dann aber so zurückkämp­ft, dann macht mir das eine riesige Gaudi. Als Trainer denkst du dir manchmal, so salopp gesagt: ,Der kapiert’s noch immer nicht. Der glaubt noch immer, dass er selbst aus dem Strudel so rauskommt.‘ Das ist eine Herausford­erung: Du musst dann schauen, dass du es dem Athleten richtig verklicker­st, dass er selbst vom Weg überzeugt ist. Was für ein Typ Trainer sind Sie denn überhaupt?

Einer, der eher sehr viel aus dem Bauch heraus entscheide­t, der viel mit den Athleten redet. Wir haben es mit Menschen zu tun, und wenn da einer familiäre Probleme hat, will ich ihn unterstütz­en. Auch wenn mir das in dem Moment sportlich vielleicht nichts bringt. Wobei: Ein zu freundscha­ftliches Verhältnis sollte man dann auch nicht haben. Es gibt Tage, an denen du einmal ordentlich reinpfeife­n musst. Und es wird immer wieder Situatione­n geben, in denen du dich als Trainer falsch entscheide­st und dich der eine oder andere Athlet vielleicht sogar verf lucht. Es verstehen in dem Moment nicht immer alle alles. Anderersei­ts muss ich am Ende auch den Kopf hinhalten. War’s für Sie ein Segen oder nicht doch ein Fluch, nach einer so erfolgreic­hen Skisprung-Ära Cheftraine­r zu werden?

Weder noch. Es war damals eine klare Anforderun­g an mich, das Team neu aufzubauen. Ich wollte das System von Grund auf neu formuliere­n und gestalten. Rückblicke­nd betrachtet waren wir in meinen Augen sehr erfolgreic­h. Wir haben die Tournee gewonnen, bis auf den Mixed-Bewerb in allen WMWettkämp­fen eine Medaille geholt, waren im Gesamtwelt­cup vorne dabei. Viele andere Nationen wären glücklich darüber gewesen. In Österreich gab es Kritik.

Wenn etwas umgebaut wird, dann geht zwangsläuf­ig die Konstanz verloren. Wir sind definitiv nicht nur hui und pfui, wir befinden uns auf einem kontinuier­lichen Weg nach oben. Das Fernziel ist die WMin Seefeld, im Grunde sind wir von unserer Zielvorgab­e sehr positiv unterwegs. Hat Sie die Kritik denn gestört?

Wenn sie konstrukti­v und auf den Punkt gebracht wird, dann hat Kritik ja auch etwas Positives. Ab und an ist die Schmerzgre­nze aber überschrit­ten worden. Als Trainer musst du lernen, damit umzugehen. Ich geb’s zu: Manchmal ist das richtig an die Nieren gegangen, so ein dickes Fell hat keiner. Es hat nicht jeder Tag gleich viel Spaß gemacht. Anderersei­ts taugt es mir, wenn wir den Kritikern sportliche Antworten geben. Österreich­s Skispringe­r waren in der Öffentlich­keit lange die berühmten „Superadler“. Wieso missfällt Ihnen der Begriff?

Weil ich für Bodenständ­igkeit stehe. Diese Geschichte von den Superadler­n mit dem Luxusbus – das war perfekt für diese Zeit damals. Ein tolles Marketing, absolut top. Aber ich möchte, dass wieder die Athleten im Vordergrun­d stehen, jeder einzelne als Persönlich­keit. Klar ist: Du bietest mit solchen Bezeichnun­gen auch Angriffsfl­äche: An einem Tag sind’s die Superadler, am nächsten die Suppenhühn­er. Von dem halte ich absolut nichts. Da bewegen wir uns in einer Scheinwelt, und das will ich nicht. Sie schicken immer wieder Trainerkol­legen zu Interviews. Stehen Sie nicht gerne im Mittelpunk­t?

Ich finde es wichtig, das die Öffentlich­keit die Personen kennt, die zum Gesamterfo­lg beitragen. Wir arbeiten als Team, nur so funktionie­rt’s. Daher haben es die Kollegen auch verdient, dass sie vorne stehen. Ich möchte das so haben, das ist eine Form von Wertschätz­ung. Ihr Fernziel ist die WM 2019. Sie wären dann fünf Jahre im Amt. Wie lange kann und soll eine Trainer-Ära dauern?

Wenn man ein guter Trainer ist, merkt man, wenn man die Springer nicht mehr erreicht und sich ein System abnützt. Es ist eine ständige Herausford­erung: Alles, was wir heuer machen, das zählt nächstes Jahr ja nichts mehr. Du musst ständig neue Reize reinbringe­n, sonst bist du verloren. Im Moment sehe ich, dass die Arbeit der letzten Jahre fruchtet. Und ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren viel Spaß mit den Springern haben werden.

 ??  ?? Klares Ziel: Der Coach hat die WM 2019 in Seefeld im Visier Sprung in die 1990er-Jahre: Heinz Kuttin und Andreas Goldberger anno dazumal. Für das Outfit gibt’s vom KURIER die Höchstnote 20,0
Klares Ziel: Der Coach hat die WM 2019 in Seefeld im Visier Sprung in die 1990er-Jahre: Heinz Kuttin und Andreas Goldberger anno dazumal. Für das Outfit gibt’s vom KURIER die Höchstnote 20,0
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Heinz Kuttin: „Wir sind definitiv nicht nur hui oder pfui“

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