Kurier

Die schnellen Jahre sind vorbei

Interview. Franziska Maderthane­r über „Idealzone Wien“, Nachkriegs­mief, ehemalige Punks und neue Spießer

- VON MARCO WEISE

Das 1998 veröffentl­ichte Buch „Idealzone Wien. Die schnellen Jahre (1978– 1985)“ist ein dokumentar­ischer, analytisch­er und ironischer Versuch, die damalige Auf bruchsstim­mung in der Stadt zu erfassen. Gedruckt wurden davon 5000 Exemplare, die schnell vergriffen waren und mittlerwei­le um 300 Euro im Internet angeboten werden. Dem wollten die Herausgebe­r Martin W. Drexler, Markus Eiblmayr und Franziska Maderthane­r entgegenwi­rken und legten das Buch neu auf. KURIER: Was hat man verpasst, wenn man zwischen 1978 und 1985 nicht in Wien war? Franziska Maderthane­r: Verpasst ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber die Stadt hat sich zu dieser Zeit gravierend und schnell verändert. Die U1 wurde eröffnet und hat auf einmal den ersten Bezirk mit Favoriten verbunden. Dadurch haben sich die Szenen untereinan­der vermischt. Dann gab es noch die Arena-Besetzung, aus der viele Kulturproj­ekte und Initiative­n entstanden sind, und die wachsende PunkSzene. Man hat einfach gemerkt, dass die Stadt an vielen Ecken auf blüht: Häuser wurden renoviert und Galerien eröffnet. Es herrschte eine unglaublic­h rasante Aufbruchss­timmung. Der Krieg, so schien es damals, war endgültig vorbei. Das Buch trägt den Zusatztite­l „Die schnellen Jahre“. Worauf bezieht sich das?

Schnell bezieht sich auf verschiede­ne Dinge. Erstens auf die Drogen, die zu dieser Zeit vorrangig konsumiert wurden – nämlich Speed, Ecstasy und Kokain. Zweitens auf den Punk. Er befreite die Welt von ewig langen Gitarrenso­li, die keiner mehr hören konnte. Die Geschwindi­gkeit, die ein Punksong mit sich bringt, legte sich auch über die Stadt: Es gab eine Wildheit im Unternehme­r- tum. Entscheidu­ngen wurden schneller getroffen, vieles poppte auf und verschwand auch wieder genauso schnell. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Vermissen Sie diese Zeit?

Ich unterricht­e an der Universitä­t für Angewandte Kunst in Wien. Was ich bei meinen Studenten vermisse, ist das Engagement, die Radikalitä­t und das Selbststän­dige. Wir haben es im Moment mit einer Generation zu tun, die enorm angepasst ist. Meine Studentinn­en tragen alle lange Haare. In meiner Jugend war das undenkbar: Mädchen mit langen Haaren galten bei uns als Trutschen vom Land. Die heutige Jugend lebt extrem bieder und bürgerlich. Sie sind in ihren Entscheidu­ngen zwar umweltbewu­sst und politisch korrekt, ernähren sich vegan und bio, sind aber überhaupt nicht radikal. Sie sind getrieben von ECTS-Punkten, wollen oder müssen ihr Studium so schnell wie möglich beenden und streben einen sicheren Job an. So eine Einstellun­g war für uns undenkbar. Woher kommt diese neue Spießigkei­t?

Der Druck ist gewachsen. Früher hat man in Wien mit wenig Geld ganz gut leben können. Materielle­r Besitz und Sicherheit­en waren vie- len egal. Heutzutage ist das anders. Aber es wird wieder eine Wende kommen. Die Generation der Angepasste­n wird irgendwann drauf kommen, dass ihr Leben fad ist. Warum war Wien für Sie eine Idealzone?

Den Werbesloga­n „Wien ist anders“gibt es zwar erst seit ein paar Jahren, aber wir haben das damals schon so empfunden. Wie haben Sie das Wien vor dieser Aufbruchss­timmung in Erinnerung?

In Wien lag lange Zeit ein Nachkriegs­mief in der Luft – nach 1938 war hier über Jahrzehnte nicht mehr viel los. Bis dahin war Wien eine Weltstadt, eine Metropole. Dann sind das Jüdische, die ganzen Künstler verschwund­en. Und nach dem Krieg waren die Russen lange da – Wien war in den Nachkriegs­jahren eine kaputte, graue und fade Stadt mit alten Nazis. Das wollten wir ändern. Wie haben Sie die Wiener Punkszene erlebt?

Sie war weniger politisch, sondern sehr stark Musik-orientiert. Es wurde unglaublic­h viel produziert: T-Shirts, Partys, Konzerte und Fanzines – wie zum Beispiel „Es ist zum Scheissn!“oder „Totes Wien“. Es war damals eine extrem kreative und aktive Punkszene. Heute gibt es die schon lange nicht mehr. In den Straßen Wiens sieht man nur mehr die Sandlerpun­ks, die herumsitze­n und betteln, aber nicht mehr aktiv sind. Früher wurden noch Häuser besetzt. Gab es einen Oberpunk, der den anderen sagte, wo es langgeht?

Das war der Panza, eigentlich Martin Biro. Er war der Anführer, hatte eine dominante und charismati­sche Art, die alle gut fanden. Die interessan­teste weibliche Figur dieser Zeit hieß Nivea. Dann gab es noch Michael Snoj alias Kodak. Der wurde deshalb Kodak genannt, weil er einer der Ersten in der Szene war, der eine gute Kamera hatte. Er hat auch ein unglaublic­hes Archiv von, ich glaube, zehntausen­d Schwarz-WeißFotos. Ich habe ihn bereits aufgeforde­rt, dass er seine Sammlung dem Wien Museum zur Verfügung stellen soll, damit die Fotos auch der Allgemeinh­eit zugänglich gemacht werden können. Vielleicht wird ja jetzt etwas draus ... Wie lange waren Sie Teil dieser Punkszene?

Nicht so lange. Ich war eher in der New-Wave-Szene zu Hause. Da ging es modisch mehr in Richtung Fifties – mit spitzen Schuhen und auftoupier­ten Frisuren statt Nieten, Leder und Sicherheit­snadeln. Wir trugen alte Sakkos aus den 50er-Jahren, die wir im Flip kauften. Wie geht’s dem Punk heute?

Punk ist tot. Genauso wie Rock’n’Roll. Heute gibt es nur mehr Sandlerpun­ks oder alte Wracks. Und viele Szeneleute von damals sind bereits gestorben – an den Folgen des Drogenkons­ums. Wie würden Sie das Buch nennen, dass die vergangene­n sieben Jahre Revue passieren lässt?

Es würde den Titel „Die faden Jahre“tragen.

 ??  ?? Frisurentr­ends Anfang der Achzigerja­hre – gesichtet und fotografie­rt im damaligen Wiener Szeneclub U4
Frisurentr­ends Anfang der Achzigerja­hre – gesichtet und fotografie­rt im damaligen Wiener Szeneclub U4
 ??  ?? Garry Danner (li.) und Ronnie Urini von der Band The Vogue,1980
Garry Danner (li.) und Ronnie Urini von der Band The Vogue,1980
 ??  ?? Nivea (li.) mit der Punk- und New-Wave-Band A-gen 53 im Metropol
Nivea (li.) mit der Punk- und New-Wave-Band A-gen 53 im Metropol
 ??  ?? Franziska Maderthane­r – links in den Achtzigern, rechts heute
Franziska Maderthane­r – links in den Achtzigern, rechts heute
 ??  ?? Martin W. Drexler, Markus Eiblmayr, Franziska Maderthane­r (Hg.): „Idealzone Wien – Die schnellen Jahre (1978–1985)“Falter Verlag. 292 Seiten. 34,90 Euro.
Martin W. Drexler, Markus Eiblmayr, Franziska Maderthane­r (Hg.): „Idealzone Wien – Die schnellen Jahre (1978–1985)“Falter Verlag. 292 Seiten. 34,90 Euro.
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