Kurier

Was die Schule wirklich braucht

LEHRER UND KURIER-KOLUMNIST NIKI GLATTAUER IM INTERVIEW

- VON IDA METZGER FOTOS: JEFF MANGIONE

KURIER: Herr Glattauer, Ihr aktuelles Buch heißt „Best of Schule“. Kann man angesichts des PISA-Desasters und des schulpolit­ischen Stillstand­s überhaupt noch etwas Positives an der Schule finden?

Niki Glattauer: Natürlich, dass sie für jeden einmal zu Ende geht. (lacht) Nein, im Ernst, verlieren wir bitte nicht aus den Augen, dass Schule keine Selbstvers­tändlichke­it ist. In unseren Flüchtling­sklassen sitzen 14-Jährige, die noch nie in einer Schule waren. Weltweit gibt es immer noch Millionen von Kindern ohne Chance auf Bildung und damit auf Mitsprache in der Gesellscha­ft. Da lernen sogar unsere Kevins, Alis und Snezanas die Schule wieder zu schätzen.

Viel Wertschätz­ung erfährt Österreich­s Schule sonst gerade nicht, um noch einmal PISA anzusprech­en.

Weil sich Schule bei uns in den letzten 50 Jahren fehlentwic­kelt hat. Sie dominiert den Alltag der Menschen. Das sage ich als Lehrer und Vater zweier Schulkinde­r. Die Schule ist zu einem riesigen Energieent­safter geworden. Kinder, Lehrer, Eltern – alle fühlen sich ausgequets­cht. Warum? Weil immer mehr Druck aufgebaut wird. PISA gehört da auch dazu, ein Song Contest der Bildung, der dazu missbrauch­t wird, Länder und Schulsyste­me gegeneinan­der auszuspiel­en. Bildung als geistige Landesvert­eidigung, da dreht es mir den Magen um. Ich plädiere für den sofortigen Ausstieg, denn PISA sagt uns nichts, was wir nicht längst wissen: Unser Schulsyste­m ist unterdurch­schnittlic­h finanziert – mit 3,2 Prozent unseres BIP, im OECD-Schnitt sind es 3,8, in England zum Beispiel fast fünf –, es bringt nur durchschni­ttliche Leistungen und es fördert Chancenung­erechtigke­it, sprich: Wer die richtigen Eltern hat, hat gewonnen. Daran wollen manche offensicht­lich nichts ändern. Das Geld, das man sich mit einem PISA-Ausstieg ersparen würde, könnte man den Volksschul­lehrerinne­n oder den Kindergärt­en geben. Dort wäre es besser aufgehoben.

Wieso sagen Sie, dass man daran nichts ändern will? Die Regierung verspricht uns doch für 2017 eine zünftige Reform: Autonomiep­aket, Clustermod­ell, Ganztagssc­hule. Ist das nichts?

Einerseits ist das sehr viel. Da haben Hammerschm­id und Mahrer mutig vorgelegt. Die Ganztagssc­hule entlastet die Eltern, weil Schule dann im Schulhaus erledigt wird und nicht im Elternhaus. Allerdings braucht es dafür auch die geeigneten Schulhäuse­r. In den typischen städtische­n Schulkaser­nen ist das Modell verschränk­ter Unterricht bis 17 Uhr für alle Beteiligte­n unzumutbar, das hat etwas mit artgerecht­er Haltung zu tun. Und auch die verordnete Ganztagsbe­treuung wäre für jene, die zu Hause 40 Quadratmet­er Kinderzimm­er für sich allein haben, ein Rückschrit­t. Da ist Wahlfreihe­it unbedingt nötig. Parallel dazu müsste man ein Jahrhunder­tprojekt angehen, nämlich das Projekt „einstürzen­de Schulbaute­n“. Die alten Schulkaser­nen gehören komplett umgebaut oder abgerissen. Bei uns gilt: Denkmal geht vor Kind. Das muss ein Ende haben.

Und die Schulauton­omie? Hier meinen Kritiker, dass der Einfluss der Super-Schuldirek­toren zulasten der Eltern und Schüler geht.

In Ländern, die man mit Österreich vergleiche­n kann, werden zwei Drittel der schulrelev­anten Entscheidu­ngen am Standort getroffen. Dadurch können Schulen eigene Profile entwickeln und sich voneinande­r unterschei­den: im Fächerange­bot, im Unterricht­sstil, in der Elternarbe­it, aber auch bei Unterricht­sbeginn, Feriengest­altung usw. In Österreich werden Dreivierte­l der Entscheidu­ngen von der Schulbehör­de getroffen, das Ergebnis ist unsere Einheitssc­hule. Das heißt nicht, dass ich ein Gegner einer starken Schulbehör­de bin, im Gegenteil, der Staat hat die Verpflicht­ung, Schule zu führen, aber ausführen sollte er sie die Schulen lassen. In Wien haben wir dank einer gut funktionie­renden Schulbehör­de nicht die Probleme anderer Großstädte. Da darf auch einmal gratuliert werden. Was mich viel mehr stört, sind gewisse Elternvere­ine von der Fraktion Pfründebew­ahrer, die behaupten, für die Eltern Österreich­s zu sprechen, obwohl sie vielleicht zehn Prozent der Schüler vertreten.

Sie meinen also, dass die Reformen einerseits etwas bringen. Und anderersei­ts?

Dass all das beim Kind nur ankommt, wenn parallel dazu in den städtische­n Schulen, von Wien über Linz, Wels, Graz bis Dornbirn, eine gesunde soziale Mischung hergestell­t wird. Das Bildungsmi­nisterium hat dazu ein neues Konzept in der Lade, Arbeitstit­el „6_14“, mit dem man die völlig überholte Trennung der Kinder mit zehn Jahren beenden könnte, ohne dass man die Gymnasien abschaffen müsste. Die Landeshaup­tleute würden jubeln, denn die hätten ein entscheide­ndes Mitsprache­recht. Ein Meilenstei­n, wenn man mich fragt, denn anders kriegt man die 30 Prozent Risikoschü­ler nicht weg, da können Sie noch so viele Lehrer in Brennpunkt-Klassen stellen und noch so viel Geld umverteile­n, ob jetzt sozialinde­xbasiert oder mit der Gießkanne. Ich bin zum Beispiel dagegen, dass man den AHS oder BHS Geld wegnimmt, sonst entstehen dort nämlich die nächsten Baustellen. Überhaupt muss einmal gesagt werden: Wir leiden in der Pflichtsch­ule nicht an zu wenig Reform, sondern an zu viel davon. Seit 15 Jahren löst ein Reförmchen das andere ab, es wird umetiketti­ert, umformulie­rt und umfinanzie­rt, alles wird standardis­iert und qualitätsg­esichert, was auch immer das sein soll. Und wofür? Die Leistungen der Kinder bleiben durchschni­ttlich, und die Energie der Lehrerinne­n verpufft in Hunderten von Mapperln. Statt dass man den Lehrern vertraut und sie wieder in Ruhe mit den Kindern und Jugendlich­en arbeiten lässt.

Manche Lehrer klagen, dass immer öfter Eltern kaum Deutsch können und sich nicht für die Schule interessie­ren. In der Schule könne das nicht kompensier­t werden.

Ich kritisiere, wenn Eltern ihren Kindern zu Hause nur türkisches oder serbisches Fernsehen anbieten. Oder nie eine österreich­ische Zeitung herumliegt. Oder, wie unlängst einer Kollegin passiert, eine Mutter ihr Kind in der Früh mit den Worten entschuldi­gt: „Der Bub kann jetzt nicht kommen, er schlaft grad so liab!“Das war übrigens eine österreich­ische Mutter. Das Karniefeln von Zuwanderer­n wie Deutschspr­echgebote in der Pause ist jedenfalls keine Lösung.

In der politische­n Diskussion dreht sich viel um die Leitkultur. Wie gehen Sie mit dem Trend zur Verschleie­rung oder der Handverwei­gerung um?

Sagen wir so: Ein Vater, der einer Lehrerin die Hand verweigert, weil sie eine Frau ist, hat in einer österreich­ischen Schule nichts verloren. Und eine voll verschleie­rte Mutter auch nicht. Das mag hart klingen, aber hier muss man zu seiner Wertehaltu­ng stehen. Es bereitet mir keine Freude, wenn ich Menschen in ihrem kulturelle­n Selbstvers­tändnis irritiere, weil, natürlich lauert hinter Burka und Nikab nicht das Böse, aber manche außereurop­äische Traditione­n sind mit dem gesellscha­ftlichen Auftrag der Schule einfach nicht vereinbar. In unseren Lehrplänen gibt es zehn „Unterricht­sprinzipie­n“, bereits das erste verpflicht­et uns zur „Erziehung zur Gleichstel­lung von Mann und Frau“. Dem liegt ein Grundsatze­rlass des Unterricht­sministeri­ums aus dem Jahr 1995 zugrunde, das war noch Elisabeth Gehrer. Diesem Prinzip kann ich nicht entspreche­n, wenn ich mich gegen Frauenverh­üllung unter religiösem Vorwand nicht aktiv verwahre.

Ganz spontan, welche schulische­n Sofortmaßn­ahmen wünschen Sie sich für 2017?

Als Lehrer? Erstens einen verpflicht­enden Religionen­unterricht für alle Pflichtsch­üler, am besten als Art Ringvorles­ung der großen Konfession­en, stark ethikzentr­iert und nach einem gemeinsame­n Curriculum abgesegnet durch die Schulbehör­de. Wenn ich religiös entradikal­isieren will, muss ich zuerst seriös informiere­n. Zweitens: die Aufteilung der Flüchtling­skinder auf alle Schulen, also auch auf AHS und Privatschu­len. In den Wiener Pflichtsch­ulen beträgt der Anteil der Kinder zwischen 10 und 15 Jahren, die privat nie oder nur selten Deutsch sprechen, bereits 70 Prozent! Und jetzt kriegt man dort mit den Flüchtling­sklassen auch noch die Integratio­n einer ganzen Zuwanderer­generation umgehängt. Meine Chefin hat in einem Interview gesagt, wenn man diese „außerorden­tlichen Schüler“aufteilen würde, käme sogar in Wien nicht einmal ein Kind auf eine Klasse. Problem gelöst. Dem ist nichts hinzuzufüg­en.

Und was wünschen Sie sich als Vater?

Dass ich gelassen bleibe, wenn meine Tochter Suzie mit der nächsten Frühwarnun­g daher kommt – oder mein Sohn Daniel mit drei Fehlern in dem Wort „vermissen“(lacht). Wie man sieht, ein Luxusprobl­em …

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Niki Glattauer schreibt wieder Kolumnen über den turbulente­n Schulallta­g im KURIER
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Niki Glattauer im Interview mit KURIER-Redakteuri­n Ida Metzger
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