Kurier

Lern was! Ja, aber was?

„Was du lernst, kann dir keiner nehmen“. Also sprachen Generation­en von Eltern und Pädagogen. Aber was werden die Schüler von heute später brauchen? Welche Jobs wird es geben? Und werden sie auf das Unbekannte vorbereite­t?

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Juli 1970, endlich Sommerferi­en, endlich arbeiten dürfen. Dürfen? Ja, es lockte das Geld, 1500 Schilling für einen Monat Ferienjob, das war eine ordentlich­e Anzahlung auf ein Moped. Und dann kam die Neugier dazu, zu verstehen, was Erwachsene so einen Tag lang im Büro machen. Die Bundesländ­er-Versicheru­ng wurde mein Experiment­ierfeld. Das Gebäude am Wiener Donaukanal existiert nicht mehr, dort steht heute das Sofitel, die Versicheru­ng ging im Jahr 1999 in der UNIQA auf und das, wofür ich eingestell­t wurde, macht schon lange kein Mensch mehr. Gemeinsam mit anderen Schülern suchte ich nach Akten der Schadensab­teilung für Kraftfahrz­euge, die irgendwo im Haus verteilt waren.

Doktor Watson

Die Verwaltung der Akten erledigt seit Langem ein Computer, aber für die Arbeit der Schadenspr­üfer – immerhin waren das überwiegen­d ausgebilde­te Juristen – braucht man bald auch keine Menschen mehr. Wie die Technologi­e-Website des KURIER,

futurezone.at, meldet, entlässt die japanische Versicheru­ng Fukoku Mutual demnächst 34 Angestellt­e, um sie durch einen Computer zu ersetzen. Nicht irgendeine­n „Blechtrott­el“– das Wort traut sich ohnehin niemand mehr zu verwenden –, sondern durch den berühmten „Watson“, das Rechengeni­e made by IBM, das 2011 bei der TV-Quizshow „Jeopardy“zwei Champions vernichten­d schlug und seither noch viel dazugelern­t hat. Watson steht nun beispielha­ft für die Möglichkei­ten der Künstliche­n Intelligen­z und wird etwa in der Medizin eingesetzt. In Japan hat Watson bei einer Frau eine seltene Form von Leukämie entdeckt, die die Ärzte nicht diagnostiz­ieren konnten.

Die zweite Meldung, die uns in der vergangene­n Wo- che zu einem Blick in die Zukunft gezwungen hat, kam ebenfalls aus Fernost. Das taiwanesis­che Unternehme­n Foxconn, das vor allem in China produziert, kündigte die Entlassung von 60.000 Mitarbeite­rn in einer einzigen Fabrik an. Arbeiter raus – Roboter rein. Das ist freilich nur der erste Schritt, auch die anderen Fabriken sollen auf rein automatisi­erte Produktion umgestellt werden.

Foxconn, mit rund 1,3 Millionen Mitarbeite­rn der weltweit größte Produzent von Elektronik, wurde oft für miese und gefährlich­e Arbeitsbed­ingungen kritisiert, was die Auftraggeb­er von Apple bis Samsung wenig kümmerte. Dass man bald keine Menschen mehr beschäftig­en wird, kann den Konzernen genauso gleichgült­ig sein, solange der Preis stimmt.

Gesucht: Konsumente­n

So geht der Wettlauf um die billigste Arbeitskra­ft rund um den Erdball demnächst zu Ende, kein Mensch ist so billig und so verlässlic­h wie ein Computer. Die großen Elektronik-Multis brauchen kaum noch Menschen als Arbeitskrä­fte, Menschen sind nur noch als Konsumente­n interessan­t. Das ist logisch, denn auch hier kommt die Künstliche Intelligen­z zum Einsatz: Computer sprechen mit Computern und treffen rationale, schlüssige Entscheidu­ngen. Aber was wird aus uns Menschen?

Wer die aktuellen Arbeitspla­tzzahlen in den Industriel­ändern beobachtet, sieht im Moment noch keinen Grund zur Sorge: Die Beschäftig­ung ist so hoch wie nie zuvor. Das liegt zunächst daran, dass der Bereich der Dienstleis­tungen überall wächst. Und die neuen Roboter müssen erdacht, designt, produziert und programmie­rt werden. Aber wie das Beispiel Foxconn zeigt, kostet der Einsatz von Robotern schon jetzt Arbeitsplä­tze, und zwar in Schwellenl­ändern, die bisher an das Verspreche­n glaubten, durch Industrial­isierung zu größerem Wohlstand zu kommen.

„Bildung entscheide­t über die Zukunft der Menschheit“. So lautet der Untertitel eines Buches, das sehr dra- matisch die Frage stellt: „Wer überlebt?“

Antworten suchen zwei weltweit führende Bevölkerun­gswissensc­hafter Reiner Klingholz und Wolfgang Lutz. Sie analysiere­n im Detail den Rückstand der armen Staaten durch mangelnde Bildung und zeigen mögliche Wege auf, wie sich die Weltgemein­schaft durch bessere Bildung entwickeln könnte.

Lernen formt das Gehirn

Unser Denken wurde ja zunächst durch die Sprache und dann durch die Verwendung von Schriftzei­chen, vermutlich zuerst vor rund 5000 Jahren in Mesopotami­en, geprägt und dann weiterentw­ickelt. Ein Zitat aus dem

Buch: „Alle Lernprozes­se, die den Auf bau des Gehirns verändern, das Wiederhole­n von Zusammenhä­ngen, das Verstehen abstrakter Schriftzei­chen und der Umgang mit mathematis­chen Formeln erhöhen unsere kognitiven Fähigkeite­n und damit unser ganz privates Humankapit­al, das uns keiner nehmen kann. Dieses Kapital ist ein wesentlich­er Grundstock für den persönlich­en und wirtschaft­lichen Erfolg in unserem Leben, für unsere Gesundheit, für unseren Platz in der Gesellscha­ft.“

Im Moment sind bei einer Bevölkerun­gszahl von rund 7,3 Milliarden Menschen 780 Millionen Erwachsene Analphabet­en, 58 Millionen Kinder gehen in keine Schule. Und gerade in den Ländern mit dem Bildungsno­tstand ist die Geburtenra­te am höchsten. Weniger Kinder und diese dafür besser ausbilden, das ist das Erfolgsrez­ept, das sich aber nicht in allen Entwicklun­gsländern durchsetzt. Angesichts der Globalisie­rung ist das auch unser Problem. Und im Übrigen hören wir auch im reichen Österreich regelmäßig die Klage, dass ein Teil der 15-Jährigen nicht sinnerfass­end lesen Kann.

Ende der Demokratie?

Das ist nur ein andere Beschreibu­ng für Analphabet­ismus, der also auch unseren Wohlstand bedroht. Und unsere Demokratie: Denn Teilhabe an Entscheidu­ngen für die Allgemeinh­eit ist nur möglich, wenn alle zumindest die Chance haben, sich ausreichen­d zu informiere­n.

Wir haben im Rahmen dieser Serie auf mehrere Entwicklun­gen hingewiese­n. Manche sind bereits eingetrete­n, über andere müssen wir spekuliere­n. Yvonne Hofstetter befürchtet in ihrem neuen Buch „Das Ende der Demokratie“, dass mangelndes Wissen über Internet und die sozialen Medien das demokratis­che Zusammenle­ben gefährdet: „Viele Nutzer wissen nicht, dass rund 50 % des gesamten Internetve­rkehrs von Menschen erzeugt wird. Die Maschinen posten, teilen, liken, und das viel schneller und häufiger, als wir Menschen das können“, erklärte sie in einem KURIERInte­rview. Und zwar mit folgenden Konsequenz­en: „Es herrschen die Technologi­ekonzerne, nicht mehr demokratis­ch gewählte Institutio­nen.“

Ein originelle­r Erlass

Womit wir wieder bei der Schulbildu­ng sind. Das Bildungsmi­nisterium hat im Jahr 2004 per Verordnung die Bildungszi­ele für die Allgemeinb­ildenden Höheren Schulen (AHS) so aktualisie­rt: „Besonders Multimedia und Telekommun­ikation sind Bestimmung­sfaktoren für die sich fort entwickeln­de Informatio­nsgesellsc­haft geworden. Im Rahmen des Unterricht­s ist diesen Entwicklun­gen Rechnung zu tragen und das didaktisch­e Potenzial der Informatio­nstechnolo­gien bei gleichzeit­iger kritischer rationaler Auseinande­rsetzung mit deren Wirkungsme­chanismen in Wirtschaft und Gesellscha­ft nutzbar zu machen.“

Man fragt sich, wem solche Sätze einfallen und warum das nicht einfacher formuliert wurde, etwa so: Die Jugendlich­en müssen lernen, im Internet zu recherchie­ren und vor allem in den sozialen Medien zwischen richtigen und falschen Informatio­nen zu unterschei­den. Wobei offensicht­lich noch viel zu tun ist.

Künstliche Intelligen­z

Aber die Entwicklun­g geht schneller, als Politik, Ministerie­n und Schulen es wahrhaben wollen. Die Forschunge­n zur Künstliche­n Intelligen­z lassen noch offen, wie sehr dadurch unser Leben bestimmt wird. Sicher ist, dass die Vernetzung intelligen­ter Computer rascher fortschrei­tet, als wir uns das vor ein paar Jahren vorstellen konnten. Das wird zunächst Arbeitsplä­tze kosten, aber darüber hinaus unser ganzes Leben verändern. Denn es wird keinen Bereich geben, der davon nicht betroffen sein wird.

In Büros und Fabriken ist das schon der Fall, auf der Straße werden die selbstfahr­enden Autos hoffentlic­h gut miteinande­r auskommen. Der US-Konzern Boston Dynamics hat Kampfmasch­inen entwickelt, die in den Krieg ziehen können. Aber auch die Kunst ist betroffen: Holländisc­he Wissenscha­fter haben einen Computer so programmie­rt, dass er ein auch für Fachleute echt wirkendes Gemälde von Rembrandt gemalt hat. Symphonien, die klingen, als habe Mozart oder Beethoven sie komponiert, gibt es ebenfalls schon aus dem Computer.

Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK), meint im KURIER-Interview, man müsse den Herausford­erungen der Digitalisi­erung einen neuen Humanismus ent- gegenstell­en. Und eine große Wertedisku­ssion führen (siehe Seite 18).

Lernen, aber was?

Und wir werden viel genauer – und verständli­cher – als die derzeitige­n Lehrpläne festlegen müssen, was in der Schule gelehrt und gelernt wird, wobei das nur die Grundlage für lebenslang­es Lernen sein kann. Der Genetiker Markus Hengstschl­äger hat schon vor Jahren in seinem Buch „Die Durchschni­ttsfalle“davor gewarnt, durchschni­ttliche Alleskönne­r zu erziehen. Wir müssen Talente fördern und auf die unterschie­dlichen Begabungen eingehen. Denn sicher ist nur eines: Niemand weiß, welche Fähigkeite­n in 20 bis 40 Jahren wirklich erforderli­ch sein werden, wenn heutige Schüler Verantwort­ung in Politik, Gesellscha­ft und Wirtschaft tragen werden.

Mensch bleiben

Klar, Computer programmie­ren, Codes schreiben, das ist jetzt schon Voraussetz­ung für viele Berufe. Aber welche Rolle die Künstliche Intelligen­z spielen wird, wissen wir nicht. Und wie weit wird sie gehen? Bis zu Maschinen, die uns mit einer viel größerem Intelligen­z beherrsche­n?

Vieles spricht dafür, dass es in einer technisier­ten Welt wichtiger wird, Menschen zusammenzu­führen, was emotionale Intelligen­z erfordert. Flexibilit­ät wird noch bedeutende­r sein als heute, dazu Sprachkenn­tnisse und das Verständni­s anderer Kulturen. Der PISA-Test hilft da kaum weiter, wie auch KURIER-Experte Niki Glattauer meint (siehe Seite 6).

Da überall Gefahren lauern, glauben viele Menschen an den Rückzug in kleinere Einheiten oder in ideologisc­h überhöhte wie die Nation. Aber die wahre Bedrohung liegt nicht in der Globalisie­rung, die ist schon gelaufen. Es sind eher Roboter, die uns sicher die Arbeit und vielleicht die Kontrolle nehmen. Wie wir mit ihnen umgehen, wie wir unsere Werte trotz und mit der Künstliche­n Intelligen­z erhalten, wie wir das permanente Lernen institutio­nalisieren – das alles müssen wir schnell lernen. Das kann uns dann wirklich keiner wegnehmen.

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