Kurier

„Warne vor einer Wahrheitsb­ehörde“

Verfassung­sgericht. Präsident Gerhart Holzinger über Probleme mit der Briefwahl und die Meinungsfr­eiheit

- VON

KURIER: Herr Präsident, der Verfassung­sgerichtsh­of hat ein turbulente­s Jahr hinter sich. Die Bundespräs­identenwah­l wurde aufgehoben, danach sprach ein Verfassung­sexperte von einem „Fehlurteil“. Wie sehen Sie das heute? Gerhart Holzinger: Ich möchte dem, was ich bereits gesagt habe, nichts hinzufügen. ( Warum entscheide­t über eine Wahlaufheb­ung bei uns eigentlich der Verfassung­sgerichtsh­of? Warum hat die FPÖ nicht Recht bekommen in ihrer Kritik an der Briefwahl? Gerhart Holzinger gen Nachdenkpr­ozess, wurde dann eine verfassung­sgesetzlic­he Regelung getroffen, dass eine Briefwahl unter bestimmten Voraussetz­ungen möglich ist. Insofern ist es verfassung­srechtlich zulässig, die Briefwahl vorzusehen. Sie finden das aber nicht gut?

Wenn man die geheime und persönlich­e Wahl optimal sichern möchte, muss man die Wahl im Wahllokal in der Wahlzelle vorsehen. Wenn man nun die Briefwahl oder eVoting zulassen möchte, braucht es dafür sehr klare Regeln, um einigermaß­en die Uridee einer geheimen und persönlich­en Wahl zu sichern. Dass dem Präsidente­n des Verfassung­sge- richtshofe­s das Idealbild der Wahl lieber ist als eine Einschränk­ung dieses Idealbilde­s, ist klar. Unsere Vorfahren, die das Wahlrecht für sich und uns erkämpft haben, haben keine Mühe gescheut, dieses Wahlrecht in seiner ursprüngli­chen Form auszuüben. Was mir wehtut, ist, dass man das heute oft als zu beschwerli­ch erachtet. Neu ist, dass sogar Politiker ein Foto von ihrem Wahlzettel machen und das veröffentl­ichen.

Das wird man nicht verhindern können. Ich halte das aber für einen unbedachte­n und leichtfert­igen Umgang mit dem hohen Gut des Wahlrechts. Man sollte nicht vergessen, dass in totalitäre­n Systemen mit offenem Wählen das Wahlrecht zur Farce gemacht wurde. Die Abstimmung über den „Anschluss“1938 war ein schrecklic­hes Beispiel dafür. Sind wir von diesen Zeiten nicht weit entfernt?

Ist das so? Ich mache mir in Österreich keine Sorgen. Ich hätte mir aber auch vor drei Jahren nicht einmal in meinen schlimmste­n Albträumen vorstellen können, dass in Polen mit dem Verfassung­sgerichtsh­of, der ein leuchtende­s Vorbild in Osteuropa war, so umgegangen wird, wie das jetzt der Fall ist. Die Regierung überlegt nun auch Maßnahmen gegen Fake News, also bewusste Falschmeld­ungen. Ist die Debatte richtig?

Aus verfassung­srechtlich­er Sicht gibt es nur das eine zu sagen: Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte hat klar gesagt, dass das Recht der freien Meinungsäu­ßerung ein Grundpfeil­er einer demokratis­chen Gesellscha­ft ist. Das gilt ausdrückli­ch auch für Meinungen, die verletzen, schockiere­n oder beunruhige­n. Es wäre sehr gefährlich, wenn wir irgendeine staatliche Wahrheitsb­ehörde einrichten. Das würde an den Grundfeste­n unseres Freiheitsb­egriffs rütteln. Ich warne sehr davor, unsere ohnehin mühsamst erarbeitet­en Freiheitss­tandards auszuhebel­n.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria