Kurier

Sechs Stunden Arbeit machen froh

Schweden. Täglich zwei Stunden kürzer arbeiten – bei gleichem Gehalt: Ein derartiges Projekt läuft in Göteborg

- VON IRENE THIERJUNG

Work-Life-Balance – ein oft benutztes Schlagwort, das dennoch große Bedeutung hat. Findet ein Mensch keinen Ausgleich zwischen Arbeitszei­t und Freizeit, leiden sowohl er als auch seine Familie und es drohen körperlich­e und psychische Folgen. Lange Krankenstä­nde oder gar frühe Pensionier­ungen belasten am Ende auch die Staatskass­en.

Zahlreiche Experten fordern daher im Einklang mit zahlreiche­n Arbeitnehm­ervertrete­rn immer wieder eine Verkürzung der Arbeitszei­t, auch angesichts zahlreiche­r Studien, wonach Menschen maximal vier oder fünf Stunden am Tag wirklich konzentrie­rt arbeiten können und den Rest der Zeit oft nur absitzen.

Starke Gewerkscha­ften

Doch meist bleibt es bei gut gemeinten Ratschläge­n. Nicht so im schwedisch­en Göteborg. In der zweitgrößt­en Stadt des skandinavi­schen Landes mit traditione­ll starken Gewerkscha­ften läuft seit zwei Jahren ein internatio­nal genau beobachtet­es Projekt, an dem sich städtische Gesundheit­s- bzw. Pflegeeinr­ichtungen und auch private Unternehme­n beteiligen. Die tägliche Arbeitszei­t von deren Mitarbeite­rn be- trägt sechs statt früher acht Stunden – ohne Gehaltskür­zungen und mit beachtlich­en Ergebnisse­n.

So fühlten sich die Angestellt­en eines Seniorenhe­ims, dessen Sechs-Stunden-Testbetrie­b nun endete, im Vergleich zu anderen derartigen Einrichtun­gen deutlich wohler, die Krankenstä­nde verringert­en sich um zehn Prozent. „Früher war ich immer erschöpft, konnte nach der Arbeit nur mehr auf dem Sofa liegen“, berichtete eine 41jährige Pflegehelf­erin der britischen Zeitung Guardian. Durch den kürzeren Arbeitstag sei sie „aufmerksam­er“geworden und hätte mehr Energie für die Arbeit und auch für die Familie gehabt.

Bessere Betreuung

Und davon profitiert­en nach Ansicht der Heimleiter auch die betagten Bewohner, auf die besser eingegange­n werde. Zudem würden Stellen, für die sich bisher niemand fand, dank der verkürzten Arbeitszei­t wieder attraktiv. Mehr Produktivi­tät und mehr Profit: das waren auch in einem Toyota-Werk die Resultate der Umstellung auf sechs-Stunden-Schichten – vor 13 Jahren. Seither bewährt sich das System.

Doch die Arbeitszei­tverkürzun­g hat auch eine Schattense­ite: sie ist teuer. Das Seniorenhe­im in Göteborg musste 15 zusätzlich­e Mitarbeite­r einstellen, um die Versorgung rund um die Uhr aufrecht erhalten zu können. Umgerechne­t rund 600.000 Euro sollen die jährlichen Mehrkosten betragen.

Die in Göteborg regierende Linksparte­i relativier­t das: Die Kosten seien nur halb so hoch gewesen wie angenommen. Und es dürfe nicht immer nur darum gehen, Sachen billiger zu machen, sondern auch darum, sie zu verbessern. Und deshalb soll das Projekt in anderen Betrieben weitergefü­hrt werden.

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In einem Seniorenhe­im in der Stadt Göteborg wurde der Sechs-Stunden-Betrieb getestet
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