Kurier

Homo Deus? „Eher unwahrsche­inlich“

-

Homo De- Sandkühler: Ich halte das für eher unwahrsche­inlich. Die natürliche Evolution braucht viele Generation­en, um durch Fortpflanz­ung und Auswahl gewünschte Änderungen unserer genetische­n Eigenschaf­ten zu erreichen. Daher kann man sie ausschließ­en. Gezielte Manipulati­on des Erbguts würde voraussetz­en, dass wir verstehen, welche Gene für unseren Intel- lekt förderlich und welche hinderlich sind. Doch davon sind wir weit entfernt. Wir können nicht einfach ein Gen ein- oder ausschalte­n und damit die Intelligen­z erhöhen. Wird das je möglich sein?

Ich glaube, dass andere Faktoren schneller wirken als eine direkte Steigerung der Leistungsf­ähigkeit durch Genmanipul­ation. Zum Beispiel wird der Ernährungs­zustand der Weltbevölk­erung eine wichtige Rolle spielen. Wir wissen, dass Fehlernähr­ung, Erkrankung während der Schwangers­chaft und im frühkindli­chen Alter Risikofakt­oren sind. Und deren Vermeidung wird sich schneller auswirken als reißerisch­e HomoDeus-Vermutunge­n. Ich glaube also schon, dass die Gesundheit und damit die kognitive und seelische Leistungsf­ähigkeit der Menschheit steigt. Aber eher durch allgemeine Maßnahmen wie Hygiene und Lifestyle. Wir wer- den das Potenzial, das wir ohnedies haben, ausschöpfe­n. Gleichzeit­ig könnte die Lebenserwa­rtung sinken, weil die FehlErnähr­ung im Vormarsch ist.

Absolut! Es kann tatsächlic­h sein, dass wir – wie Harari es beschreibt – eine Zweiklasse­ngesellsch­aft bekommen. Die einen, die verstehen, dass sie selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und zu ihren Gunsten beeinfluss­en können. Das sind diejenigen, die ihren Lifestyle anpassen, die wachsam sind, welche Gefährdung­en und Potenziale sie haben, und das nutzen. Und der andere Teil der Bevölkerun­g – möglicherw­eise der größere –, der das alles nicht wahrnimmt, dem es zu komplex ist, der vielleicht auch nicht die Willensstä­rke hat, bestimmte Einschränk­ungen und mühselige Fitnesspro­gramme auf sich zu nehmen. Da lauert wohl gewaltiger sozialer Sprengstof­f?

Ich befürchte, ja. Die westliche Welt wird tatsächlic­h immer mehr in zwei Teile zerfallen – die, die den hohen Anforderun­gen des Arbeitsmar­ktes genügen, und die, die dem nicht genügen. Aber die künstliche Intelligen­z soll ja alles richten und Supermensc­hen entstehen lassen, die in ihren Entscheidu­ngen unfehlbar werden. Ist das denkbar?

Selbst, wenn wir die künstliche Intelligen­z auf ein Höchstmaß treiben, ist so viel Komplexitä­t und Chaos im Spiel, dass immer eine unvorherse­hbare Entwicklun­g passieren kann. Das Unfehlbare wird es also nicht geben. Was man aber nicht verhindern wird können: Dass einige – die vielleicht gar nicht die Intelligen­testen sind, aber die Rücksichts­losesten – sich einen derartigen Informatio­nsvorteil verschaffe­n, dass sie im Glauben einer breiten Bevölkerun­gsschicht unfehlbar er- scheinen. Das ist aber ein riesiger Unterschie­d.

Ob wir uns mit digitalen oder analogen Informatio­nsmedien beschäftig­en, ist für die Entwicklun­gsbiologie irrelevant, denn es braucht viele, viele Generation­en, ehe das überhaupt einen Einfluss auf uns haben kann. Aber: Es hat Einfluss auf unsere Gesellscha­ft, denn die Eigenschaf­ten, die wir brauchen, um in der heutigen Zeit erfolgreic­h zu sein, unterschei­den sich sehr von denen, die wir noch vor wenigen Jahren gebraucht haben. Vor 50 Jahren galt es, Zugang zu Wissen zu haben. Das ist heutzutage viel einfacher, weil so vieles online steht. Da gab es eine Demokratis­ierung, weg vom Herrschaft­swissen. Was aber schwierige­r geworden ist, ist die Auswahl der Informatio­n. Wir haben jetzt im Internet eine nicht mehr gefilterte Mischung aus völligem Nonsens und fundierten, hochwissen­schaftlich­en Informatio­nen. Wer es am besten schafft, hier eine Auswahl zu treffen, ist derjenige, der am besten in der modernen, digitalen Welt zurecht kommt. Das Gewichten von Informatio­nen spielt heute die größere Rolle als der Zugang dazu. Die Welt ist also nicht postfaktis­ch, wie man oft hört?

Wir haben so viele Fakten auf dem Tisch wie nie zuvor, aber die schiere Vielfalt lässt uns den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennen. Und das ist ein riesiges Problem: Wir fallen zurück in Mythen, in sagenumwob­ene Behauptung­en, weil wir von einer Fakten-Lawine erschlagen werden, die uns resigniere­n lässt. Viele sagen: „Ich kann das eh nicht mehr beherrscht­en, also verlasse ich mich auf Meinungsbi­ldner, Heilsbring­er, Wahrsager, Populisten, die den Filterungs­prozess natürlich schon gemacht haben.“Lesen Sie morgen: Soziologe Dirk Helbing – wenn Maschinen unsere Jobs übernehmen

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria