Nach Verhaftung droht Rockerkrieg
Verräter enttarnt. Die Verhaftung eines mordverdächtigen Hells Angels sorgt bereits für erste Folgen in der Szene
Der „Verräter“soll aus den eigenen Reihen kommen. Neue Clubs drängen in die Szene.
Die Verhaftung des mordverdächtigen Hells Angels Marcus M. (34) am vergangenen Mittwoch im Wiener Clubheim hat in der heimischen Rockerszene erste Konflikte ausgelöst. Ein hochrangiges Mitglied des oberösterreichischen Hells-Angels-Charters in Pattigham (im Rang eines „Seargent at Arms“) soll laut KURIER-Informationen aus dem Rockerclub geworfen und in „bad standing“versetzt worden sein. Der 49-jährige Frühpensionist soll seinen Leipziger Clubkollegen für 10.000 Euro an die Polizei verraten haben, vermuten die Höllenengel laut einem Szene-Insider. Wer in „bad standing“ist, gilt in der Szene als „vogelfrei“.
Das wäre aus mehreren Gründen brisant: Denn es wurde nicht nur die eiserne Rocker-Regel gebrochen, keine Rockerfreunde zu verraten, Marcus M. soll auch ein Mitglied der United Tribuns getötet haben. Diese sind in Österreich eigentlich mit den Höllenengeln befreundet, waren aber zuletzt in Kärnten in einen Erpressungsfall verwickelt. Tribunen sollen einen Geschäftspartner der Hells Angels erpresst haben, damit dieser die Seiten verwechselt. Auch ein Sprengstoffanschlag gegen ein Rotlichtlokal dürfte eine Rolle spielen. Die einstige Freundschaft hat Risse. Das Hells-Angels-Charter in Pat- tigham hat besonders gute Kontakte zu den United Tribuns in Bayern. Kam der Tipp wirklich von einem dortigen Mitglied, dann dürfte das nicht folgenlos bleiben.
Seit 2015 verschärft
Alle Szene-Probleme dürften im Sommer 2015 mit einer abgelehnten Rocker-Unterwerfung begonnen haben. In Österreich haben nämlich die Hells Angels das Sagen in der Szene. Jeder neue Club muss bei ihnen vorstellig werden und sich unterwerfen. Das ist seit Jahrzehnten die geübte Praxis der Motorradclubs. Für interne Streitschlichtungen ist auch das Vorarlberger Charter der Hells Angels zuständig, es war einst das erste im Lande.
Doch im Sommer vor zwei Jahren war alles anders. Kurz zuvor hatten die Bandidos erstmals versucht, ein Chapter in Salzburg zu eröffnen, und mit den United Tribuns drängten erstmals auch junge „New-School-Rocker“nach Österreich. So nennt man Gruppierungen, die wenig Interesse am Motorradfahren, sondern eher am schnellen Geld haben. In diesem Umfeld wollten die Hells Angels keinen kleinen Motorradclub in Kärnten tolerieren, der sich ihnen nicht unterwerfen wollte.
Neue Gruppierungen
Das dürfte der Grund für einen Besuch der Höllenengel mit Baseballschlägern beim kleinen Club „Black Legion“in Eberstein (Kärnten) gewesen sein. Deren Mitglieder flüchteten aus Angst vor den Höllenengel unter den Schutz der Bandidos. Seither versuchen die Banditen, in Österreich Strukturen aufzubauen. Die Black Legion soll 2017 in das erste offizielle Chapter umgewandelt werden, in Salzburg und Innsbruck gibt es Unterstützer der Bandidos.
Doch auch die bosnisch geprägten United Tribuns versuchen massiv auszubauen. Und sie setzen ebenfalls die Hells Angels unter Druck. Sie sollen mithilfe tschetschenischer Mafiosi versucht haben, das Geschäftsfeld der Hells Angels in Kärnten anzugreifen.
2017 dürfte die Auseinandersetzung um Geschäftsfelder weiter eskalieren. Vor allem im Drogen-, Waffenund Rotlichtmilieu sind Rocker laut Polizei aktiv. Alle Beteiligten scheinen auszubauen und aufzurüsten. Dazu drängt ein neuer, völlig unberechenbarer Mitspieler auf den Markt – die türkische Gang Osmanen Germania, die nach Erkenntnissen deutscher Behörden vom türkischen Geheimdienst gesteuert wird. Sie sehen sich offiziell als Boxclub, sind bisher aber vor allem mit Gewalttaten gegen Kurden in Erscheinung getreten. Auch ein Rapid-Hooligan ist in ihren Reihen zu finden.
Neue Koalitionen
Generell schrecken die Motorradclubs nicht mehr davor zurück, früher undenkbare Koalitionen einzugehen. Mehrfach dürften Leute aus dem rechten Hooligan-Umfeld rekrutiert worden sein. Auch bei den islamfeindli- chen Pegida-Demonstrationen in Wien waren Rocker als Security engagiert.
Somit ist unklar, wer in dem komplizierten Umfeld von Verstrickungen mit wem künftig Koalitionen eingehen wird. Insider berichten, dass massiv Rocker aus Deutschland nach Österreich wechseln wollen, weil hier der Druck durch die Justiz weit geringer ist als beim nördlichen Nachbarn. Dort monierte man bereits mehrfach, dass die Rockerkriminalität in Österreich unterschätzt wird. Obwohl das Bundeskriminalamt mit einem eigenen szenekundigen Rockerreferat aktiv ist, wurde der Punkt über die Rocker aus dem letzten Sicherheitsbericht des Innenministeriums gestrichen.