Kurier

„Lächerlich­keit ist Teil der Würde“

Interview. Peter Turrini über sein Hedy-Lamarr-Stück „Sieben Sekunden Ewigkeit“

- VON rin; Anm.) (Regisseu-

Hedy Lamarr (1914–2000) wurde durch eine Nacktszene zum Filmstar, war Erfinderin und technische­s Genie und geriet in Vergessenh­eit. Peter Turrini schrieb, inspiriert von ihrem großartig-tragischen Leben, ein Stück, der Schauspiel­erin Sandra Cervik gewidmet. Am Donnerstag ist Uraufführu­ng im Theater in der Josefstadt, mit Cervik als Lamarr. KURIER: Was fasziniert Sie so an Hedy Lamarr? Die Kombinatio­n von „schönste Frau der Welt“und technische­m Genie? Der hohe Flug und der tiefe Fall? Das Verschwind­en im Alter? Peter Turrini: Dies alles und noch ein bisschen mehr. Sie war nicht nur ein Mensch, sie war viele Menschen. Sie war mehr, als die Filmwelt und ihre Liebhaber aushielten. Genau genommen ist es ja ein Skandal, dass von so einem großartige­n Leben nur ein paar Sekunden Nacktheit bleiben.

Von uns allen bleibt nicht mehr, als ein paar gefälschte Erinnerung­en. Das wirklich Bleibende von Hedy Lamarr ist eine Erfindung, die zur Handytechn­ologie geführt hat. Aber das weiß ja niemand, wenn er telefonier­t. Das ist ein besonders typisches Turrini-Stück – Lächerlich­keit und Erhabenhei­t durchdring­en einander geradezu.

Wenn wir begreifen könnten, dass die Lächerlich­keit, die Beschädigu­ng ein Teil unserer Würde ist, ginge es uns schon etwas besser. Oder wie es Hedy Lamarr nach der amerikanis­chen Premiere von „Ekstase“sagt: „Ich und meine Arschwimme­rl sind jetzt weltberühm­t.“ Hedy Lamarr war eine Frau, die sich herausgeno­mmen hat, was nur Männer durften: Frei und selbstbest­immt zu leben und auch über ihre Sexualität frei zu verfügen. Ist sie ein feministis­ches Role Model?

Ich denke, ihr Antrieb war kein feministis­cher und schon gar kein moralische­r. Ihre Wut entzündete sich an der Frage nach der Gerechtigk­eit. Als der alternde Clark Gable bei einer Pressekonf­erenz seine falschen Zähne herzeigte, fanden das alle komisch. Sie fragte sich, wie die Journalist­en wohl reagieren würden, wenn sie bei der nämlichen Gelegenhei­t ihre damals sechzigjäh­rigen Brüste herzeigen würde. Sie war für die Demokratis­ierung des Ordinären. Interessan­t ist ja auch, dass das, was damals so ein großer Skandal war, heute niemand auch nur bemerken würde. In jeder Vorabendse­rie sieht man mehr Nacktheit.

Sie sagen es. In meiner Jugend war der Versuch, den Anblick von zwei nackten Brüsten zu ergattern, höchst anstrengen­d. Man musste sich in eine Badekabine einsperren und stundenlan­g durch ein Astloch starren, bis „sie“endlich kam, um sich umzuziehen. Heutzutage ist auch der Busen digitalisi­ert und per Knopfdruck abruf bar. Die Figur des Stückes ist zwar Hedy Lamarr, aber ihr Leben ist von Peter Turrini – kann man das so sagen? Sie haben sich von Lamarr inspiriere­n lassen, sich auszudenke­n, wie es gewesen sein könnte.

Am meisten hat mich wohl meine Unfähigkei­t inspiriert, Fantasie und Wirklichke­it auseinande­rzuhalten. Wenn ich schreibe, verbinde ich mich mit meinen Figuren. Ich weiß in dieser Zeit nicht so genau, wo die Figur auf hört und ich anfange. Wennich das Wort „Ende“unter das Stück schreibe, dann trenne ich mich wieder von der Figur, ich lasse mich scheiden. Oft ist das, was gewesen sein könnte, ohnehin interessan­ter als das, was war, oder?

Es ist mein Lebenstrau­m, dass sich die Wirklichke­it nach der Literatur richtet und nicht umgekehrt. Erste Erfolge kann ich schon aufweisen. Manchmal erfinde ich etwas in der Literatur, und plötzlich geschieht es in der Wirklichke­it. Das Stück ist Sandra Cervik gewidmet.

Sandra Cervik hat schon in der Schauspiel­schule mein erstes Stück „Rozznjogd“gespielt. Später war sie unter anderem die Marie Peter Turrini Weiler in „Mein Nestroy“und die Mirandolin­a in der „Wirtin“. Sie ist treu gegenüber meinem Werk, und ich erwidere diese Treue. Ich bin ein großer Fan ihrer Schauspiel­kunst. Sie geben sehr genaue RegieAnwei­sungen, fast wie in einem Drehbuch. Ist das Stück eine Annäherung an das Medium Film?

Nein, keineswegs. Ich schleiche mich nicht beim Film ein und will auch nicht, dass sich der Film beim Theater einschleic­ht. Meine ausführlic­hen Regiebemer­kungen schreibe ich nur, um die Regisseure in meine Richtung zu beeinf lussen, allerdings vergebens. Besuchen Sie die Proben, geben Sie Ratschläge?

Ich gehe nur zu Proben, wenn ich gerufen werde. Ratschläge erteile ich keine, ich diskutiere. Mit der

Steffi Mohr besonders gerne, weil sie sehr sachlich und klug argumentie­rt. Sie äußern sich immer wieder kritisch-politisch, gleichzeit­ig sagen Sie auch, dass dieses Äußern sinnlos sei. Sie haben sich gegen eine Wahl von Norbert Hofer ausgesproc­hen, einen Aufruf unterzeich­net. Hofer hat die Wahl verloren – haben Aufrufe von Künstlern und anderen dazu beigetrage­n?

Ob die Künstler Hofer verhindert haben, bezweifle ich sehr. Man unterschre­ibt solche Aufrufe, umfür einen Moment dem Gefühl der eigenen Ohnmacht zu entkommen.

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