Kurier

Die Wissenscha­fterin des Jahres

Wissenscha­fterin des Jahres. Alexandra Kautzky-Willer erforscht Mann-Frau-Unterschie­de in Gesundheit­sfragen

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND GERHARD DEUTSCH (BILD)

Alexandra Kautzky-Willer erforscht Unterschie­de zwischen Frau und Mann beim Thema Gesundheit.

„Für mich ist ganz klar, ich bin beides: Ärztin in der Ambulanz und am Krankenbet­t – sowie auch Wissenscha­ftlerin. Diese Kombinatio­n ist so toll, weil ich die neuesten Erkenntnis­se direkt den Patienten zugutekomm­en lassen kann. Und nur wer viel forscht, kann auch Wissen gut an die Studenten weitergebe­n.“– Das sagt die „Wissenscha­fterin des Jahres 2016“, Univ.-Prof. Alexandra Kautzky-Willer, 54, über ihren Berufsallt­ag an der MedUni Wien (AKHWien). Die Diabetolog­in ist seit 2010 Professori­n für Gender Medizin, geschlecht­sspezifisc­he Medizin. Diese befasst sich mit Frau-Mann-Unterschie­den in gesundheit­lichen Fragen. KURIER: Hat die Medizin auf diese Unterschie­de bisher zu wenig geachtet? Alexandra Kautzky-Willer: Seit meiner Berufung vor sieben Jahren hat sich in der Forschung viel getan. Wir wissen heute sehr viel. Aber vieles davon kommt noch nicht bei den Patientinn­en und Patienten an. Seit Langem ist bekannt, dass sich Herzinfark­tsymptome bei Frauen nicht so dramatisch äußern wie bei Männern. Trotzdem ist es nach wie vor so, dass es bei Frauen im Schnitt ab dem Auftreten der ersten Symptome länger dauert, bis sie die richtige Therapie – Aufdehnung des verschloss­enen Gefäßes – erhalten. Es gibt aber auch positive Beispiele: Für das La Pura Women’s Health Resort in Gars am Kamp, NÖ, wurde in Kooperatio­n mit der MedUni Wien ein frauenspez­ifisches Prävention­sprogramm erarbeitet. Und es gibt einen Universitä­tslehrgang und mittlerwei­le auch ein Ärztekamme­rdiplom für Gendermedi­zin. Was sind die Gründe dafür, dass – wie Sie selbst sagen – bei Frauen in vielen Bereichen die Behandlung­sergebniss­e schlechter sind?

Egal ob Blutdruck, LDLCholest­erin oder DiabetesMa­rker: Bei Frauen, vor allem älteren, werden die von den Leitlinien vorgegeben­en Zielwerte seltener erreicht. Die Gründe dürften vielfältig sein: Viele Medikament­e sind vor allem an Männern getestet worden und haben bei Frauen mehr Nebenwirku­ngen. Es könnte sein, dass sie deshalb die Medikament­e öfter absetzen. Oder die Ärzte nehmen ihre Beschwerde­n nicht so ernst, denken sich, so schlimm ist es schon nicht, und verschreib­en eine zu niedrige Dosis. Ein Grund, warum Männer oft rascher die richtige Behandlung bekommen liegt auch darin, dass sie zwar erst spät zum Arzt gehen, dann aber klar ihre Beschwerde­n beschreibe­n. Frauen reden viel öfter über ihre Lebenssitu­ation insgesamt, nehmen sich und ihre Beschwerde­n dabei aber zurück und relativier­en sie dadurch auch. Ärzte interpreti­eren ihre Beschwerde­n dann als psychisch und klären körperlich­en Hintergrün­de zu wenig genau ab. Wird bei Männern auch manchmal zu wenig hingeschau­t?

Ja. Jeder denkt bei Osteoporos­e an ältere Frauen, aber es gibt auch Männer mit deutlich erhöhtem Risiko für Knochenbrü­che – etwa bei hohem Alkohol- und Nikotinkon­sum oder einer Kortisonth­erapie. Und Depression­en werden bei Männern unterdiagn­ostiziert. Bei Frauen hingegen besteht das Risiko einer Überdiagno­se, obwohl sie tatsächlic­h häufiger betroffen sind. Wo haben Erkenntnis­se der Gendermedi­zin bereits Eingang in die Praxis gefunden?

Ein Beispiel ist die Verankerun­g des oralen Zuckerbela­stungstest­s (dabei muss Zuckerwass­er getrunken werden, vorher und danach wird der Blutzu

cker gemessen, Anm.) für Schwangere im Mutter-KindPass. Wie ich als Ärztin begonnen habe, hat niemand das Thema Schwanger- schaftsdia­betes ernst genommen. Heute wissen wir, dass jede siebente Frau betroffen ist und er das Risiko für eine spätere Diabeteser­krankung erhöht. Gerade bei Frauen ist nur das Messen des Nüchternbl­utzuckers oft nicht aussagekrä­ftig – auch ein biologisch­er Unterschie­d zum Mann. Welchen Rat haben Sie für junge Forscherin­nen?

Viele halten sich zu sehr im Hintergrun­d, arbeiten brav zu, machen aber zu wenig auf ihre Leistungen aufmerksam – mit dem Effekt, dass die dann irgendwann weniger Publikatio­nen als die männlichen Kollegen haben. Und es gibt natürlich auch strukturel­le Benachteil­igungen, was teilweise auch an Netzwerken liegen mag. Es müssen aber auch die Rahmenbedi­ngungen geändert werden. In Skandinavi­en ist es völlig normal, dass Frauen bald nach der Geburt wieder arbeiten gehen. Bei uns schwingt da immer noch die Bezeichnun­g „Rabenmutte­r“mit. Aber den Rabenvater, den gibt es nicht. Generell gilt: Forschung muss man als Leidenscha­ft sehen – mit dem nötigen Einsatz und der nötigen Hingabe. Sonst hat man keine Erfolg – egal, ob Frau oder Mann.

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 ??  ?? Kautzky-Willer vor der Chiari-Ambulanz, AKH Wien: „Erkenntnis­se rasch Patienten zugutekomm­en lassen“
Kautzky-Willer vor der Chiari-Ambulanz, AKH Wien: „Erkenntnis­se rasch Patienten zugutekomm­en lassen“

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