Vonn weinte erstmals im Ziel
Damen-Abfahrt in Garmisch. Der US-Star krönte sein Comeback mit dem 77. Weltcupsieg
Es ist, als wäre sie nie weg gewesen: Im zweiten Rennen nach ihrer langen Pause nach dem Schienbeinkopf bruch im März 2016 und dem Oberarmbruch im vergangenen November meldete sich Lindsey Vonn bei der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen wieder zurück – mit dem 77. Weltcupsieg! So recht konnte es Vonn gar nicht fassen, was ihr da gelungen war. Die 32-Jährige aus Vail im US-Bundesstaat Colorado ließ sich nach einem „Yeah!“in den Schnee sinken, wurde herumgereicht und umarmt, und dann schossen ihr die Freudentränen ins Gesicht. „Das war der emotionalste Sieg meiner Karriere, denn ich habe bisher noch nie sofort im Ziel geweint“, sagte sie später.
„Ich bin hier, um Rennen zu gewinnen“, hatte sie eine Woche zuvor nach Platz 13 in Altenmarkt-Zauchensee noch gesagt und angesichts ihrer Metallplatte, die den rechten Oberarm stabilisiert, und der Ausführungen in Sachen Risiko und eigenem Rettungsplan für den Fall eines Sturzes noch teils ungläubige Blicke auf sich gezogen. Zu viel Show?
An diesem Samstag zeigte Lindsey Vonn, warum sie nun nur noch neun Erfolge braucht, um zum Schweden Ingemar Stenmark aufzuschließen: Schon nach knapp 15 Sekunden lag sie an vierter Stelle, und bei der dritten Zwischenzeit hatte sie bereits 39 Hundertstelsekunden Vorsprung auf die zu diesen Zeitpunkt führende Schweizerin Lara Gut. Zwar schmolz der Vorsprung bis ins Ziel noch ein wenig zusammen, doch die verbliebenen 15 Hundertstelsekunden reichten zum Erfolg.
Blut, Schweiß, Tränen
„Es fühlt sich unglaublich an“, sagte Vonn, als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte. „Ich habe wirklich hart gearbeitet, um wieder zurückzukommen, und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dermaßen schnell zurückgekommen bin, dass alle vergessen, wie viel Blut, Schweiß und Tränen es braucht, um sich ohne jedes Training wieder in den Wettkampf zu stürzen.“Wer ihr am meisten geholfen hatte, das wusste sie gleich: „Ich musste heute einfach meinem Team und meinem Servicemann Heinz Hämmerle vertraut. Heute haben wir unser Bestes gegeben – ein erstaunlicher Tag.“
Die große Erleichterung beruht natürlich auch auf den jüngsten Erfahrungen. „Ganz ehrlich: Nach Zauchensee war ich mir nicht sicher, wie lange ich brauchen würde, um wieder ganz oben zu stehen“, gestand Vonn. „Aber heute habe ich mir selbst bewiesen, wozu ich fähig bin.“
Die Kolleginnen gratulierten artig bis freudvoll, Elisabeth Görgl wollte mit dem Umarmen gar mehr auf hören. Und die Slowenin Ilka Stuhec, die ja die ersten drei Saisonbewerbe so souverän gewonnen hat, gerät nach Platz acht schön langsam unter Druck: Noch hat sie 117 Punkte Vorsprung auf Lara Gut; noch hat sie deren 157 Punkte auf die Italienerin Sofia Goggia – doch wenn Lindsey Vonn ihren Lauf in dieser Form fortsetzen kann, könnte sie sogar noch ihre Ankündigung in die Tat umsetzen, sich zum neunten Mal die kleine Kristallkugel für den Abfahrtsweltcup zu sichern.
Jedoch: Nur noch drei Bewerbe sind zu fahren – und Vonn müsste 257 Punkte auf Ilka Stuhec aufholen. Aber wer weiß ...?