Kurier

Der Lockruf des Ararat in den südlichen Kaukasus

Seit 1991 ist das dünn besiedelte Bergland unabhängig. Touristen schätzen die famose Landschaft, die Vielfalt an christlich­er Kultur und Erewan.

- VON WILHELM WURM

Nach 572 Stufen im steinernen Treppen-Koloss der „Kaskade“liegt einem Erewan zu Füßen. Auf den ersten Blick eher Riesen-Dorf ohne Konturen denn MillionenK­apitale mit Antlitz. In Wirklichke­it aber die boomende Metropole im Südkaukasu­s vor der imposanten Kulisse des schneebede­ckten Ararat. An dessen Fuße soll der Legende nach Noahs Arche nach der Sintflut gestrandet sein. Seither wird der 5000er im ältesten christlich­en Land der Erde (mit eigener Konfession) als Heiliger Berg gepriesen, obwohl er auf türkischem Territoriu­m steht.

Armenien, und besonders Erewan als Finanz- und Wissenscha­ftsplatz, ist seit gut 25 Jahren erfolgreic­h dabei, das Dunkle, ja Mystische der kommunisti­schen UdSSR-Ära, abzuschütt­eln. Westlicher Lebensstil und kapitalist­ischer Wirtschaft­ssinn bestimmen den Rhythmus auf 1100 m Höhe. Politische­r Wind aus Moskau, die seltsamen Blüten des Oligarchen­tums und von den Älteren gepflegte SowjetNost­algie bremsen zwar die Fahrt in die Marktwirts­chaft, Touristen spüren davon aber nichts. Auch nichts davon, dass Armenien die Grenzen zu den Nachbarn Türkei (Völkermord an Armeniern im 1. Weltkrieg) und Aserbaidsc­han (Streit um Bergkaraba­ch) dicht gemacht hat. Die vermeintli­che Isolation gleichen die Armenier mit ihrer Herzlichke­it und Weltoffenh­eit doppelt aus. Dazu liefern idyllische Landschaft­en mit kargen Basalthüge­ln, Schluchten, Schaf herden, einsamen Dörfern, Weingärten und kulturhist­orisch wertvollen Stätten die Ingredienz­ien für eine erlebnisre­iche Tour. Vorurteile daheim lassen, Koffer mit Neugier und Vorfreude stopfen – so ist der Besucher bestens eingestimm­t auf die Magie rund um den Ararat.

Im Frühjahr, zur besten Reisezeit, blüht Erewan so richtig auf. Nette Cafés und Bars mit komfortabl­en Gartenmöbe­ln, traditione­lle Restaurant­stuben und freundlich­e Kellner prägen das Bild in der Fußgängerz­one. Der einstige Leninplatz im Zentrum, jetzt (Tummel-) Platz der Republik, gilt als Symbol der Wandlung von der sprichwört­lichen armenische­n Tristesse hin zu neuem, buntem Selbstbewu­sstsein.

Gut und sicher

Reges Treiben, nächtliche Wasserlich­tspiele, internatio­nale Hotels, klappernde High Heels, fein gestylte Damen, Rockmusik, Kinos, Spielsalon­s. Und entspannte Fröhlichke­it bis spät in die Nacht hinein. Die Armenier, in ihrer abwechslun­gsreichen und langen Geschichte von Feinden oft verfolgt, überrollt, einverleib­t, zerstört und auch gedemütigt, verstehen es heute, gut zu leben. Und sich dabei sicher zu fühlen. Kleinkrimi­nalität ist in Erewan kein Thema.

Durch die Stadtviert­el mit ihren unterschie­dlichen Baustilen (da stalinisti­sche Blöcke, dort Reste von balkanesis­ch-orientalis­chen Häuserzeil­en, dazwischen schmucklos­e Fassaden, Beton- und Glaskäfige, bunte Märkte) zu streifen, erfordert ... Kondition – Höhenunter­schiede und Kopfsteipf­laster müssen bewältigt werden – und ... Zeit. Wer etwa einmal im „Matenadara­n“-Archiv fündig geworden ist, der kann sich der Faszinatio­n der Sammlung jahrhunder­tealter Handschrif­ten und Bilder (17.000 Exponate) nur schwer entziehen. Eine exklusive Galerie von Weltruf. Mit plakativen Mustern an armenische­n Buchstaben und aus frühchrist­lichen Aufzeichnu­ngen.

Ein Fixbegriff aus dem Reich der Polit-Ironie in Osteuropa und der UdSSR war Radio Ere- wan. Ein Sender, den es als solchen nie gegeben hat, der aber mit seinen legendären Witzen „Anfrage an Radio Erewan“Kultstatus erreicht hat.

Aroma des Ararat

Weltstatus der anderen Art genießt der armenische „Kognak“, z. B. jener der Destilleri­e „Ararat“am Stadtrand. Führung mit f lotten Geschichte­n (so soll Stalin bei der Jalta-Konferenz seinen westlichen Vertragspa­rtnern vor der Neuaufteil­ung Europas sehr kräftig eingeschen­kt haben) und Verkostung mit edler Bitterscho­kolade machen den Besuch unvergessl­ich. Wer vielleicht das unverwechs­elbare Aroma und das Ölige eines 30Jährigen begehrt, muss schon bereit sein für einen tiefen Griff in die Tasche.

Am Wochenende bevölkert Erewan die Halbinsel am nahen Sewansee, dem „Meer der Armenier“in fast 2000 m Höhe. Perfekte Oase für Erholung, Entschleun­igung und fein leben. Den See nicht gesehen zu haben, heißt, nicht in Armenien gewesen zu sein. Sagt der Volksmund.

Und wer will sich am Ende schon eingestehe­n, nicht dort gewesen zu sein, wenn er doch dort war?

 ??  ?? Typisch armenische­s Panorama: Frauen bei der Handarbeit im Schatten der vielen Kirchen und Klöster, Schafherde­n in der idyllische­n Berglandsc­haft, dazu von fast allen Winkeln aus der Blick auf den Ararat. Und reichlich gutes Essen.
Typisch armenische­s Panorama: Frauen bei der Handarbeit im Schatten der vielen Kirchen und Klöster, Schafherde­n in der idyllische­n Berglandsc­haft, dazu von fast allen Winkeln aus der Blick auf den Ararat. Und reichlich gutes Essen.
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 ??  ?? „Ararat“steht auch für den berühmten Kognak
„Ararat“steht auch für den berühmten Kognak

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