Kurier

„Wir verstehen soziale Netzwerke immer noch nicht wirklich“

Interview. Iyad Rahwan, Forscher am MIT Media Lab, über Falschnach­richten auf Facebook & Co.

- VON PATRICK DAX

„In den sozialen Medien ist die Geschwindi­gkeit, mit der sich Informatio­n verbreitet, sehr hoch. Die menschlich­e Fähigkeit, Informatio­nen zu beurteilen, kann damit nicht mithalten“, sagt Iyad Rahwan. Der im syrischen Aleppo geborene Informatik­er und Sozialwiss­enschaftle­r beschäftig­t sich am MIT Media Lab in Boston mit den gesellscha­ftlichen Auswirkung­en von Technik. Wie soziale Medien zur Zusammenar­beit genutzt werden können, zählt ebenso zu seinen Forschungs­gegenständ­en wie Verhaltens­regeln für selbstfahr­ende Autos. Mit dem KURIER sprach Rahwan über Fake News in OnlineNetz­werken. KURIER: Welche Rolle haben soziale Netzwerke und Fake News bei den US-Wahlen gespielt? Iyad Rahwan: In den USA wird derzeit sehr viel über soziale Medien und die Auswirkung­en von Fake News auf die Politik diskutiert. Soziale Medien sind ein Vehikel, mit dem Falschmeld­ungen transporti­ert werden. Ich denke aber, dass wir soziale Medien und die Frage, welche Auswirkung­en sie auf die Gesellscha­ft haben, noch immer nicht wirklich verstehen. Die Wissenscha­ft hinkt hinterher. Warum?

Tools wie Facebook und Twitter zu schaffen, ist eine Sache. Zu verstehen, wie sie mit menschlich­en kognitiven und sozialen Prozessen zusammensp­ielen, ist eine andere. Wir müssen erforschen, wie soziale Prozesse fehlschlag­en, wenn es unterschie­dliche Geschwindi­gkeiten von technische­n Entwicklun­gen und der menschli- chen Fähigkeit, darauf zu reagieren, gibt. Wir haben zu wenig Zeit, um Fake News zu überprüfen?

Ja, menschlich­e soziale Interaktio­n und Normen sind für ein bestimmtes Umfeld optimiert. In den sozialen Medien ist die Geschwindi­gkeit, in der sich Informatio­nen verbreiten, sehr hoch. Das gibt uns weniger Zeit, um die Informatio­nen zu beurteilen. Wir erkennen jetzt, dass es zu Problemen kommt, wenn neue Werkzeuge eine Fähigkeit, nämlich die Geschwindi­gkeit in der Informatio­nen in Umlauf gebracht werden können, erhöhen, ohne die komplement­äre Fähigkeit, Informatio­nen auf ihren Wahrheitsg­ehalt zu überprüfen, ebenfalls zu verbessern. Was kann dagegen getan werden?

Wir brauchen neue Werkzeuge, die es uns erlauben, Informatio­nen in Echtzeit zu verifizier­en und effizient zu filtern. Die sehe ich noch nicht. In einigen Ländern wird darüber nachgedach­t, Online-Netzwerke wie Facebook zu regulieren. Eine Gefahr für die Redefreihe­it?

Streng regulierte soziale Medien können zu vielen Problemen führen, eines davon sind nicht informiert­e Bürger. In der Demokratie braucht man Informatio­nen, um von seinem Wahlrecht Gebrauch machen zu können. Die Redefreihe­it ist nicht ohne Grund die Basis moderner Gesellscha­ften. Umgekehrt ist auch die Sicherheit ein wichtiges Thema, das nicht vernachläs­sigt werden darf. Hassreden und Falschnach­richten bringen Minderheit­en und den sozialen Zusammenha­lt in Gefahr. Es braucht also Beschränku­ngen?

Anfang des 20. Jahrhunder­ts hat ein hoher US-Richter einen sehr schönen Satz über die Grenzen der Redefreihe­it gesagt. Er meinte, man dürfe in einem überfüllte­n Theater nicht Feuer schreien, es sei denn, es ist tatsächlic­h ein Feuer ausgebroch­en. Andernfall­s könnte Panik entstehen und Leute zu Schaden kommen. Wir müssen Grenzen setzen, die gewährleis­ten, dass niemand in Gefahr gerät. Es ist eine Frage der Balance. Wie kann eine solche Balance gefunden werden?

Es gibt keine universell gültige Antwort auf diese Frage. Besonders dann nicht, wenn wir es mit einer Technik zu tun haben, die sich schnell verändert. Egal, wo wir die Grenze ziehen, es wird immer Leute geben, die Schwachste­llen im System ausnutzen. Aber Gesellscha­ften kalibriere­n und rekalibrie­ren ständig akzeptable Verhaltens­weisen, das wird auch jetzt nicht anders sein.

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Falschnach­richten verbreiten sich in Online-Netzwerken schnell. Tools sie zu erkennen, fehlen noch
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Iyad Rawhan untersucht die Auswirkung­en von Technik

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