„Ich frage mich all diese großen Dinge“Ein echter Fortschritt mit der brutalen Prinzessin
Kritik. Puccinis „Turandot“neu besetzt
der Welt und das allgemeine Klima der Angst auch Einfluss auf ihren Zustand gehabt haben könnten. Die Texte, sagt sie, seien trotzdem ausschließlich persönlich. Sie transportieren mit starken Worten die Verzweiflung, die sie spürte.
„Heute kann es auch nicht mehr verstehen. Aber ich war damals während des Tages allein zu Hause, habe versucht Musik zu machen und bin wie besessen in diesen Gedankenschleifen hängengeblieben. Erst als Abends mein Freund von der Arbeit kam und wir mit Freunden ausgingen, war das weg.“
Häufig kommen in den Texten Referenzen an Gott oder die christliche Religion vor. Aber das, sagt sie, sei nur eine Art Gewohnheit. Gott ist nicht die Instanz , an die sie sich in Krisen wendet. Nicht mehr. „Als Teenager war ich radikal religiös. Ich habe mein ganzes Leben danach ausgerichtet, dauernd die Bibel gelesen, eine ganze Woche lang gefastet und immer obdachlose Kinder zum Schlafen nach Hause mitgebracht. Aber mit 23 habe ich diesen Glauben verloren. Denn damals wurde mir meine ganzes Weltbild genommen, in dem alles Struktur und Sinn hatte. Man kann mit Sicherheit sagen, dass diese Platte die Leere in mir zeigt, die dieser Verlust mit sich gebracht hat.“
Warum sie ihren Glauben damals verloren hat, weiß MacNeil nicht genau. „Es begann damit, dass dauernd von der Krise der Kirche gesprochen wurde. Da habe ich begonnen, alles zu hinterfragen. Nach und nach ergab das alles keinen Sinn mehr, wirkte auf mich sogar komplett falsch. Ich wollte ein Zeichen, bat Gott um einen Beweis, dass das die Wahrheit ist. Aber sie hat bis heute nicht geantwortet.“ Manchmal versteht man künstlerische Ideen erst nach einer gewissen Weile: Falls Regisseur Marco Arturo Marelli tatsächlich schon vor der Premiere von Puccinis „Turandot“an der Wiener Staatsoper wusste, dass eine neubesetzte Serie am Faschingsdienstag beginnen würde, dann hat er gar nicht übel gehandelt (und man muss das als Kritiker anerkennen). Die inhaltlich substanzlose Kostümierung passte gut zum Tag der Faschingsgilden.
Kraftpakete
Sängerisch war die Aufführung durchaus beachtlich, mit üppigen Stimmen rechtzeitig vor Beginn der Fastenzeit. Elena Pankratova ist eine exzellente chinesische Prinzessin, die auch ohne jede Personenführung enorme Ausstrahlung besitzt und dazu großes stimmliches Volumen. Mit viel Dramatik, aber auch schönen sensiblen Momenten, mit ausreichend Durchschlagskraft und Präzision bei den Spitzentönen, mit einer klugen Gestaltung erwies sie sich als geradezu ideal für diese anspruchsvolle Partie, die bei der Premiere noch von Lise Lindstrom gesungen worden war.
Stefano La Colla ist der Calaf an ihrer Seite: Er ver- fügt über eine klare Höhe, intoniert sehr sauber, setzt aber allzu vordergründig auf Kraftausbrüche und weiß darob auch bei „Nessun dorma“nicht sonderlich zu begeistern. Anita Hartig ist weiterhin eine gute Liù, Heinz Zednik ein Altoum mit großer Bühnenpräsenz und Norbert Ernst ein famoser Pong (neben Gabriel Bermúdez als Ping und Carlos Osuna als Pang).
Auch das Dirigat ist besser als bei der Premiere, bei der Gustavo Dudamel es vor allem krachen hatte lassen. Paolo Carignani kämpfte zwar anfangs nicht immer erfolgreich mit der Koordination zwischen Chor und Orchester, fand dann jedoch (mit recht langsamen Tempi) die Balance zwischen höchster Dramatik und lyrischer Gestaltung.