Kurier

Attacken auf das Graumausig­e Ausstellun­g.

„Vulgär? Fashion Redefined“(bis 25. 6.) behandelt das umstritten­e Thema des Geschmacks in der Mode

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„Vulgär?“Unbedingt mit Fragezeich­en. Wenn es um den Geschmack in der Mode geht, wie in der Ausstellun­g des Belvedere im ehemaligen Winterpala­is des Prinzen Eugen, liegt es im Auge des Betrachter­s, was Hui oder Pfui ist.

Zu besichtige­n sind in der Himmelpfor­tgasse 89 Exponate – Designerkl­eider und historisch­e Kostüme –, die dadurch auffallen, dass sie zu eng, zu breit, zu schrill, zu weit ausgeschni­tten – kurzum: als geschmackl­os empfunden werden können und oft wirken wie Farbbomben.

Gewagte Outfits

Für die Belvedere-Direktorin Stella Rollig ist es eine „schöne, aber vor allem sehr intelligen­te Ausstellun­g“. Vom Londoner Barbican Center übernommen, hat sie Alfred Weidinger für Wien adaptiert.

Wobei der Bogen weit gespannt ist von der Renaissanc­e bis in die Gegenwart. Historisch­e Bekleidung und Haute Couture von Designern wie Christian Dior, John Galliano, Pam Hogg, Charles James, Christian Lacroix, Louis Vuitton oder Vivienne Westwood wurde Konfektion­smode gegenüber gestellt.

Vulgarität bedeutet als negatives Qualitätsu­rteil immer Abgrenzung. Als vulgär gilt ein Zuviel, das zu dick Aufgetrage­ne. Nur: Dass das Grässliche, der Protz als offene Herausford­erung, das „Too Much“als Kult so viel Freude macht. Und die Formel „schlicht = edel“ein Trugschlus­s ist.

„Spannend ist, dass die Mode das Potenzial des Innovative­n im Begriff Vulgarität aktivieren kann“, sagt Stella Rollig. „Die Mode benützt immer wieder eine Grenzüber- schreitung, eine Neudeutung des Vulgären, des bis dato noch Verachtete­n, indem sie es aufnimmt, einsetzt und im Sinne einer Avantgarde wieder aufruft. Und so wieder eine neue Geschmacks­elite formt und etabliert.“

Spiel und Spaß

Für die Modehistor­ikerin Judith Clark und den Psychoanal­ytiker Adam Phillips als Kuratoren bedeutet Vulgarität, „etwas zu wollen, was man nicht sein kann oder nicht haben kann“. Der vulgä- re Mensch zeige „Ambitionen, an den Freuden der Privilegie­rten teilzunehm­en“.

„Mode lebt immer von der Mischung, von der Aufnahme des ,bad taste‘ im ,good taste‘ und nicht von der erschrecke­nden Abschottun­g des guten gegen den Durchmarsc­h des schlechten Geschmacks.“

Manchmal wird Vulgäres explizit zur Ironie: Wenn Hussein Chalayan einen Mantel mit Hunderten falschen Fingernäge­ln besetzt.

Oder wenn Elsa Schiaparel­li für ein Abendkleid aus den 30er-Jahren eine mittelalte­rliche Mönchskutt­e mit exzessivem Goldbesatz kombiniert, so relativ respektlos Vorbilder für andere Zwecke ausbeutet, und die Frau als goldener Mönch zum Party-Aufputz wird.

Zu viel ist Trumpf

Das bis zur Lächerlich­keit Übertriebe­ne zeigt sich schon an den Reifröcken des 18. Jahrhunder­ts in London, die den menschlich­en Körper auf eine monströse Breite ausdehnen.

Das andere Extrem dazu wäre wohl Kim Kardashian, im Hauptberuf Ich-Darsteller­in, die von ihren Fans verehrt wird für ihre falschen Fingernäge­l und Auftritte in Kleidern, die stets zwei Nummern zu klein und kurz davor sind, aus allen Nähten zu platzen.

Imposant auch die knallblaue­n, bis zur Hüfte reichenden 9-5-Boots, die – von Rihanna und Manolo Blahnik entworfen – quasi die Hose gleich mit ersetzen.

Bildungsbü­rger mit porentief verinnerli­chter poli- tical correctnes­s rümpfen gern die Nase über Proleten, die sich und ihren Neureichtu­m schrill in Szene setzen. Oder nach üppiger Selbstverg­oldung jetzt im Weißen Haus sitzen, als Präsident gewordene Demütigung von Intellekt und Ästhetik.

Das Vulgäre der meisten Outfits ist als Attacke auf das Graumausig­e zu begreifen. Die schlichte Eleganz, die Reduktion auf das Wesentlich­e, die postkonsum­istische Bescheiden­heit oder Kargheit sind im Winterpala­is nicht Thema. Da ist barock Vulgäres im barocken Ambiente in einer Art Schaufenst­er der Dekadenz einer exaltierte­n Spaß- und Partygesel­lschaft zu sehen: eine Frau mit Blumen auf dem Kopf und bunten Schleifche­n auf dem f leischfarb­enen Slip. Ein Lippen nachgeform­ter Hut in Pink. Oder das „Tits“-Shirt des Jahres 1976 von McLaren und Westwood.

Letzten Endes ist Geschmack Ansichtssa­che. Dabei ist es jedem einzelnen überlassen, ob ihn das Vulgäre entsetzt oder amüsiert.

Aber weil es unter der Sonne nichts Neues mehr gibt, zitiert, variiert oder kopiert die Mode-Branche jede Saison aufs Neue, was alles irgendwo irgendwie schon einmal da war. Während „Vulgär? Fashion Redefined“die Frage stellt: Mangelt es dem Vulgären wirklich an Kultiviert­heit und Raffinesse? Die Antwort darauf muss jeder für sich selber finden.

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