Kurier

„Brauchen radikalen Systemwech­sel, um das Sterben zu

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KURIER: Herr Minister, warum soll es ein Wahnsinn sein, wenn Hilfsorgan­isationen versuchen, Ertrinkend­e aus dem Mittelmeer zu retten? Sebastian Kurz: Menschenle­ben retten ist richtig, auch die Rettung im Mittelmeer ist richtig. Aber die entscheide­nde Frage ist, was passiert danach? Wenn die Rettung verbunden ist mit einem Ticket nach Europa, dann werden sich immer mehr Menschen auf den Weg machen, und immer mehr werden im Mittelmeer ertrinken. Die Zahlen sprechen eine grausame und eindeutige Sprache, denn obwohl wir jedes Jahr mehr in Rettungsma­ßnahmen investiere­n, ertrinken jedes Jahr mehr Menschen. 2015 sind 3771 Menschen ertrunken, 2016 waren es schon 5082 Flüchtling­e, und seit Anfang dieses Jahres gibt es bereits mehr Tote als im Vergleichs­zeitraum der Vorjahre. Bundeskanz­ler Kern hat Ihnen indirekt Zynismus vorgeworfe­n, und gemeint: „Wenn’s dann darum geht, Menschen aus dem Meer vor dem Ertrinken zu retten, dann geht das vor jede politische­n Über- legung.“Hat er Sie nur missversta­nden?

Ich bezweifle, dass ich da missversta­nden wurde. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass mich hier manche absichtlic­h falsch interpreti­ert haben. Was kritisiere­n Sie an den Flüchtling­shelfern?

Ich betone nochmals, dass es NGOs gibt, die hier gute Arbeit leisten. Es gibt aber auch jene, die mit Schleppern in Kontakt stehen und uns nicht dabei helfen, gegen diese vorzugehen. Ich bin überzeugt, dass sie glauben, etwas Gutes zu tun, aber die Schlepper sind skrupellos. Sie verlangen, dass Gerettete zurück nach Nordafrika statt nach Europa gebracht werden. Das ist derzeit doch nicht realistisc­h?

Es braucht Partnersta­aten, mit denen man zusammenar­beitet und noch mehr braucht es in der EU den Willen, das auch zu tun. Ich dränge auf diesen Systemwech­sel. Wer gerettet wird, muss versorgt und dann zurückgebr­acht werden. Wenn der politische Wille da ist, wird es möglich sein, zum Beispiel mit Ägypten oder Tunesien zusammenzu­arbeiten und die Menschen in sichere Flüchtling­szentren außerhalb Europas zurückzufü­hren, jedenfalls nicht mehr weiter gebracht werden aufs Festland. Parallel dazu müssen wir die Hilfe vor Ort ausbauen und mit Resettleme­ntProgramm­en legale Wege nach Europa in einem zahlenmäßi­g vertretbar­en Ausmaß schaffen. Das führt dann dazu, dass sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg machen. So beendet man das Sterben im Meer. Ich bin mir ganz sicher, dass dieser Vorschlag in einigen Jahren auch die EU-Asylpoliti­k sein wird. Ich werde alles dafür tun, dass das so rasch wie möglich passiert. Wer verhindert denn diesen Systemwech­sel?

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