Doppeltes Spiel mit türkischen Pässen Zwei Millionen Sonder-Pässe.
Nein, eine Visa-Freiheit für türkische Staatsbürger kann es erst geben, wenn sich die Menschrechtslage in der Türkei verbessert. Das ist seit Monaten, seitdem Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan das Anti-TerrorGesetz dafür benutzt, Opposition und Kritiker zu verfolgen, der Standpunkt der EU. Dieser wir d mal mehr, mal weniger geräuschvoll von Ankara kritisiert. Die Visa-Liberalisierung ist eine der Kernforderungen Erdoğans Richtung EU, bereits seit 2013 wird darüber verhandelt.
Was bisher aber noch keine Seite thematisiert hat: Schon jetzt können rund 2,2 Millionen Türken ohne Visum in die EU einreisen. Ein eigener grüner Pass, gedacht für langgediente Staatsbedienstete, macht’s möglich. „Die Regierung vergibt diese Pässe an Beamte, ihre Familien und Günstlinge“, sagt Politik-Berater Gerald Knaus, einer der wichtigsten Architekten des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens. Angesichts von knapp 80 Millionen türkischer Staatsbürger mögen die Sonderpässe rein quantitativ nicht ins Gewicht fallen.
Politisch zunehmend heikel ist aber, dass damit letztlich die Regierung in Ankara bestimmt, wer Visa-frei in die EU reisen kann. Das strategische Dilemma der EU: „Der Druck, den die EU hier ausüben kann, ist so nicht sehr groß“, sagt Knaus. Die Visa-Liberalisierung ist längst auch Thema im Kampf um die Ja-Stimmen für das Verfassungs-Referendum am 16. April. Erdoğan wirft der EU Doppelstandards vor, weil sie zwar Serbien, Albanien und bald auch der Ukraine Visa-Freiheit gewährt, dem langjährigen ZollunionsPartner Türkei aber nicht. „Derzeit sagt die Regierung in Ankara zur eigenen Bevölkerung: Die EU will euch nicht“, so Türkei-Kenner Knaus. Die EU sei hier klar in der Defensive, zumal in der türkischen Bevölkerung der Eindruck entstehe, dass die Menschrechtsfrage von manchen europäischen Regierungen nur als Vorwand genommen werde, die VisaLiberalisierung zu verweigern. Knaus plädiert daher für eine offensivere Strategie: Visa-Liberalisierung im Abtausch für die konkrete Forderung nach einem absoluten Folterverbot. „Das ist realistisch.“Die derzeit von der EU verlangte Änderung des Anti-Terror-Gesetzes würde ohnehin nichts bringen. „Selbst wenn die Türkei das schwedische Anti-TerrorGesetz hat, gibt es immer noch genügend Mittel, die Bevölkerung unter Druck zu setzen.“
Damit würde die EU auch ein deutliches Signal Richtung türkischer Bevölkerung senden. Aktuell ist das Visa-Verfahren für türkische Staatsbürger nicht nur mühsam, sondern auch kostenintensiv. Anträge für Touristen-Visa für maximal 90 Tage pro Halbjahr können etwa für Österreich lediglich an den Konsulaten in Ankara und Istanbul gestellt werden. Entsprechend wenig wird davon Gebrauch gemacht – insgesamt 11.501 Anträge wurden 2016 gestellt, heißt es aus dem Außenamt.
Mit der Perspektive auf Visa-Freiheit würden die aktuellen Privilegien für Staatsbedienstete nichtig und der Druck in der türkischen Bevölkerung auf die Regierung, den Forderungen der EU in Sachen Folterverbot nachzugehen, wachsen, ist sich Knaus sicher. „Damit wäre etwas Konkretes erreicht, wodurch man aktuell Leid verhindert.“
Die grünen Pässe selbst, deren Privilegien seit den 1980ern von der EU akzeptiert sind, will Knaus nicht infrage stellen. In welchem riesigem Ausmaß diese Spezialpässe offenbar vergeben werden, zeigt ein Vergleich: Österreich gibt lediglich 2000 Diplomatenund 5200 sogenannte Dienstpässe aus, die ähnliche Visa-Privilegien vorsehen.