Lust aufs Landleben
DER KURIER SUCHT DIE BESTEN IDEEN DER GEMEINDEN
Wer das Landleben sucht, der wird in Bildein fündig. Die 344-Seelen-Gemeinde liegt im tiefsten Südburgenland, an drei Seiten grenzt sie an Ungarn. Der Handyempfang pendelt zwischen ungarischem und österreichischem Netz, die jüngeren Bewohner pendeln nach Graz und Wien zum Studium oder in die Arbeit. Es gibt Felder, Wiesen mit Schafen, ab und zu fährt ein Traktor vorbei.
Doch der Ort im Bezirk Güssing hat nicht nur viel Landschaft und Ruhe zu bieten. Jedes Jahr ändert sich das Bild gewaltig, wenn 3000 Besucher zum „Picture On Festival“mit internationalen Bands pilgern. Die Initiative dazu kommt aus dem Ort, denn organisiert wird das Festival vom Verein Grenzgänger, dem KuKuK (Kunst, Kultur und Kommunikation) und dem Festivalverein. Alle drei haben ihren Ursprung in der winzigen Gemeinde im Pinkatal und bieten ein kulturelles Programm, das man kaum hier erwarten würde.
Bildein ist eine jener Gemeinden, die die Redaktion für den großen KURIER-Bewerb (siehe Info unten) nominiert hat. Gesucht werden weitere Orte, die mit innovativen Projekten der Abwanderung entgegenwirken.
Der Verein KuKuK zählt knapp 230 Mitglieder. „Etwa die Hälfte hat ihren Lebensmittelpunkt im Südburgenland. Die anderen arbeiten oder studieren in Wien oder Graz“, sagt Clemens Schrammel vom Verein. Zu den Events pilgern die Weggezogenen nach Hause. Hier erwartet sie ein Nahversorger, ein Gasthaus, eine Konditorei und ein intaktes Dorfleben. „Wir haben viel für die Gemeinde erreicht“, sagt Bürgermeister Walter Temmel, ÖVP. Geholfen haben vor allem die EU-Förderungen.
Für Raumplanerin Gerlind Weber ist Bildein ein Musterbeispiel dafür, wie sich ein Ort gegen Abwanderung und Verlust des Gemeindelebens sträubt. Zwar hat Bildein seit den 60er-Jah- ren die Hälfte seiner Einwohner verloren, doch zuletzt sogar Zuzügler gewinnen können. „Das Heimatbewusstsein ist merkbar gestiegen, es werden auch mehr Häuser gebaut“, sagt Temmel.
Obwohl das Einfamilienhaus im Grünen und die Natur vor der Tür der Traum zahlreicher Österreicher sind, ist die Lage vieler Landgemeinden in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend prekär geworden. Entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs, im nördlichen Waldviertel, im Bereich der Zentralalpen und in weiten Teilen der Steiermark drohen ganze Regionen zu entvölkern. „Zwei Drittel aller Gemeinden in der Steiermark werden schrumpfen“, sagt Weber. Eisenerz etwa, hat in den vergangenen 15 Jahren 33,4 Prozent seiner Bevölkerung verloren.
Jugend geht
Es sind die Jungen zwischen 20 und 40 Jahren, die gehen. Ausbildungsplätze und Universitäten gibt es nur in den Städten. Zudem erhoffen sie sich dort bessere Berufschancen. Gehen die Jungen, fehlt auch die nächste Generation. Übrig bleiben Orte, in denen 30 Prozent der Bewohner über 65 Jahre alt sind.
Dabei möchten gar nicht alle weg und viele wollen zurückkommen. Das Band zur Heimat zerreißt nicht so leicht. „Der günstige Wohnraum mit Garten, eventuell im umgebauten Elternhaus, ist attraktiv“, sagt Weber. „Viele sagen, dass sie ihren Kindern eine ähnliche Kindheit bieten wollen, wie sie sie selbst erlebt haben.“So liegt es an den Gemeinden, die sogenannte „Schrumpfung“ abzumildern. Durch neue Ideen und Initiativen – etwa in Sachen Arbeitsplätze. „Sie müssen eine Alternative finden zur Landwirtschaft und dem Gewerbe“, mein Weber. Etwa, indem sie leerstehende Geschäftslokale anmieten für Co-Working-Spaces oder Start-up-Firmen. „Die Gemeinden erkennen noch nicht, dass sie diese Initiativen aktiv unterstützen sollten“, erklärt die Expertin. Dazu kommt, dass die Landgemeinden ihre Vorurteile gegen jene abbauen müssen, die als „Studierte“wieder zurückkehren. „Zu- und Abwanderung wird zu einer Grundschwingung der Zukunft und auch mehrere Wohnsitze sind zeitgemäß“, meint Weber.
Letztendlich ist die Unterstützung des ländlichen Raums auch eine politische Entscheidung. Infrastruktur wie Breitbandinternet in dünn besiedelten Gebieten ist teurer, Mobilität und Vereinbarkeit von Beruf und Familie vielfach eine Herausforderung. „Das kann man nicht auf betriebswirtschaftlicher Basis rechnen, sondern muss Unterschiede durch angepasste Förderungen ausgleichen. Damit es auch auf dem Land Angebote wie Post, Schule oder Bankomat in ausreichendem Maß gibt“, betont Alfred Riedl, Präsident des nö. Gemeindebundes. Maria Forstner von der Dorf- und Stadterneuerung NÖ schlägt vor, die Fachschulen dort anzusiedeln, wo es die entsprechenden Betriebe gibt, oder Universitäten aufs Land zu verlegen.
Uni hat er zwar keine geplant, aber „Visionen sind wichtig für ländliche Gemeinden wie Bildein“, sagt Bürgermeister Temmel.
„Die Abwanderungen finden bei den 20bis 40-Jährigen statt. Das ist genau die Fertilitätsphase.“Gerlind Weber Raumplanerin