Politiker als Hauptdarsteller in der Erdoğan-Propaganda
Gestern war ich im Film „Reis“(Der Führer). Als ich nach Hause ging, war ich erleichtert. Ich dachte mir: „Mit diesem Film gewinnt Erdoğan keine einzige neue Stimme, schon gar nicht von Nationalisten, die beim Referendum eine entscheidende Rolle spielen werden.“
„Reis“ist ein Propaganda- film par excellence! Erdoğan wird als Retter der Gesellschaft, als unermüdlicher Kämpfer für Gerechtigkeit, als neuer Messias dargestellt. Aber der Film ist schlecht gemacht. Er wird niemanden beeindrucken, der nicht schon bisher von „Reis“Erdoğan beeindruckt war. Mit viel Geld und Aufwand konnte dem Publikum im halb leeren Kino zwar der eine oder andere Lacher entlockt werden, aber nicht mehr. Der Film ist langatmig und langweilig, erfolgreiche Propagandafilme sehen anders aus.
Tatsächlich findet der Kampf um die Zustimmung zur neuen Verfassung auf der Straße statt. Wie jeder Demagoge „lebt“auch Erdoğan von der Polarisierung. „Er triumphiert, je erbitterter sein Kontrahent tobt. Froh, einen neuen Gegner geschaffen zu haben, erklärt er sich dann zum Opfer und vereint seine Anhängerschar um sich“, schreibt Can Dündar in der
Mit den immer hysterischer werdenden Forderungen nach Auftrittsverboten von türkischen PolitikerInnen in Europa wurde nun genau das erreicht. Chapeau! Von Holland bis Österreich haben sich europäische PolitikerInnen aller Couleur zu Hauptdarstellern in Reis Erdoğans Propagandafilm gemacht. Und wenn die VertreterInnen der europäischen Wertegemeinschaft so weitermachen, wird Herr Erdoğan, Frau Merkels türkischer Flüchtlingsbeauftragter, die Abstimmung auch sicher gewinnen. Vielleicht fällt ja einer Dumpfbacke ein, nach der Abschiebung der türkischen Familienministerin auch eine erste Verhaftung anzuordnen. Eine Schlagzeile wäre es allemal.
Stimmenfang
Natürlich ist klar, dass die Regierungen in Holland, Deutschland oder Österreich mit ihrer „Türkei-Politik“vornehmlich auf Stimmenfang in den eigenen Ländern gehen. Doch diese Politik ist kurzsichtig und dumm. Sie bedient damit nur alle anti-europäischen Ressentiments nationalistischer Euro-TürkInnen. An- statt sie durch das Vorleben von Demokratie und engagierte Diskussionen ins demokratische Boot zu holen, vertiefen sie Spaltung in Europa. Auch integrationspolitisch ist dieser Kurs fatal, weil damit weder die autochthonen noch die zugewanderten Bevölkerungsgruppen langfristig gewonnen werden. Weder wird auf diese Weise das notwendige Bekenntnis der Autochthonen zu Migration und Pluralität noch die ebenso notwendige Identifikation der Zugewanderten mit ihren Residenzländern erreicht. Was man erreicht, ist das Gegenteil von dem, was man vorgibt zu erreichen – nämlich Import innertürkischer Konflikte.
In AKP-Kreisen lacht man sich daher aufgrund der europäischen Tollpatschigkeit bereits heimlich ins Fäustchen. EU-Minister Ömer Celik gab sich bereits überzeugt, dass dank Rutte & Co. alle bisher noch unentschlossenen EuroTürkInnen mit „Ja“stimmen werden. Und die UETD Youth Austria postet auf Facebook: „Unsere Antwort zu diesen Skandalen werden wir bei der Wahlurne mit einem kräftigen JA geben“.
Wenn das so weitergeht, ist zu befürchten, dass sie recht behalten. Vielleicht ist es aber auch schon zu spät.
Doz. Dr. Mag. Barbara Pusch studierte Soziologie, Turkologie, Philosophie und Ethnologie an der Universität Wien.