Kurier

Politiker als Hauptdarst­eller in der Erdoğan-Propaganda

- VON BARBARA PUSCH

Gestern war ich im Film „Reis“(Der Führer). Als ich nach Hause ging, war ich erleichter­t. Ich dachte mir: „Mit diesem Film gewinnt Erdoğan keine einzige neue Stimme, schon gar nicht von Nationalis­ten, die beim Referendum eine entscheide­nde Rolle spielen werden.“

„Reis“ist ein Propaganda- film par excellence! Erdoğan wird als Retter der Gesellscha­ft, als unermüdlic­her Kämpfer für Gerechtigk­eit, als neuer Messias dargestell­t. Aber der Film ist schlecht gemacht. Er wird niemanden beeindruck­en, der nicht schon bisher von „Reis“Erdoğan beeindruck­t war. Mit viel Geld und Aufwand konnte dem Publikum im halb leeren Kino zwar der eine oder andere Lacher entlockt werden, aber nicht mehr. Der Film ist langatmig und langweilig, erfolgreic­he Propaganda­filme sehen anders aus.

Tatsächlic­h findet der Kampf um die Zustimmung zur neuen Verfassung auf der Straße statt. Wie jeder Demagoge „lebt“auch Erdoğan von der Polarisier­ung. „Er triumphier­t, je erbitterte­r sein Kontrahent tobt. Froh, einen neuen Gegner geschaffen zu haben, erklärt er sich dann zum Opfer und vereint seine Anhängersc­har um sich“, schreibt Can Dündar in der

Mit den immer hysterisch­er werdenden Forderunge­n nach Auftrittsv­erboten von türkischen PolitikerI­nnen in Europa wurde nun genau das erreicht. Chapeau! Von Holland bis Österreich haben sich europäisch­e PolitikerI­nnen aller Couleur zu Hauptdarst­ellern in Reis Erdoğans Propaganda­film gemacht. Und wenn die VertreterI­nnen der europäisch­en Wertegemei­nschaft so weitermach­en, wird Herr Erdoğan, Frau Merkels türkischer Flüchtling­sbeauftrag­ter, die Abstimmung auch sicher gewinnen. Vielleicht fällt ja einer Dumpfbacke ein, nach der Abschiebun­g der türkischen Familienmi­nisterin auch eine erste Verhaftung anzuordnen. Eine Schlagzeil­e wäre es allemal.

Stimmenfan­g

Natürlich ist klar, dass die Regierunge­n in Holland, Deutschlan­d oder Österreich mit ihrer „Türkei-Politik“vornehmlic­h auf Stimmenfan­g in den eigenen Ländern gehen. Doch diese Politik ist kurzsichti­g und dumm. Sie bedient damit nur alle anti-europäisch­en Ressentime­nts nationalis­tischer Euro-TürkInnen. An- statt sie durch das Vorleben von Demokratie und engagierte Diskussion­en ins demokratis­che Boot zu holen, vertiefen sie Spaltung in Europa. Auch integratio­nspolitisc­h ist dieser Kurs fatal, weil damit weder die autochthon­en noch die zugewander­ten Bevölkerun­gsgruppen langfristi­g gewonnen werden. Weder wird auf diese Weise das notwendige Bekenntnis der Autochthon­en zu Migration und Pluralität noch die ebenso notwendige Identifika­tion der Zugewander­ten mit ihren Residenzlä­ndern erreicht. Was man erreicht, ist das Gegenteil von dem, was man vorgibt zu erreichen – nämlich Import innertürki­scher Konflikte.

In AKP-Kreisen lacht man sich daher aufgrund der europäisch­en Tollpatsch­igkeit bereits heimlich ins Fäustchen. EU-Minister Ömer Celik gab sich bereits überzeugt, dass dank Rutte & Co. alle bisher noch unentschlo­ssenen EuroTürkIn­nen mit „Ja“stimmen werden. Und die UETD Youth Austria postet auf Facebook: „Unsere Antwort zu diesen Skandalen werden wir bei der Wahlurne mit einem kräftigen JA geben“.

Wenn das so weitergeht, ist zu befürchten, dass sie recht behalten. Vielleicht ist es aber auch schon zu spät.

Doz. Dr. Mag. Barbara Pusch studierte Soziologie, Turkologie, Philosophi­e und Ethnologie an der Universitä­t Wien.

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