Little Britain
Heute übergibt London sein EU-Austrittsgesuch, die Schotten drängen auf Unabhängigkeit, der beinharte Streit über Geld und Beziehungen beginnt.
Sicht der Briten. Der KURIER traf in London und Wien die Mitglieder des britischen Verhandlungsteams, bekam einen Einblick in deren von langer Hand vorbereitete Strategie für das Tauziehen um Geld, zukünftige Beziehungen und das Schicksal der 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien, darunter 25.000 Österreicher. Eine Analyse der Taktik.
Feind heißt EU-Kommission: Brüssel, damit rechnet man in London fix, sei entschlossen, den Brexit möglichst schmerzhaft und teuer zu machen. Die EU-Institutionen hätten kein Interesse an weiteren engen Beziehungen zu Großbritannien. Sie wollen lediglich, das Großbritannien alle offenen Rechnungen begleicht. Die derzeit inoffiziell eingeforderte Summe: 60 Milliarden Euro. Für London völlig inakzeptabel. Suche nach Verbündeten:
Die einzelnen EU-Mitglieder dagegen haben sehr wohl Interesse, an weiteren engen Beziehungen mit Großbritannien, wirtschaftlich, aber etwa auch militärisch. Auch österreichische Firmen wollen ihre Investments auf der Insel und natürlich auch den Zugang zum europäischen Markt für ihre Produkte sichern. London versucht schon jetzt, jene EUStaaten direkt anzusprechen, von denen man sich Unterstützung bei den Verhandlungen erwartet. Dabei setzt man vor allem auf Deutschland, aber auch Österreich, oder die Niederlande. Die EU, so versichert man auch in Wien, werde sich nicht auseinanderdividieren lassen, doch die Interessen klaffen oft stark auseinander. Trennung nur mit Neustart:
Die EU-Spitze will zuerst einmal den Austritt der Briten abwickeln. Erst wenn der in allen Details festgelegt, alle weiter bestehenden Verpflichtungen und Zahlungen garantiert sind, wenn also die Scheidung perfekt ist, will man über die Beziehungen danach reden. London dagegen will gleichzeitig über Trennung und Neustart verhandeln. Man befürchtet, dass internationale Investoren durch den vertragslosen Zustand verunsichert werden könnten. Außerdem will man die zukünftigen Verpflichtungen nur dann eingehen, wenn auch schon festgelegt ist, wie eng die Beziehungen – vor allem die wirtschaftlichen – zur EU sind. Zahlen ja, alte Rechnungen nein:
In den ersten Gesprächen mit EU-Vertretern, auch etwa gegenüber Österreichs Außenminister Kurz, hat die Regierung in London offiziell erklärt, dass man nicht daran denke, größere Summen nach dem Austritt an Brüssel zu bezahlen. Solche Pläne, so meinte etwa Außenminister Boris Johnson bestenfalls „als Scherz“zu betrachten. Doch das ist Verhandlungs- taktik. Hinter den Kulissen machen die Verhandler deutlich, dass man sehr wohl bereit sei, Zahlungen an die EU auch nach dem Austritt zu leisten. Die Regierung in London steht unter großem Druck, vor allem der Medien, nachdem man vor der BrexitVolksabstimmung versprochen hat, die Zahlungen an Brüssel einzustellen.
Also dürfen Gelder, die in die EU-Kasse f ließen offiziell nur für zukunftsorientierte Projekte verwendet werden, also etwa Zusammenarbeit bei wissenschaftlichen oder technischen Projekten. Im britischen Budget sind die erwarteten Zahlungen bereits einkalkuliert. Kein Poker um EU-Bürger:
Könnten die 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien Faustpfand für die Verhandlungen werden? Könnte London also versuchen, ihre Aufenthaltsberechtigungen auf der Insel nur im Austausch für freien Zugang zum EU-Markt zu garantieren? Offiziell will man diesen Trumpf nicht vorschnell aus der Hand geben, doch die Verhandler machen deutlich, dass man sich auf dieses Spiel nicht einlassen will. Man will eben auch die rund eine Million Briten, die derzeit in der EU leben, schützen. Die inoffizielle Linie, EU-Bürger, die bereits in Großbritannien leben, können problemlos bleiben.