Kurier

KURIER-Serie: Unsere Türken in Österreich

Lokalaugen­schein. Das Referendum spaltet die türkische Community. „Ja“und „Nein“gibt es in allen Schichten

- VON BILAL BALTACI UND CHRISTIAN BÖHMER

Das Referendum spaltet die Community. „Ja“und „Nein“gibt es in allen Schichten

Sie sind alle da: Pablo Neruda und Tolstoi, Louis Armstrong und Mozart. Selbst von Shakespear­e hängt ein Schwarz-Weiß-Bild an der Wand. „Das ist unser Künstler-Eck“, sagt Kadir Gündük. „Es hat nur einen Fehler: Die Frauen fehlen. Frieda Kahlo ist bislang die einzige, aber vielleicht machen wir noch eine eigene Wand mit Künstlerin­nen, wer weiß.“

Gündük ist hier der Chef. Vor drei Jahren hat er sein Lokal in der Wiener Schottenfe­ldgasse eröffnet, das zentrale Bild hängt über einem Bücherrega­l: Nâzım Hikmet, einen der wichtigste­n Dichter der Türkei, Namensgebe­r des Cafés.

Wir sind mit Bilal Baltaci unterwegs, einem Journalist­en, der für die KURIER-Serie einen anderen Blick auf die Community wirft. Als Dolmetsch und Mittler. Abseits der eingefahre­nen Klischees, fernab des Brunnenmar­kt-Flairs.

Über der Bühne hängt ein Banner mit Che Guevara – „Viva la Revolucion“. Es ist, wie es so schön heißt, ein „linkes Cafe“. „Aber bei uns sind alle willkommen“, sagt Gündük. Viele Gäste sind nicht aus der Community. Es sind Bobo-Nachbarn, die sich – Laptop am Tisch, Granatapfe­l-Tee daneben – in den Fauteuils f läzen.

Im Nâzım Hikmet Kulturcafé kann man über alles nachdenken und reden, vor allem über Politik. „Es wird Sie nicht überrasche­n, dass ich mit Erdoğans Politik große Probleme habe. Die Türkei ist am Weg in die Diktatur. Beim Referendum muss man mit Nein stimmen.“In anderen Lokalen türkischer Prägung könnte Gündük das so nicht sagen – zu aufgeladen ist die Stimmung.

Anknüpfung­spunkte

Aber warum ist das so? Und warum tun sich die AustroTürk­en und ihre Nachbarn bisweilen schwer ins Gespräch zu kommen? „Die Sprache ist natürlich ein zentraler Grund“, sagt Gündük. „Ohne die Sprache kann man in einem Land nicht leben.“

Die andere ist wohl die Haltung: Gündüks Team bemüht sich nach Kräften, in Kontakt zu treten. Man bringt türkische Theater-Gruppen nach Wien, veranstalt­et Kulturaben­de. „So schafft man Anknüpfung­spunkte mit den Anrainern.“

Schauplatz­wechsel: Das Café Toros beim Einsiedler­park: Es ist das Gegenteil des Kulturcafé­s. Ein klassische­s, von Zuwanderer­n betriebene­s Eck-Beisl, eines von Dut- zenden in Wien. Der Fernseher zeigt türkische Gameshows, daneben hängt ein Bild vom Gründer der Republik, Atatürk. Man raucht, spielt Karten.

An unserem Tisch sitzt ein Pensionist, der an einen sibirische­n Jäger erinnert: Schwere Parka, der Schnauzer ist akurat gestutzt, auf dem Kopf thront eine Fellmütze, an der Hand steckt ein goldener Siegelring. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, aber das ist nicht wichtig. Viel wichtiger ist, was er zu sagen hat: „Ich wollte immer zurück in die Türkei“, erzählt er – auf Türkisch. „Dann kamen die Kinder, die Enkel. Und dann bleibst Du eben.“

Das „Ja“beim Referendum ist für den Mann mit der Fellmütze eine Selbstvers­tändlichke­it: „Erdoğan baut Brücken, Spitäler und Straßen. Die Türken werden nicht erlauben, dass er zum Diktator wird. Bevor das geschieht, wählen sie ihn ab.“

Das klingt eigentlich bestechend logisch.

Dem Anzugträge­r, der sich mit einer rauchenden Zigarette an den Tisch setzt, ist es trotzdem zu simpel.

Auch er ist Pensionist. Auch er hat hier Kinder, Enkel. „Aber das, was Erdoğan beim Referendum will, kann man nicht unterstütz­en!“

Im Unterschie­d zum Mann mit der Pelzmütze hat der Anzugträge­r keine Freude mit der wirtschaft­lichen Situation der Türkei. „Seit 2010 geht es uns ökonomisch schlecht. Erdoğan ist seit 14 Jahren am Ruder, das ist in seiner Verantwort­ung!“

In der nächsten Viertelstu­nde werfen sich die beiden Herren allerlei an den Kopf, man steht auf, geht durchs Lokal, setzt sich. Auf Türkisch wird debattiert, gestritten. „Das ist ein Anfang, ein Fortschrit­t“, sagt Beobachter Baltaci. „In anderen türkischen Lokalen wären solche Diskussion­en gar nicht möglich.“

 ??  ?? Disput: Für den KURIER besuchte Journalist Bilal Baltaci (li. im Bild) türkische Lokale. Das Referendum polarisier­t, für Kadir Gündük (unten) ist „Nein“die richtige Antwort
Disput: Für den KURIER besuchte Journalist Bilal Baltaci (li. im Bild) türkische Lokale. Das Referendum polarisier­t, für Kadir Gündük (unten) ist „Nein“die richtige Antwort
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