KURIER-Serie: Unsere Türken in Österreich
Lokalaugenschein. Das Referendum spaltet die türkische Community. „Ja“und „Nein“gibt es in allen Schichten
Das Referendum spaltet die Community. „Ja“und „Nein“gibt es in allen Schichten
Sie sind alle da: Pablo Neruda und Tolstoi, Louis Armstrong und Mozart. Selbst von Shakespeare hängt ein Schwarz-Weiß-Bild an der Wand. „Das ist unser Künstler-Eck“, sagt Kadir Gündük. „Es hat nur einen Fehler: Die Frauen fehlen. Frieda Kahlo ist bislang die einzige, aber vielleicht machen wir noch eine eigene Wand mit Künstlerinnen, wer weiß.“
Gündük ist hier der Chef. Vor drei Jahren hat er sein Lokal in der Wiener Schottenfeldgasse eröffnet, das zentrale Bild hängt über einem Bücherregal: Nâzım Hikmet, einen der wichtigsten Dichter der Türkei, Namensgeber des Cafés.
Wir sind mit Bilal Baltaci unterwegs, einem Journalisten, der für die KURIER-Serie einen anderen Blick auf die Community wirft. Als Dolmetsch und Mittler. Abseits der eingefahrenen Klischees, fernab des Brunnenmarkt-Flairs.
Über der Bühne hängt ein Banner mit Che Guevara – „Viva la Revolucion“. Es ist, wie es so schön heißt, ein „linkes Cafe“. „Aber bei uns sind alle willkommen“, sagt Gündük. Viele Gäste sind nicht aus der Community. Es sind Bobo-Nachbarn, die sich – Laptop am Tisch, Granatapfel-Tee daneben – in den Fauteuils f läzen.
Im Nâzım Hikmet Kulturcafé kann man über alles nachdenken und reden, vor allem über Politik. „Es wird Sie nicht überraschen, dass ich mit Erdoğans Politik große Probleme habe. Die Türkei ist am Weg in die Diktatur. Beim Referendum muss man mit Nein stimmen.“In anderen Lokalen türkischer Prägung könnte Gündük das so nicht sagen – zu aufgeladen ist die Stimmung.
Anknüpfungspunkte
Aber warum ist das so? Und warum tun sich die AustroTürken und ihre Nachbarn bisweilen schwer ins Gespräch zu kommen? „Die Sprache ist natürlich ein zentraler Grund“, sagt Gündük. „Ohne die Sprache kann man in einem Land nicht leben.“
Die andere ist wohl die Haltung: Gündüks Team bemüht sich nach Kräften, in Kontakt zu treten. Man bringt türkische Theater-Gruppen nach Wien, veranstaltet Kulturabende. „So schafft man Anknüpfungspunkte mit den Anrainern.“
Schauplatzwechsel: Das Café Toros beim Einsiedlerpark: Es ist das Gegenteil des Kulturcafés. Ein klassisches, von Zuwanderern betriebenes Eck-Beisl, eines von Dut- zenden in Wien. Der Fernseher zeigt türkische Gameshows, daneben hängt ein Bild vom Gründer der Republik, Atatürk. Man raucht, spielt Karten.
An unserem Tisch sitzt ein Pensionist, der an einen sibirischen Jäger erinnert: Schwere Parka, der Schnauzer ist akurat gestutzt, auf dem Kopf thront eine Fellmütze, an der Hand steckt ein goldener Siegelring. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, aber das ist nicht wichtig. Viel wichtiger ist, was er zu sagen hat: „Ich wollte immer zurück in die Türkei“, erzählt er – auf Türkisch. „Dann kamen die Kinder, die Enkel. Und dann bleibst Du eben.“
Das „Ja“beim Referendum ist für den Mann mit der Fellmütze eine Selbstverständlichkeit: „Erdoğan baut Brücken, Spitäler und Straßen. Die Türken werden nicht erlauben, dass er zum Diktator wird. Bevor das geschieht, wählen sie ihn ab.“
Das klingt eigentlich bestechend logisch.
Dem Anzugträger, der sich mit einer rauchenden Zigarette an den Tisch setzt, ist es trotzdem zu simpel.
Auch er ist Pensionist. Auch er hat hier Kinder, Enkel. „Aber das, was Erdoğan beim Referendum will, kann man nicht unterstützen!“
Im Unterschied zum Mann mit der Pelzmütze hat der Anzugträger keine Freude mit der wirtschaftlichen Situation der Türkei. „Seit 2010 geht es uns ökonomisch schlecht. Erdoğan ist seit 14 Jahren am Ruder, das ist in seiner Verantwortung!“
In der nächsten Viertelstunde werfen sich die beiden Herren allerlei an den Kopf, man steht auf, geht durchs Lokal, setzt sich. Auf Türkisch wird debattiert, gestritten. „Das ist ein Anfang, ein Fortschritt“, sagt Beobachter Baltaci. „In anderen türkischen Lokalen wären solche Diskussionen gar nicht möglich.“