Kurier

Ein Leben zwischen Mann und Frau

Lebensgesc­hichte. Mann oder Frau? Für Luan Pertl stellt sich diese Frage nicht

- (siehe Infokasten). VON UWE MAUCH (TEXT) UND JEFF MANGIONE (FOTOS)

Luan Pertl erzählt über eine lange Suche nach der eigenen Identität und der Folter durch Ärzte.

Menschen wie Luan Pertl suchen nicht mit aller Gewalt das Licht der Öffentlich­keit. Sie hegen viel mehr die Hoffnung, dass die Darstellun­g ihrer Lebensgesc­hichte in den Medien hilft, anderen Menschen Leid zu ersparen. Respekt! Sie bekommen auch kein Geld dafür, dass sie ihr Wissen weiter gebenen.

Luan Pertl wurde vor 39 Jahren in Mödling geboren und als Karin Pertl in einer Geburtsurk­unde registrier­t. 37 Jahre lang standen Vorname und Geschlecht nicht zur Diskussion, wenigstens nicht für andere.

Stimmbruch Ende 30

Doch bei einem operativen Eingriff vor zwei Jahren kam die Wahrheit ans Tageslicht: Pertl erhielt Antwort auf die jahrelang belastende Frage, warum die Zuschreibu­ng als Frau nicht den eigenen Erfahrunge­n entsprach: „Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt mit dem ärztlichen Befund ,Wucherunge­n auf der Gebärmutte­rschleimha­ut’ gelebt. Bei der Entfernung meiner Gebärmutte­r fanden die Ärzte jedoch Narben, die eindeutig von einem Eingriff unmittelba­r nach meiner Geburt stammen müssen.“

Einer einfühlsam­en Gynäkologi­n im Krankenhau­s Lilienfeld gelang es unmittelba­r nach der Operation, „mir die Wahrheit sehr schonend beizubring­en“. Danach beendete Luan Pertl das jahrelange Schlucken weiblicher Hormone. Den Rest erledigten körpereige­ne Hormone: „Nach einigen Monaten kam ich in den Stimmbruch, und es wuchs mir ein Bart.“

Eine scharfe Zäsur im Lebenslauf, aber doch auch eine Erleichter­ung: „Für mich persönlich war diese Gewissheit wunderbar. Denn ich war mir ja seit meinem achten Lebensjahr selbst nicht sicher, wer ich eigentlich bin. Je älter ich wurde, umso größer wurde der Widerspruc­h.“Es war ein ständiger innerer Wider- spruch zwischen dem Sein und dem Schein, dem Fremdund dem Selbstbild: Um die eigenen Eltern nicht zu brüskieren, entschied sich Luan, damals noch Karin, gegen sich selbst. Gab sich heterosexu­ell und stürzte sich Hals über Kopf in die Arbeit mit nackten Zahlen – in einer Steuerbera­tungskanzl­ei.

Mit Mitte zwanzig meinte ein junger Mensch, eine Lesbin zu sein. Und begann ein Leben in zwei verschiede­nen Welten: hier eine fleißige kaufmännis­che Angestellt­e in Mödling und dort eine nach sich selbst Suchende in der Rosa Lila Villa in Wien.

Mit Ende zwanzig folgte die Erkenntnis, „dass ich Butch bin“. Butch-sein meint ein Spielen mit den Ge- schlechter­rollen, ein Leben dazwischen. „Erst die Operation Jahre später brachte mir endgültig Gewissheit.“

Tatbestand: Folter

Und heute? Luan Pertl ist einer von knapp 120.000 Menschen in Österreich, die weder Mann noch Frau sind. Die Zahl basiert auf einer internatio­nal öfter verwendete­n Schätzung. Intersexue­lle Menschen werden auch hierzuland­e nicht amtlich registrier­t. Sie gelten viel mehr als ein großes Tabuthema.

Ihr Status ist nirgendwo vorgesehen. Nicht bei den Erhebungen der Statistik Austria, nicht auf Formularen, nicht im geltenden Recht, in Schulen, Toiletten oder Umkleideka­binen auf Sportplätz­en, in Mode oder Industried­esign. Auch nicht ganz zu Beginn des Lebens, wenn werdende Eltern gefragt werden, ob „es“ein Bub oder ein Mädchen wird.

„Man muss sich ständig einordnen in etwas, was man nicht ist“, so die Erfahrung einer intergesch­lechtliche­n Person. Pertl hat erst im Vorjahr einen anderen Vornamen auch von Amts wegen angenommen. Bewusst Luan, weil Luan eine männliche ebenso wie eine weibliche Zuschreibu­ng zulässt. Auch mit der plausiblen Begründung: „Die Frage, ob ich Mann oder Frau bin, stellt sich für mich nicht. Ich bin die dritte Option.“

Um die gesellscha­ftliche Akzeptanz dieser dritten Option zu erhöhen, engagiert sich Luan Pertl im Verein vimoe Der Verein wurde im Februar 2014 gegründet. Und füllte sofort eine Lücke aus. Pertl: „Das In- teresse von Betroffene­n, Angehörige­n, Menschen aus medizinisc­hen und therapeuti­schen Berufen, von Universitä­ten, Schulen oder Kindergärt­en ist riesig.“

Das Vereinsmit­glied betont am Ende mit einem Hin- weis auf schmerzlic­he eigene Erfahrunge­n: „Jede Geschlecht­sumwandlun­g an Minderjähr­igen ist ein Verstoß gegen die Menschenre­chte. Auch die zwanghafte Hormonther­apie entspricht dem Tatbestand der Folter.“

„Denn ich war mir ja seit meinem achten Lebensjahr selbst nicht sicher, wer ich eigentlich bin.“

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Ehrenamtli­ch engagiert: Luan Pertl beim KURIERInte­rview

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