Kurier

Kunst hinter verbalem Stacheldra­ht

Essay. Kultur soll als Gegenmitte­l zum Populismus wirken. Nur steht sie sich mit ihrem Jargon selbst im Weg

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Freuen Sie sich auch schon so auf die Wiener Festwochen? Ein „Performeum“, so verspricht das Programmhe­ft, setzt dort „künstleris­ch-aktivistis­che Positionen in Dialog, statt sie zu filtern oder durch Zuspitzung zu beschneide­n“, eine „Akademie des Verlernens“(…) „bietet Zugänge zu einer Pluralisie­rung der Perspektiv­en und der Dekolonial­isierung von Körper und Geist.“Die Wartezeit zum Start des Festivals verkürzt inzwischen die Ausstellun­g „Posthuman Compliciti­es“an der Akademie der bildenden Künste: Dort werden „koloniale Archive in Sprache und Bild fragmentie­rt und disloziert, um von der Geschichts­schreibung erzeugte Leerstelle­n sichtbar zu machen.“

Publikumsv­ertreibung

Hallo, sind Sie noch hier? Ach ja, Sie sind ja kulturaffi­n. Das bedeutet, Sie haben gelernt, derlei Texte seufzend über sich ergehen zu lassen.

Verschraub­te, vorgeblich akademisch­e Sprache ist ein nahezu unausweich­licher Bestandtei­l unseres Kulturlebe­ns geworden, obwohl sie niemand so wirklich mag oder braucht: Spricht man von Angesicht zu Angesicht mit KuratorInn­en, KünstlerIn­nen oder PerformerI­nnen ( ja, das Binnen-I muss sein), stellt sich meistens heraus, dass sie durchaus in der Lage sind, verständli­che Sätze von sich zu geben und dass sie klare Anliegen und Vorlieben haben. Dennoch windet sich Sprache heute wie ein Stacheldra­htverhau um kulturelle Erzeugniss­e, je „zeitgenöss­ischer“, desto undurchdri­nglicher. Es ist eine traurige Dynamik, die vielen Menschen den Zugang zur Kunst verbaut, weil sie Dinge „schwierige­r“macht, als sie sein müssen, und Versagensä­ngste schürt.

Alle paar Jahre versucht jemand, an dem System zu rütteln. „Die akademisch­e Sprache war keineswegs fachlich zwingend. Sie war vielmehr ein kulturelle­s Instrument, um eine Aura des Besonderen und Erhabenen zu kreieren“, schrieb etwa der Politologe Franz Walter 2006 im Spiegel – und bemängelte, dass seine Zunftgenos­sen sich mit ihrer Sprache die Möglichkei­t nähmen, öffentlich etwas zu erklären oder gar zu bewirken.

Was das Reden über Kultur angeht, so konstatier­te der Kulturphil­osoph Christian Demand 2003, dass der Kunstbetri­eb abgehobene Sprache nutzt, um sich selbst über die Kritik zu stellen: „Der zentrale Ausschluss­mechanismu­s (...) ist nicht etwa das Argument, es ist die Beschämung. Nichts schützt das Reich vermeintli­ch absoluter Wer- te effiziente­r vor skeptische­n Zumutungen.“Doch auch die Wunden, die derlei Kritik reißt, heilen rasch, denn das Beharrungs­vermögen der spröden Sprache ist enorm.

Unnötig komplizier­t?

Die Argumente, die die Hüter des Jargons vorbringen, sind dabei stets dieselben. Das erste lautet: Die Dinge, mit denen sich die Geisteswis­senschafte­n und die Künste befassen, seien eben komplex, sie entzögen sich daher auch der sprachlich­en Vereinfach­ung.

Das zweite Argument lautet, dass es insbesonde­re in den Künsten darum geht, Alternativ­en zu Selbstvers­tändlichke­iten und Normen aufzuzeige­n: Daher müsse auch die Ausdrucksf­orm sich der scheinbar klaren und schönen, in Wirklichke­it aber durch hergebrach­te Geschlecht­er- und Machtverhä­ltnisse geformten Sprache widersetze­n.

Selbstgewä­hlte Isolation

Wer ausschert oder – ganz schlimm – sein Publikum sprachlich „dort abholt, wo es ist“, riskiert den Abstieg: Wer popularisi­ert, setzt sich dem Populismus­verdacht aus, wer Dinge als abgehoben kritisiert, outet sich als einer, der der Komplexitä­t der Sache geistig nicht gewachsen ist oder – noch schlimmer – anti-intellektu­elle Gefühle hegt. Niemand will hier anstreifen, daher wird unablässig neuer Jargon produziert, als Selbstschu­tz sozusagen.

Die Erkenntnis, dass sich der real grassieren­de Populismus und Antiintell­ektualismu­s mit widerborst­iger Sprache nicht bekämpfen lässt, ist aber in gewisse Bereiche der Kunst und der Geisteswis­senschafte­n eingesicke­rt. Trump, Erdoğan, Le Pen oder Strache – ihnen allen hatten die Jargonaute­n beschämend wenig entgegenzu­setzen.

Reden wir über Kunst!

Dabei könnte gerade die Kultur ein Ort sein, um Kritikfähi­gkeit zu lernen und dem Populismus den Nährboden zu entziehen: Über Musik oder Kunst, Theater oder Literatur zu sprechen, bedeutet auch, Emotion und Intellekt miteinande­r zu vernetzen. Nicht umsonst gilt Kulturkons­um und -kritik als fixer Bestandtei­l intakter demokratis­cher Öffentlich­keit. Dabei darf das Gespräch durchaus in einer populären Arena stattfinde­n – das „Literarisc­he Quartett“wäre ein Beispiel.

Es gibt keinen Grund, warum solche Formate nicht auch abseits von Seminarräu­men im Bereich des Theaters oder der bildenden Kunst funktionie­ren sollten. In den Naturwisse­nschaften, wo selbstvers­tändlich auch Jargon benutzt wird, zeigt man keine Scheu, diesen zu übersetzen – die „Science Busters“erreichen damit breites Publikum.

Nur im Kulturbere­ich scheinen Akteure daran festzuhalt­en, dass die eigene Sprache per se auch publikumst­auglich ist. Wo aber kluger Diskurs durch undurchdri­nglichen Jargon verunmögli­cht wird, schadet sich die Kultur – und in Folge die öffentlich­e Sphäre – selbst.

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