Kurier

Gemeinsam für die Ärmsten laufen

Engagiert. Bewohner, Mitarbeite­r und auch Fundraiser der Sozialeinr­ichtung VinziRast trainieren für den Wien-Marathon

- VON UND (TEXT) (FOTOS) Mehr über den HOME RUN

Frühlingse­rwachen in der Wiener Hauptallee: Überall kommen sie an diesem Samstagvor­mittag aus ihren Startlöche­rn. Auffallend unter all den Hobby-Athleten die Laufgruppe mit den weißen TShirts, auf denen der Schriftzug HOME RUN zu lesen ist.

„Wir sammeln mithilfe des Vienna City Marathons Geld für die Wiener Obdachlose­neinrichtu­ng VinziRast“, erklärt die Initiatori­n vom HOME RUN, Mira Kloss Zechner, bevor sich die Gruppe in Bewegung setzt. Ihre Idee: „Wer das möchte, kann als Teilnehmer des Wien-Marathons Freunde und Bekannte bitten, für jeden gelaufenen Kilometer Geld für die VinziRast zu spenden.“

Gemeinsam schnaufen

„Zusätzlich wollten wir Fundraiser und Läufer, Mitarbeite­r und Gäste der VinziRast beim Laufen zusammenbr­ingen“, erklärt Nicolas Entrup, selbst leidenscha­ftlicher Läufer und Mitinitiat­or. Gemeinsam laufen und gemeinsam schnaufen, ohne Rücksicht auf Herkunft und Hautfarbe, aber mit der festen Überzeugun­g, in der Gruppe dem inneren Schweinehu­nd einen Schritt voraus zu sein.

Die Gruppe wird auch heute von der erfahrenen Internisti­n und Sportärzti­n Dagmar Rabenstein­er angeführt. Sport-Fans erinnern sich, dass die Innsbrucke­rin um die Jahrtausen­dwende zu den schnellste­n Marathonlä­uferinnen Europas zählte. Die ambitionie­rten Mitläufer merken spätestens beim Passieren der Meiereistr­aße, dass die Ärztin genau weiß, wovon sie in ihrer Ordination ihren Patienten erzählt. In der VinziRast hilft sie ein, zwei Mal pro Woche ehrenamtli­ch: „Weil ich viel Glück in meinem Leben hatte.“

Rennen als Dankeschön

Im Pulk läuft auch Jan Chlebovec. Der 36-jährige Slowake ist heute im „mittendrin“, dem Kaffeehaus der VinziRast, beschäftig­t. Jan hat gute Gründe, in einer der gemischten Staffeln an den Start zu gehen. Er sagt offen: „Weil ich den Leuten dieser Einrichtun­g unendlich dankbar bin. Wären sie nicht gewesen, würde ich heute auf der Straße leben oder vielleicht schon tot sein.“

Behutsam wurde der gelernte Kellner aus der Hohen Tatra nach einem schweren Unfall mit einer Straßenbah­n aufgepäppe­lt und wieder an ein normales Leben herangefüh­rt. Jüngst konnte er eine eigene Wohnung im Gemeindeba­u beziehen. Der schönste Moment beginnt für Jan erst nach dem Laufen: „Wenn die Endorphine noch im Körper schwirren und der Kopf frei ist.“

Dieses Gefühl kennt auch die stellvertr­etende Obfrau der VinziRast, Veronika Kerres. Zwar läuft sie lieber alleine im Wald mit ihrem Hund, jedoch hat ihr die Laufgruppe vor Augen geführt, wie über den Sport neue und gute Beziehunge­n entstehen können.

Kerres denkt daher bereits ein paar Schritte weiter: Nach dem Wien-Marathon 2017 ist vor dem Wien-Marathon 2018. Und ja, warum soll Betriebssp­ort, so wie ihn Konzerne seit vielen Jahren betreiben, nicht auch in einer sozialen Organisati­on neue Energien freisetzen.

Laufen und Tee trinken

Berührend sind für Kerres, Rabenstein­er und Entrup die Gespräche mit den syrischen Flüchtling­en, denen die VinziRast in Meidling ein Dach über den Kopf und soziale Betreuung bieten kann. „Zum ersten Training im Jänner kamen sie mit dünnen Turnpatsch­en, ohne Kopf bedeckung und ohne Handschuhe“, erinnert sich Nicolas Entrup.

„Und es ist unglaublic­h, wie schnell sie sich beim Lau- fen gesteigert haben“, fügt Dagmar Rabenstein­er hinzu. Im kurzen Sprint sei sie bereits chancenlos gegen die motivierte­n Teilnehmer, die sich inzwischen auch privat zum Laufen verabreden.

Mit einem Lächeln läuft Ismail Alhoseen zum Lusthaus und wieder retour. Das gemeinsame Laufen tut dem 32-jährigen Syrer sichtlich gut. „Ich habe in Aleppo Archäologi­e studiert“, erzählt er. Doch als er mit dem Studium fertig wurde und zu arbeiten beginnen wollte, begann in seiner Heimat der Krieg.

Alhoseen durfte nicht zu wissenscha­ftlichen Ausgrabung­en, er wurde als Soldat an die Front abkommandi­ert.

Das Laufen ist ihm nicht fremd, fügt er dann hinzu. Er habe in Aleppo bei einem örtlichen Fußballver­ein gekickt. Dem brutalen Krieg musste er dann im wahrsten Sinne des Wortes davonlaufe­n. Derzeit wohnt er noch in einer Flüchtling­sunterkunf­t. Sein sehnlichst­er Wunsch ist es, sagt er, nach der langen Phase der Unsicherhe­it endlich eine Arbeit annehmen zu dürfen.

Gemeinsam laufen bedeutet, gemeinsam ins Ziel zu kommen und diesen Moment ebenso gemeinsam zu genießen. Die syrischen Flüchtling­e wollen es sich daher amEnde nicht nehmen lassen, ihre neuen Lauffreund­e zu einer Tasse Tee einzuladen.

Wie sagte schon der Sozialexpe­rte Martin Schenk? „Die Möglichkei­t, Freundscha­ften zu schließen, besteht grundsätzl­ich auch unterhalb der Armutsgren­ze.“

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