Kurier

„Yücel wird zu einem politische­n Projekt gemacht“

Einzelhaft. Deutsche Diplomaten durften erstmals zu dem inhaftiert­em Journalist­en – sie schlagen plötzlich rauere Töne an

- – EVELYN PETERNEL, BERLIN

„Wir treten hier nicht als Bittstelle­r auf “, sagt Michael Roth in Istanbul. Klar, hier steht nicht der Außenminis­ter oder gar die Kanzlerin, sondern nur der Staatsmini­ster des Auswärtige­n Amtes, aber dass ein deutscher Politiker innerhalb der Türkei so eindeutige Worte wählt, ist doch neu: Am Dienstag durften deutsche Diplomaten erstmals Deniz Yücel im Gefängnis besuchen – und mit diesem Treffen änderte sich auch das deutsche Auftreten.

Seit sieben Wochen sitzt der 43-jährige Journalist der deutschen nun schon in Haft, fünf davon in Einzelhaft im berüchtigt­en Istanbuler Komplex Silivri, dem „Inter- nierungsla­ger für ErdoğanGeg­ner“, wie der regimekrit­ische Journalist Can Dündar die Anstalt einmal beschrieb. Ebenso lange hat sich die deutsche Politik in Zurückhalt­ung geübt: Man hat auf allen diplomatis­chen Kanälen versucht, Ankara versöhnlic­h zu stimmen, um Zugang zu Yücel zu bekommen. Allein, die Angriffe von türkischer Seite wurden nicht weniger – und Zugang erhielt man erst recht keinen.

Warum sich Ankara nun doch erweichen ließ, darüber kann man rätseln – als sicher darf aber gelten, dass die Deutschen den Druck erhöht haben. Ihre Position ist gestärkt, seit bekannt wurde, dass der türkische Geheimdien­st Erdoğan-Kritiker in Deutschlan­d bespitzelt; das war auch Roth anzumerken. Natürlich sei man „dankbar“für den Zugang zu Yücel, sagte er; doch das könne „nicht der Abschluss sein“. Man gehe davon aus, dass die Konsultati­on durch Diplomaten nun ständig erlaubt werde.

Widersprüc­he

Auch daraus, wie Berlin die Vorwürfe gegen Yücel bewertet, machte er kein Hehl mehr. „Er wird zu einem politische­n Projekt gemacht“, sagte Roth; er nahm sogar Erdoğan selbst in die Pflicht: Wenn er Yücel in Reden vorwerfe, zugleich deutscher Spitzel, PKK- und Gülen-Anhänger zu sein, würde sich das ja widersprec­hen. Druckmitte­l, um auf weitere Willkür zu reagieren, hätte man schließlic­h genug. Roth erinnerte daran, dass Deutschlan­d „der wichtigste Handelspar­tner der Türken“sei; eine nette Umschreibu­ng für einen drohenden Investitio­nsstopp.

Die neue Gangart ist wohl der Erkenntnis geschuldet, dass eine Freilassun­g mit Milde nicht zu erreichen ist – zuletzt schien niemand in Berlin überzeugt, dass Yücel bald freikommen könnte; selbst nach dem Referendum nicht. Der Gefangene selbst, dem es „den Umständen entspreche­nd gut geht“, wie das Auswärtige Amt nach dem zweistündi­gen Gespräch mitteilte, wolle sich nicht unterkrieg­en lassen. Das bekräftigt­e auch seine Schwester, die ihn auch besuchen durfte. „Er ist nicht deprimiert, er lässt sich nicht einschücht­ern. Und er bereut auch nicht, was er geschriebe­n hat“, sagte sie der

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