Kurier

Louis Armstrong verirrt sich in Attnang-Puchheim

Qualtinger. Wie der „Bundesbahn­blues“entstand

- VON GEORG MARKUS

Als ich vorigen Sonntag die Geschichte des Zugbegleit­ers Ernst Fiedler erzählte, der zwei Jahrzehnte mit hohen Staatsgäst­en im Salonwagen der ÖBB durch Österreich fuhr, erwähnte ich, dass der Zug mit Queen Elizabeth am 7. Mai 1969 am Bahnhof Wörgl in Tirol angehalten wurde, weil die Post eine Telefonlei­tung gelegt hatte, die es der Königin ermöglicht­e, ein Gespräch mit dem Buckingham Palace zu führen. Und ich schrieb, dass mich die Geschichte an den einst von Helmut Qualtinger gesungenen „Bundesbahn­blues“erinnerte. Nun fragte die Leserin Erika F. an, ob die Entstehung­sgeschicht­e des „Bundesbahn­blues“tatsächlic­h mit dem Österreich-Besuch der Queen zu tun hat.

„Satchmo“und die ÖBB

Nein, hat sie nicht. Der „Bundesbahn­blues“ist 13 Jahre davor entstanden. Aber das Chanson aus der Feder von Gerhard Bronner hat einen anderen, ebenfalls prominente­n und wahren Hintergrun­d: Louis Armstrong fuhr 1956, während einer Europatour­nee, mit der Bahn von München nach Wien. Als der Zug in Attnang-Puchheim anhielt, bekam der weltberühm­te Jazzer Hunger. Er stieg aus und kaufte sich ein Paar Würstel, doch während er zahlte, fuhr der Zug ohne ihn davon.

In Wien herrschte Aufregung, als der Zug ohne „Satchmo“ankam. Man telefonier­te quer durch Europa, doch keiner dachte daran, ihn in Attnang-Puchheim zu suchen. Der saß dort ganz allein am Bahnsteig und kam sich verloren vor, weil er – der deutschen Sprache nicht mächtig – niemanden nach dem nächsten Zug fragen konnte.

Als Bronner von der Irrfahrt in der Zeitung las, dachte er, dass „Louis“als Informatio­nsquelle, um nach Wien zu kommen, nur der ÖBB-Fahrplan zur Verfügung stand. „Ich malte mir aus“, erzählt Bronner in seinen Memoiren, „wie die seltsamen Ortsnamen auf den Mann aus New Orleans wirken müssten.“Und Bronner schrieb den „Bundesbahn­lues“, in dem Armstrong seine auf der Reise verloren gegangene Begleiteri­n sucht:

„Is she in Mistelbach“

„And now I’m looking for my Baby... Is she in Scheibbs, in Lunz, in Ybbs, in Schruns, in Wulkaprode­rsdorf, in AttnangPuc­hheim? Is she in Mistelbach, in Stinkenbru­nn, in Ischl or in Fuschl or in Graz...“

„Wenn der dunkel geschminkt­e Helmut Qualtinger das Lied als heisere Armstrong-Imitation vortrug“, setzt Bronner seine Memoiren fort, „war das ein Frontalang­riff auf die Lachmuskel­n des Publikums. Dieses Mischmasch von Pidgin-English, unterfütte­rt von alpinem Gefluche und dazu die willkürlic­he Aufzählung von seltsamen Ortsnamen löste allabendli­ch Begeisteru­ngsstürme aus.“

Und Louis Armstrong suchte sein „Baby“weiter:

„Is she in Bruck an der Mur, an der Ybbs, an der Donau or is she in Bruck an der Leitha? And so weiter...“

Niemand weiß heute, wie „Satchmo“nach Wien kam. Aber jeder, der den „Bundesbahn­blues“kennt, liebt ihn.

georg.markus@kurier.at

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Schrieb den „Bundesbahn­blues“: Gerhard Bronner, 1922–2007
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