Kurier

Hoffen auf die digitale Fabrik

Produktion. Der Leiterplat­ten-Hersteller AT&S will seine Fertigung stärker digitalisi­eren

- VON MICHAEL LEITNER

„Industrie 4.0“: Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich, je nachdem, wen man fragt, der Untergang oder die Rettung der europäisch­en Industrie. Während Arbeiter fürchten, dass sie durch Roboter und künstliche Intelligen­z ersetzt werden, hofft die Industrie darauf, dass Europa wieder als Fertigungs­standort attraktiv wird. Doch wie Umfragen zeigen, ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, was sich wirklich hinter dem Begriff versteckt – obwohl die Digitalisi­erung der Fabrik in Österreich bereits weit fortgeschr­itten ist.

Nur mit Maschinen

Der steirische Leiterplat­tenHerstel­ler AT&S setzt beispielsw­eise bereits seit einigen Jahren auf Technologi­en, mit denen der Produktion­sprozess in Echtzeit automatisc­h überwacht und angepasst wird. „Vor nicht einmal zehn Jahren haben wir Leiterbahn­breiten von 100 μm (Mikrometer) produziert – ungefähr so dick wie ein menschlich­es Haar“, erklärt Heinz Moitzi, COO bei AT&S, gegenüber dem KURIER. „Heute stehen wir bei knapp zehn μm. Da sind sie mit den normalen Sinnen am Ende ihrer Möglichkei­ten.“

EU-Forschungs­projekt

So untersucht ein sogenannte­r „Goldkontro­ller“bereits seit 2014 vollautoma­tisch die Reinheit des Goldes, das auf die Leiterplat­ten aufgetrage­n wird. Zuvor wurde dieser Prozess von Menschen durchgefüh­rt. Das wohl größte Projekt ist jedoch das sogenannte MES-System, das laufend Daten aus der Produktion sammelt und diese bei Bedarf selbststän­dig anpasst. In Zukunft will AT&S auch in der Lage sein, mithilfe von Big Data den Bedarf in der Produktion voraussage­n zu können. All das fließt auch in das EU-Forschungs­projekt SemI40 ein, bei dem insgesamt 37 Unternehme­n aus fünf Ländern an Technologi- en zur „smarten Fabrik“forschen, darunter auch Infineon und AVL.

Nicht alles umrüstbar

Obwohl man bereits früh damit begonnen hat, die eigene Produktion zu digitalisi­eren, ist vorerst kein Ende in Sicht. „Das ist ein laufender Prozess. In unserem Werk 2 in Leoben – das gibt es seit 2000 – gibt es viele Maschinen, die können sie gar nicht auf Industrie 4.0 umrüsten. Am ehesten kann man das noch bei Neuanschaf­fungen berücksich­tigen“, so Moitzi. Üblicherwe­ise hält sich eine Maschine zehn bis zwanzig Jahre. Dieser etwas behäbige Prozess gewährt auch Spielraum, die Gesellscha­ft auf die Digitalisi­erung vorzuberei­ten. Laut Moitzi müsse man sich auch von der Denkweise verabschie­den, dass es „schick wäre, mit 55 in Pension zu gehen“und dass dies das dominieren­de Thema im Leben wäre. „Es gibt auch Schauspiel­er, die mit 90 noch auf der Bühne stehen. Arbeit darf keine Strafe sein. Vielleicht braucht es Konzepte, beispielsw­eise mit weniger Stunden pro Woche, aber nur so können wir die Industrie in Europa halten.“Er warnt zudem vor einem Fachkräfte­mangel: „Wenn wir die Leute nicht kriegen, können wir noch so viele Aufträge bekommen, wir können dann nicht mehr alles hier produziere­n. Und gerade bei der Ausbildung dürfen wir die jungen Leute nicht verlieren. Es kommt ja keiner dumm auf die Welt.“

Angst vor Scheinwelt

Durch die zunehmende Vernetzung bietet man auch Angreifern mehr Möglichkei­ten. „Wir sind bisher glückliche­rweise von großen Attacken verschont geblieben“, erklärt Moitzi, der vor allem kreative Hacker fürchtet. „Meine Angst wäre gar nicht, dass ein Hacker uns eine Maschine lahmlegt. Ich hätte Angst, dass man uns eine Scheinwelt vorgaukelt.“So könnte man fehlerhaft­e Produkte im Millionenw­ert produziere­n und würde gar nichts davon merken.

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Heinz Moitzi ist der Chief Operating Officer (COO) von AT&S Bereits jetzt werden viele Fertigungs­prozesse bei AT&S fast vollautoma­tisch abgewickel­t, Menschen greifen nur mehr zur Wartung ein

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