Hoffen auf die digitale Fabrik
Produktion. Der Leiterplatten-Hersteller AT&S will seine Fertigung stärker digitalisieren
„Industrie 4.0“: Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich, je nachdem, wen man fragt, der Untergang oder die Rettung der europäischen Industrie. Während Arbeiter fürchten, dass sie durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt werden, hofft die Industrie darauf, dass Europa wieder als Fertigungsstandort attraktiv wird. Doch wie Umfragen zeigen, ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, was sich wirklich hinter dem Begriff versteckt – obwohl die Digitalisierung der Fabrik in Österreich bereits weit fortgeschritten ist.
Nur mit Maschinen
Der steirische LeiterplattenHersteller AT&S setzt beispielsweise bereits seit einigen Jahren auf Technologien, mit denen der Produktionsprozess in Echtzeit automatisch überwacht und angepasst wird. „Vor nicht einmal zehn Jahren haben wir Leiterbahnbreiten von 100 μm (Mikrometer) produziert – ungefähr so dick wie ein menschliches Haar“, erklärt Heinz Moitzi, COO bei AT&S, gegenüber dem KURIER. „Heute stehen wir bei knapp zehn μm. Da sind sie mit den normalen Sinnen am Ende ihrer Möglichkeiten.“
EU-Forschungsprojekt
So untersucht ein sogenannter „Goldkontroller“bereits seit 2014 vollautomatisch die Reinheit des Goldes, das auf die Leiterplatten aufgetragen wird. Zuvor wurde dieser Prozess von Menschen durchgeführt. Das wohl größte Projekt ist jedoch das sogenannte MES-System, das laufend Daten aus der Produktion sammelt und diese bei Bedarf selbstständig anpasst. In Zukunft will AT&S auch in der Lage sein, mithilfe von Big Data den Bedarf in der Produktion voraussagen zu können. All das fließt auch in das EU-Forschungsprojekt SemI40 ein, bei dem insgesamt 37 Unternehmen aus fünf Ländern an Technologi- en zur „smarten Fabrik“forschen, darunter auch Infineon und AVL.
Nicht alles umrüstbar
Obwohl man bereits früh damit begonnen hat, die eigene Produktion zu digitalisieren, ist vorerst kein Ende in Sicht. „Das ist ein laufender Prozess. In unserem Werk 2 in Leoben – das gibt es seit 2000 – gibt es viele Maschinen, die können sie gar nicht auf Industrie 4.0 umrüsten. Am ehesten kann man das noch bei Neuanschaffungen berücksichtigen“, so Moitzi. Üblicherweise hält sich eine Maschine zehn bis zwanzig Jahre. Dieser etwas behäbige Prozess gewährt auch Spielraum, die Gesellschaft auf die Digitalisierung vorzubereiten. Laut Moitzi müsse man sich auch von der Denkweise verabschieden, dass es „schick wäre, mit 55 in Pension zu gehen“und dass dies das dominierende Thema im Leben wäre. „Es gibt auch Schauspieler, die mit 90 noch auf der Bühne stehen. Arbeit darf keine Strafe sein. Vielleicht braucht es Konzepte, beispielsweise mit weniger Stunden pro Woche, aber nur so können wir die Industrie in Europa halten.“Er warnt zudem vor einem Fachkräftemangel: „Wenn wir die Leute nicht kriegen, können wir noch so viele Aufträge bekommen, wir können dann nicht mehr alles hier produzieren. Und gerade bei der Ausbildung dürfen wir die jungen Leute nicht verlieren. Es kommt ja keiner dumm auf die Welt.“
Angst vor Scheinwelt
Durch die zunehmende Vernetzung bietet man auch Angreifern mehr Möglichkeiten. „Wir sind bisher glücklicherweise von großen Attacken verschont geblieben“, erklärt Moitzi, der vor allem kreative Hacker fürchtet. „Meine Angst wäre gar nicht, dass ein Hacker uns eine Maschine lahmlegt. Ich hätte Angst, dass man uns eine Scheinwelt vorgaukelt.“So könnte man fehlerhafte Produkte im Millionenwert produzieren und würde gar nichts davon merken.