Kurier

Goodbye Österreich

Auswandere­r. Sie träumten von Abenteuern, Gold & Glück – Salzburger Historiker sammeln ihre Geschichte­n

- VON SANDRA LUMETSBERG­ER

Endlich hat der „verfluchte Kasten“den Hafen von Quebec erreicht, schreibt Hans Haugeneder am 1. Oktober 1951 in sein Tagebuch. Nach zwei Wochen auf hoher See, schlechtem Schlaf und Magen, hat er wieder festen Boden unter den Füßen. Bereits als Kind träumte er vom Westen Nordamerik­as, vom Holzfäller­leben, Bergbau und Goldschürf­en. Nun ist er 25 Jahre, hat ein Welthandel-Diplom in der Tasche und keine Verpflicht­ungen.

Der gebürtige Salzburger war damals nicht der Einzige, den es nach Übersee zog. Zu Beginn der Fünfzigerj­ahre wanderten viele aus dem Nachkriegs­österreich ab.

Was sie motivierte, weiß Historiker Andreas Praher. Gemeinsam mit zwei Kolleginne­n erforscht er an der Universitä­t Salzburg die Geschichte österreich­ischer Auswandere­r und sammelt persönlich­e Schriftstü­cke, die digitalisi­ert und in einem Archiv öffentlich zugänglich gemacht werden. „In den 1930er-Jahren verließen Menschen das Land, auf der Suche nach Arbeit oder weil sie verfolgt wurden. Ab den 50ern taten es viele aus Abenteuerl­ust und wirtschaft­lichen Gründen.“

Fachkräfte gesucht

Ihre Chancen standen gut. Große Holz- und Industrieu­nternehmen aus Nord- und Südamerika warben in Europa um Fachkräfte und inserierte­n in Zeitungen, berichtet Praher. Davon hörte auch der junge Haugeneder. Als hätte er einen Einberufun­gsbefehl bekommen, schrieb er in sein Tagebuch: „So stehen wir nun zu dritt – Gigly, Ferry und ich – offiziell bereit, die Kapazität der kanadische­n Wirtschaft erweitern zu hoffen – als Holzfäller.“Bis 1965 verließen 1,5 Millionen Menschen Europa Richtung Kanada. Per Schiff ging es von Bremerhave­n Richtung Frankreich oder von Genua nach Spanien. Nach einem Zwischenst­opp setzten sie von dort über nach New York, Buenos Aires, Quebec oder Australien.

Für den 25-jährigen Haugeneder ging es bis an die kanadische Ostküste. Von dort nahm er einen Zug in den Westen. Seine ersten Dollars verdienten er und seine zwei Freunde mit dem Verkauf von Milch und Sandwiches an Auswandere­r, die in Vancouver ankamen. Die erste Anstellung erhielt der Salzburger dann doch als Holzfäller – bei der „Pioneer Timber Group“auf Vancouver Island.

Was er dort erlebte, vertraute er seinem Tagebuch an. Notizen wie diese und Briefe sind wichtige Zeugnisse der Migrations­geschichte, sagt Historiker Praher. Sie schildern sprachlich­e Barrieren, die Einsamkeit, mit der die neu Angekommen­en zu kämpfen hatten. Und zeigen auch, wie sie Netzwerke aufbauten oder Gemeinscha­ften aufsuchten. Seit den 1920er-Jahren gibt es eine Burgenland-Community in Chicago, die damals aus fast 8000 Familien bestand. Aus dem Süden des Bundesland­es wanderten besonders viele ab, sagt Praher. Bis zu 15.000 Österreich­er gingen zwischen 1920 und 1923 in die USA. Der Historiker und seine Kolleginne­n wollen künftig mit den Communitie­s Kontakt aufnehmen. Und hoffen auf historisch­e Zeugnisse der Auswandere­r.

Einige davon fand er auch in Südamerika. Im „Hotel de Inmigrante­s“in Buenos Aires, wo früher ankommende Einwandere­r aus Eu- ropa erstversor­gt und registrier­t wurden, befindet sich heute ein Museum. Dort recherchie­rte er die Namen und Daten österreich­ischer Auswandere­r. Von 1900 bis 1910 verließen 38.000 Menschen die Monarchie und zogen nach Argentinie­n.

Neues Land, neue Liebe

Viele Jahre später wagte dies Gerti Dolezal, geboren in Oberösterr­eich. 1952 beschloss sie mit ihrem Mann und den vier Kindern, in Buenos Aires ein neues Leben zu beginnen. Die Auswanderu­ng sollte vieles verändern. Auch die Ehe der Dolezals. Gerti ließ sich früh scheiden und heiratete einen Italiener, mit dem sie wieder eine Familie gründete. Davon erzählte sie Ziehmutter und Tanten in vielen Briefen, allerdings mit langen Unterbrech­ungen.

Das sei typisch, sagt Praher. Am Anfang gab es viel zu erzählen: vom ersten Kühlschran­k oder Auto bis zu anderen Produkten, die es noch nicht in Europa gab. Weniger gern schrieben sie über Misserfolg­e, wobei Frauen noch eher von familiären Problemen erzählten. Im hohen Alter besannen sich viele ihrer Wurzeln und suchten wieder Kontakt – oft verbunden mit einem Besuch.

Auch Hans Haugeneder, der nicht als Goldschürf­er reich wurde, aber als Postangest­ellter in Ontario einen beständige­n Job fand, kontaktier­te Verwandte in Salzburg. Er lud seinen Neffen ein, ihn zu besuchen. Und vermachte ihm den größten Schatz: Briefe, Fotos und sein Tagebuch.

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PRIVAT/UNIVERSITÄ­T SALZBURG Hans Haugeneder wanderte 1951 mit zwei Freunden nach Kanada aus. Er schiffte in Bremerhave­n ein und fuhr mit der MS Nelly nach Quebec. Rechts unten: Haugender bei der Erzsuche im kanadische­n Busch
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G R U B Z L A S T Ä I S R E V I N U / T A V I R P
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Karin Schulze mit einheimisc­hen Kindern in Brasilien, 1950er-Jahre. Ihre Eltern lebten dort für zwei Jahre, kehrten dann wieder zurück
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Gerti Dolezel wanderte 1952 aus Oberösterr­eich mit ihrem Mann Georg und ihren vier Kindern nach Argentinie­n aus

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