Er liebt Österreich, hasst Erdoğan
Uni. Einst Student in Leoben, glaubt Güntekin Köksal an Atatürks Türkei
Wenn Güntekin Köksal auf Österreich zu sprechen kommt, bekommt er leuchtende Augen. „Ich habe dort so viele nette und höfliche Menschen kennengelernt. Und auch meine erste Frau.“Es ist zwar schon lange her, dass er zwischen 1953 und 1960 auf der Montanuni in Leoben Bergbau und Erdölwesen studiert hat, aber die Liebe zur Alpenrepublik verblasste nie. Mit dem Basiswissen aus seiner Studentenzeit gründete er 1974 in der Türkei das Petro-Unternehmen Pet Holding, dessen Vorsitzender der 86-Jährige bis heute ist. Und zugleich auch ein scharfer Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
„Er tut, was er will, ob es erlaubt ist oder nicht. Was er meint, was gut ist, das zieht er durch“, sagt der noch sehr agile Mittachtziger und ärgert sich, weil er selbst die Dinge oft ganz anders sieht. Als alter Kemalist in der Tra- dition von Staatsgründer Atatürk ist er gegen die Entmachtung des Parlaments, worüber beim Referendum am 16. April abgestimmt wird Man könne doch nicht die ganze Macht einer Person geben. Die Türkei versuche immerhin schon seit fast einem Jahrhundert, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. Das werde auch so bleiben, meint Köksal, die Nein-Stimmen würden überwiegen. Was ihn so sicher macht? „Vor 141 Jahren wollte der damalige Sultan auch schon das Parlament schließen. Er ist daran gescheitert“, erläutert der Firmen-Patriarch, der den Reporter dann zum FamilienStammbaum führt. Seinen Ausgang nimmt dieser bei einem gewissen Ökuz Mehmet Pasa (1557–1619), der zu seiner Zeit – Regierungschef war.
Angst, dass ihn wegen seiner offenen Worte der Bannstrahl Erdoğans treffen könn- te, hat der rüstige Mann nicht. Und seine Tochter Zeynep Köksal Yaykiran, die als Juniorchefin des Unternehmens gerade die Zügel in die Hand nimmt, ebenfalls nicht: „Wir sollten uns vor dem Präsidenten doch nicht fürchten müssen. Er sollte ja das Staatsoberhaupt für alle Türken sein.“Dann schränkt sie aber ein, dass die Meinungsfreiheit fragil sei und Erdoğan seine Gegner gerne als Verräter bezeichnen würde, was „Nonsens“sei.
In seinem Eifer, Dinge, die seiner Ansicht nach in der Türkei falsch liefen, zu benennen, versucht die 36-Jährige, ihren Vater immer wieder einzubremsen, um zu verhindern, dass er sich vielleicht allzu sehr in die Nesseln setzt. Bereits vor neun Jahren hatte dieser dem damaligen Premier Erdoğan einen bitteren Brief geschrieben, in dem er ihm einen autoritären Kurs vorwarf und die Spaltung des Landes. Antwort habe er leider nie erhalten.
In einem sind sich Vater und Tochter aber einig: Sie stehen zur laizistischen Republik, wie sie Atatürk entworfen hat – das ist sogar auf der Homepage ihre Unternehmens verankert. „Denn dieses Konzept bedeutet Meinungsfreiheit, Demokratie, Freiheit, Menschen- und Kinderrechte, Gerechtigkeit“, betont die Vize-Vorsitzende.
All das habe er auch in Österreich kennengelernt, sagt Güntekin Köksal, deswegen komme er immer wieder gerne in seine „zweite Heimat“.