Liebeserklärung an eine Institution
Schweizerhaus. Seit 1920 Familienbetrieb, vermittelt die Prater-Legende Wiener Lebensgefühl
Woran erkennt der Wiener, dass der Frühling da ist? Daran, dass das Schweizerhaus wieder offen hat! Es hat Jahre gegeben, da waren Eröffnung und Frühlingsblüte weit entfernt. Doch die Tradition, am 15. März aufzusperren, die lässt sich die Betreiber-Familie Karl Kolarik nicht nehmen, egal, was das Wet- ter sagt. Im Schweizerhaus wird seit mehr als zwei Jahrhunderten Wirtshauskultur und damit ein Stück Wiener Lebensgefühl gepflegt. Profil- Journalist Herbert Lackner hat der Gasthaus-Legende eine Liebeserklärung gemacht: Im Bildband „Die Geschichte einer Wiener Institution“(erhältlich im Schweizerhaus) beschreibt er die Anfänge der Gastlichkeit unter den Kastanienbäumen.
Wiener Kongress
Das erste richtige Lokal an dieser Stelle wurde 1780 unter dem Namen „Zur Tabakspfeife“eröffnet. 1814 wurde es zu Ehren des Zaren, der während des Wiener Kongresses in der Stadt weilte, umbenannt. Kaum war der Monarch abgereist, war auch der Name „Zum russischen Kaiser“Geschichte: Von nun an hieß das Gasthaus, das man von der Hauptallee her betrat, „Schweizer Meierei“. Damals eine Nobelgegend, wo Beethoven und später auch Brahms verkehrten. 1840 errichtete der spätere Staatsopernarchitekt Eduard van der Nüll an dieser Stelle ein Ausschank-Gebäude im Stil eines Schweizerhauses, einer damals beliebten Architekturform. Das Haus blieb Künstlerlokal: Hier verkehrten Grillparzer, später Schnitzler, von Hofmannsthal oder Felix Salten, die das Gasthaus zum Schauplatz ihrer Romane oder Briefe machten: An die Schauspielerin Ade-
le Sandrock, mit der er ein turbulentes Verhältnis pflegte, schrieb Schnitzler
1893: „Gestern, mein Schatz, waren wir im Prater (...) Haben wahnsinnig gedraht, sind nämlich im Schweizerhaus gesessen, haben Backhendln mit Gurkensalat und Salami gegessen (...) Nun ist ein schöner Morgen da, und ich habe natürlich ein bisschen Kopfweh – es scheint, ich bin diesen Orgien nicht gewachsen.“
So prominent die Gäste, so turbulent die Besitzverhältnisse: Von 1870 an, als ein Original namens „Fiaker-Milli“das Gasthaus erwerben wollte, bis zur heutigen Betreiberfamilie brauchte es etliche Eigentümerwechsel. Um 1900 verkehrte der aus Böhmen stammende Fleischhauer Johann Kolařik gerne hier und nach dem Tod des Besitzers bemühte er sich um das unter den Nachwehen des I. Weltkrieges leidende Wirtshaus. Der darniederliegende Prater und auch das Schweizerhaus waren von den Folgen des Krieges wirtschaftlich schwer betroffen, große Teile der Bevölkerung Wiens waren verarmt, und das Schweizerhaus lag über ein Jahr „brach“, weil kaum jemand an die Zukunft des Praters glaubte.
Praterlegende
Mit erst 19 Jahren wurde Johanns Sohn Karl Chef – und blieb es 73 Jahre lang. Er und seine Frau Else widmeten der Praterlegende ihr Leben und bauten das im II. Weltkrieg zerstörte Gast- haus zunächst mit einem ausrangierten RiesenradWaggon neu auf. Sie pflanzten Kastanien- und Nussbäume und verlegten den Eingang. Heute gelangt man durch das Tor an der Straße des 1.Mai, vorbei an der Schauküche, über knirschenden Kies in den schattigen Garten.
Die wichtigsten gastronomische Weichen hatte Kolarik da bereits gelegt: Wurde im Schweizerhaus zunächst Pilsner ausgeschenkt, wird das Bier seit 1926 aus Budweis geliefert. Die Entscheidung für das dunkelgelbe Budweiser Budvar Lagerbier soll Karl bei einer Reise mit seinem Vater getroffen haben, wo die beiden je acht Krügel lang ihre Wahl prüften.