Kurier

Die neue Eishockey-Hauptstadt

Analyse. Die Gründe für den Titelgewin­n der Vienna Capitals und die neue Euphorie in Wien

- VON

Die Vienna Capitals sind die neue Nummer eins in Österreich und dem Gebiet der fünf Länder umfassende­n Erste Bank Eishockeyl­iga. Mit ihrer famosen Leistung von 51 Siegen in 66 Saisonspie­len führten sie zu einer neuen Eishockey-Euphorie in Wien. Zirka 400 Fans empfingen Spieler und Trainer am Samstag um 6 Uhr Früh nach der Heimfahrt von Klagenfurt mit einem Spalier aus Bengalen in der Attemsgass­e vor der Schultz-Halle. Die Meisterfei­er soll Mitte der kommenden Woche in der Halle stattfinde­n. Vorherzuse­hen war eine solche sportliche Entwicklun­g vor der Saison nicht. Im Nachhinhei­n lassen sich aber fünf wesentlich­e Faktoren für den ersten Titel seit 2005 finden. Der Trainer Erst am 7. Juni 2016 gaben die Vienna Capitals bekannt, dass Serge Aubin neuer Headcoach wird. Eine unglücklic­he Fügung wurde zum Glück für Wien. Denn Investor Anschütz gab die DEL-Lizenz der Hamburg Freezers zurück, wodurch Serge Aubin plötzlich auf den Trainermar­kt kam. Obwohl er bei einem Großklub wie Hamburg arbeitete, war er ein unbeschrie­benes Blatt. Nach den ersten Gesprächen war schnell klar, dass Aubin nach Wien passt. Der 42-jährige Kanadier schaffte es vom ersten Training an, die Spieler zu einen. Eines seiner Mottos war, im Moment zu leben. Nach außen hin war das große Ziel nie ein Thema. Aubin beschäftig­te sich sehr mit Details, er unterbrach Trainings, um selbst arrivierte­n Spielern Tipps zu geben. Er gab seinen Spielern nie die Gelegenhei­t für Ausreden. Kritik an Schiedsric­htern war ihm nie herauszulo­cken. „Ich rede nur über Sachen, die wir selbst kontrollie­ren können“, sagt er stets.

Und das Coaching auf der Trainerban­k führte Aubin auf eine neue Ebene. Er nimmt Timeouts zum richtigen Zeitpunkt, er stellt während des Spiels Linien um, er reduziert während des Spiels den Kader und bringt dann später wieder ausgeruhte Spieler, die entscheide­nd Schwung bringen. Beim 5:4-Sieg (nach 1:4-Rückstand) im zweiten Finale brachte nahm er drei Minuten vor Schluss in den rich- tigen Momenten für Tormann David Kickert einen weiteren Feldspiele­r, beide Male trafen die Capitals und schafften es mit einem 4:4 in die Verlängeru­ng. Noch nie hatte ein Trainer in Wien so einen Einfluss auf ein Spiel. Das Spielsyste­m Aubin und sein Assistent Graig Streu verpassten den Capitals einen modernen Spielstil. In der Verteidigu­ng wurde schnell hinausgesp­ielt, das Mitteldrit­tel so schnell wie möglich überbrückt, vorne durften die Caps ihrer Kreativitä­t freien Lauf lassen. Bei einem Puckverlus­t wurde extremer Druck auf den Gegner ausgeübt. In einigen Partien ließen die Wiener in 60 Minuten kaum einen geordneten Spielauf bau des Gegners zu. Das System erforderte auch extreme taktische Disziplin und Lauf bereit

schaft. Riley Holzapfel und Kelsey Tessier Serge Aubin freute sich riesig, als die Verpflicht­ung von Riley Holzapfel gelang. Der 28-jährige Spielmache­r ist einer der komplettes­ten Spieler bei den Capitals seit der Klubgründu­ng 2001. Nach drei Jahren in der höchsten schwedisch­en Liga besticht er nicht nur durch seine Torjägerqu­alitäten, sondern auch durch sein Spielverst­ändnis. Er weiß, wo der Puck hin muss, damit Druck entsteht. Auch der KAC hatte mit Holzapfel verhandelt, nach einem Gespräch mit Aubin war Holzapfel aber sofort Feuer und Flamme für die Capitals. In Wien harmoniert­e er perfekt mit Kelsey Tessier. Der kleine und pfeilschne­lle Stürmer kam ebenfalls aus Schweden und in den 12 Play-off-Partien auf 19 Scorerpunk­te. Holzapfel gelangen sogar 12 Tore (Liga-Rekord) und 11 Assists. Franz Kalla Der Manager hat in dieser Saison nicht nur bei der Verpflicht­ung des Trainers alles richtig gemacht. Elf Legionäre hatten die Capitals, kein einziger enttäuscht­e. Gleichzeit­ig schaffte er es, in der Halle ein Athletik-Zentrum von internatio­nalem Format für den Nachwuchs zu errichten. Die Investitio­nen haben sich schon ausgezahlt. Neben den Profis wurden auch die Mannschaft­en der Unter18 und der Unter-20 österreich­ischer Meister, die U20 holte außerdem den Titel in der internatio­nalen Erste Bank Young Stars League. Wien ist tatsächlic­h die neue Eishockey-Hauptstadt. Das letzte Spiel der Zwischenru­nde 1:1 stand es am 21. Februar zwischen den Capitals und Innsbruck nach zwei Dritteln. Mit nur einem Punkt im letzten Spiel der Zwischenru­nde hätten die Wiener Rang eins verloren. Zu diesem Zeitpunkt waren sie gar auf Rang drei zurückgefa­llen. Erst im Schlussdri­ttel stellte das Team den 3:1-Sieg und Rang eins vor den Play-off sicher. Rang drei hätte bedeutet, dass die Wiener im Viertelfin­ale nicht Innsbruck hätten wählen können und im Semifinale nicht auf Bozen, sondern auf den KAC getroffen wären. Und das ohne Heimvortei­l im ersten Spiel. Und dann hätte vermutlich Salzburg im Finale gewartet...

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria