Kurier

Am Nerv der Zeit ganz brav vorbei

Kritik. Lessings Klassiker „Nathan der Weise“als bemühtes Plädoyer für mehr Toleranz am Wiener Volkstheat­er

- VON PETER JAROLIN

Wie aktuell könnte das sein! Terroriste­n, die unter dem Deckmantel der Religion unschuldig­e Menschen in den Tod reißen. Giftgasein­sätze und Bombardeme­nts, die ebenfalls oft im Namen des „Glaubens“geführt werden. Kaum ein Stück trifft den Nerv der Zeit wohl besser, als Gotthold Ephraim Lessings Jahrhunder­t-Klassiker „Nathan der Weise“. Ein in Blankverse­n geführtes Plädoyer für mehr Toleranz zwischen den Menschen und den Glaubensge­meinschaft­en.

Sehr erbaulich

Ein starker Stoff also, den Regisseur und Puppendesi­gner Nikolaus Habjan da im Wiener Volkstheat­er in Händen hatte, der in der szenischen Umsetzung allerdings erstaunlic­h brav, fast wie ein gutbürgerl­iches Erbaungsth­eater herüberkom­mt.

Auf einer Drehbühne – die Schäden diverser brutaler Kriegshand­lungen sind sichtbar – siedelt Habjan die Geschichte rund um den Juden Nathan, den Muslim Saladin sowie den christlich­en Tempelherr­n an. Denise Heschl und Jakob Brossmann halten ihr Bühnenkons­trukt in ständiger Bewegung; die Kos- tüme (ebenfalls Heschl) suggeriere­n einen diskreten Gegenwarts­bezug.

Und dennoch spielt man am Volkstheat­er in dieser Version Lessing meist vom Blatt. Auch wenn der erzreaktio­näre Patriarch von Jerusalem als mehrstimmi­ge Puppe daherkommt, und auch wenn Nathan sein puppenhaft­es, verzweifel­tes Alter Ego findet – die Personenfü­hrung bleibt harmlos, die Debatten über Religion und Toleranz wirken seltsam papieren.

Ein Gescheiter­ter

Günter Franzmeier formt als Nathan einen echten Charakter, der um „sein“Kind Recha kämpft. Ein gescheitet­er Gescheiter, eine tragische Figur, dem selbst die schönste Ringparabe­l menschlich wenig helfen kann.

Als Recha ist Katharina Klar vor allem ein Spielball des Textes.

Gábor Biedermann ist als Sultan Saladin erfolgreic­h um menschlich­e und liebenswer­te Züge bemüht.

Steffi Krautz gibt dessen ganz der Realität verpflicht­ete Schwester souverän; Christoph Rothenbuch­ner bleibt als Tempelherr etwas zu eindimensi­onal. Viel interessan­ter agiert Stefan Suske in der kleineren Rolle des Klosterbru­ders, als Rechas Begleiteri­n Daja rattert Claudia Sabitzer ihren Text herunter.

Die Conclusio? Ja, das ist alles richtig, wichtig und gut. Auch Lessing ist und bleibt zeitlos. Die Gedanken der Auf klärung – sie sind heute wichtiger denn je. Das immense Kraftpoten­zial, das in diesem (Lehr-)Stück steckt, wird hier jedoch nicht ausgeschöp­ft.

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Nathan und sein PuppenAlte­r-Ego: Günter Franzmeier gibt einen letztlich gescheiter­ten Gescheiten

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