„Journalismus hat ungeheuren Wert“
Kai Diekmann. Der Ex-Chefredakteur der deutschen Bild-Zeitung über die Zukunft von Print und Online
Kai Diekmann war 14 Jahre lang Chefredakteur des deutschen Boulevard-Blattes Bild. Ende Jänner 2017 hat er den Springer-Verlag verlassen. Vergangenes Wochenende war er Referent bei der Denkfabrik Academia Superior in Gmunden. KURIER: Die Mediaanalysen zeigen, dass die Printmedien Leser verlieren. Die Zeitungen sind aufgrund des Internets in der Defensive. Wo wird diese Entwicklung enden? Kai Diekmann: Das ist eine Entwicklung, die nicht nur die Medien trifft. Die digitale Revolution verdrängt viele herkömmliche Industrien. Digitalisierung bedeutet Entmaterialisierung. Das hat die Musikindustrie erlebt. Aus der Vinylschallplatte ist das Streaming geworden. Aus den Videokassetten wurden Netflix oder Apple-TV. Genau das Gleiche passiert mit Zeitungspapier. Die Zeitung hat hat sich mit der digitalen Revolution auf dem Weg zum Kiosk in Luft aufgelöst. Weil man sich auf digitalen Oberf lächen in Echtzeit jederzeit Nachrichten abrufen kann. Das, was das Zeitungspapier gewesen ist, ist heute das Smartphone.
Wir werden in der westlichen Welt keine Auflagenzuwächse bei den Zeitungen sehen, gleichzeitig wachsen die digitalen Angebote von Zeitungen so, wie früher unsere Auflagen gewachsen sind. Die große Herausforderung ist, ob es gelingt, in der digitalen Welt entsprechende Geschäftsmodelle zu etablieren. Dazu hat die Musikindustrie eine längere Zeit gebraucht, um zu sehen, dass hier Geld zu verdienen ist. Wir werden hier noch experimentieren müssen. Die Printausgaben sind also Vergangenheit?
Das ist eine Frage der Demografie. Europa profitiert von der Generation der Babyboomer. Wir sind noch mit der Zeitung aufgewachsen. Die Entwicklung wird auch von Titel zu Titel unterschiedlich sein. Ich bin überzeugt, dass die großen Marken noch eine Lebenszeit von 10 bis 15 Jahren haben. Es kann auch sein, dass es Zeitungen auch noch in 25 Jahren gibt, ähnlich wie die New York Times. Ihre Wochenendausgabe kostet an der Westküste in San Francisco zwischen sechs und acht Dollar. Das kann sich dann mit 50.000 Abonnenten vielleicht auch noch rechnen. Aber klar ist, dass wir einen Medienwandel erleben. Weg von der physischen Zeitung hin zu digitalen Oberfläche.
Die Kernkompetenz der Journalisten ist auch nicht das Bedrucken von totem Holz, sondern das Geschichtenerzählen. Geschichten kann man in der digitalen Welt besser erzählen als auf Papier. Online ändert aber auch die Geschichten. Sie sind häufig kürzer.
Das stimmt überhaupt nicht. Es gibt jede Menge long-read online. Man kann auch mit langen Texten sehr erfolgreich sein. Es ist richtig, dass die digitale Welt sehr visuell, also von Bildern geprägt ist. In Österreich sind die OnlineAusgabe der Zeitungen gratis, online wird häufig von Print quersubventioniert.
Ich halte das für eine Übergangsphase. Ich halte es auch nicht für richtig, dass Inhalte, die teuer produziert und erstellt werden, im Internet kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Was nichts kostet, ist am Ende auch nichts. So werden wir den Journalismus nicht zukunftsfest machen. Zur Neuerfindung unserer Marken in der digitalen Welt gehört auch dazu, dass wir bereit sind, für besondere Inhalte Geld zu nehmen. Das tut die Musikindustrie, das tut die Filmindustrie, das müssen auch wir tun. Das haben uns Marken in Amerika vorgemacht, ob nun das der Economist ist, ob das die New York Times ist, ob es das Wall Street Journal ist. Alle sind sehr erfolgreich. Wir bei Bild haben 2013 begonnen, für spezifische Inhalte Geld von unseren Usern zu verlangen. Ein Abonnement kostet durchschnittlich 4,99 Euro im Monat. Wir sind inzwischen bei rund 380.000 vollzahlenden Abonnenten. Damit sind wir in Deutschland die zweitgrößte Abo-Marke.
Zu einer erfolgreichen Zukunftsstrategie des Journalismus gehört auch in irgendeiner Form eine Bezahlstrategie. Sie kann völlig unterschiedlich aussehen.
Bild hat ein Freemium-Modell. Inhalte, die man auch sonst im Netz findet, sind frei, andere sind bezahlt. Die kostenlosen Inhalte garantieren uns, in der Reichweite immer die Nummer eins zu sein.
Es gibt andere erfolgreiche Modelle wie die London Times, die eine Hard-PayWall hat, wo man grundsätzlich für alle Inhalte bezahlen muss. Sie sind damit auch sehr erfolgreich. In den USA ist momentan eine Gegenbewegung zum Abwärts- trend der Printmedien im Gang. Sie ist eine Reaktion auf die Wahl von US-Präsident Donald Trump und auf die Fake-News, die verbreitet wurden.
Sie hat zu tun mit der ungeheuren Polarisierung in den USA. Diese hat es bereits vor der Wahl gegeben. Trump kommuniziert zudem ganz bewusst an den traditionellen Medien vorbei und tut dies über Twitter. Er hat sich auch die klassischen Medien als Projektionsf läche für seine rhetorischen Angriffe ausgesucht. Indem er über die Medien als Fake-News-Industrie spricht. Das führt dazu, dass der Teil der Bevölkerung, der Trump zutiefst ablehnt, bei der New York Times und bei der Washington Post eine publizistische Heimat findet. Das führt zu einer Konjunktur für diese Titel. Man muss sehen, ob das von Dauer ist.
Man kann daran sehen, dass klassischer Journalismus natürlich einen ungeheuren Wert hat. Es war eine irrige Annahme zu glauben, dass durch die digitale Revolution jeder von nun an ein er- folgreicher Publisher ist. Journalismus ist ein Handwerk, bei dem jemand lernt, wie man erfolgreich Inhalte sortiert, wie man Wichtiges von Unwichtigem unterscheidet und wie man Dinge hinterfragt.
In der digitalen Welt haben wir ein Überangebot von Informationen. Der Einzelne ist oft nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, was wahr und was unwahr ist. Gerade in diesem Umfeld wird die Fähigkeit von klassischem Journalismus verlangt, um Inhalte einordnen zu können.
Die Herausforderung ist, in der digitalen Welt entsprechende Geschäftsmodelle zu etablieren. Kai Diekmann Ex-Bild-Chefredakteur „Der Einzelne ist oft nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, was wahr und unwahr ist.“Kai Diekmann Ex-Bild-Chefredakteur
Sie haben Donald Trump interviewt. Wie haben Sie ihn erlebt?
Ich bin mit ganz anderen Erwartungen hingegangen, als ich rausgekommen bin. Ich habe damit gerechnet, jemanden zu treffen, der mit Journalisten nicht umgehen kann, der gereizt ist, der sich nicht viel Zeit nehmen wird. Das Gegenteil war der Fall. Es war alles sehr unkompliziert. Es sind keinerlei Bedingungen gestellt worden, es sind keine Fragen ausgeschlossen worden.
Ich habe selten einen Spitzenpolitiker getroffen, der in einer so schwierigen Situation so in sich ruhte und so tiefenentspannt war. Er ist uns sehr charmant begegnet. Er hat auch keinerlei Autorisierung des Interviews verlangt.